Neun Zuger trafen sich zum Austausch über Sex

«Wir möchten darüber reden, wie Sex wirklich ist»

(Bild: mbe.)

Sexualität in all ihren Formen ist scheinbar eine Selbstverständlichkeit. Die Hemmungen, über die intimsten Dinge zu reden, sind aber trotzdem gross. Das zeigte unser Besuch an der Premiere einer neuen Veranstaltung über Sex in Zug.

Am Dienstag fand «Der andere Sexsalon» zum ersten Mal in Zug statt (siehe Box). Sieben Männer und zwei Frauen hatten sich angemeldet, die meisten davon geschätzt älter als 50 Jahre. Bis auf ein Ehepaar kamen alle allein und fanden sich am Abend in der Paar- und Einzelberatung «leb» an der Industriestrasse 9 ein.

«Sexualität ist zwar ein Hype», erklärte die anwesende Sexsalon-Initiatorin LuciAnna Braendle, «aber darüber, was Sexualität wirklich ist, redet man selten.» Sex sei kein Konstrukt von perfekten Menschen. «Wir möchten darüber reden, wie Sex wirklich ist.» Gefragt seien Menschen, die erfahren möchten, wie die Sexualität bei sich und anderen aussehe, wie sie gelebt werde – oder eben nicht.

Die Teilnehmer wollen anonym bleiben: Die Gesprächsrunde fand in der Paar- und Einzelberatung (leb) in Zug statt.

Die Teilnehmer wollen anonym bleiben: Die Gesprächsrunde fand in der Paar- und Einzelberatung (leb) in Zug statt.

(Bild: mbe.)

Regeln des Gesprächs

Man spricht sich nur mit Vornamen an. Neugierig, aber zugleich respektvoll und wertschätzend solle man den anderen Gesprächsteilnehmern begegnen. Was besprochen wird, soll in der Regel nicht nach aussen getragen werden. zentralplus durfte trotzdem dabei sein und berichtet anonymisiert.

Braendle nimmt einen Apfel in die Hand. «Als Symbol der Verführung Adams durch Eva im Paradies. Aber die Kirche lassen wir hier weg», sagt sie. Jeder, der reden will, nimmt den Apfel in die Hand.

«Darüber, was Sexualität wirklich ist, redet man selten.»
LuciAnna Braendle, Initiatorin

Betretenes Schweigen am Anfang, die Stimmung ist angespannt, schliesslich kennt sich ja niemand.

Die Motivation der Teilnehmer

Aufwärm- und Kennenlernrunde. Warum sind die Teilnehmer hier, was erhoffen sie sich? Die junggebliebene Annemarie* in den 40ern, die mit ihrem Mann da ist, ist einfach «neugierig». «Ich habe gedacht, in Zug kommt doch kein Mensch», sagt sie.

Alle lachen; die Stimmung lockert sich auf. Sie und ihr Mann haben Kinder und sind zusammen, seit sie 18 waren. Sex sei bei ihnen zur Routine geworden, das Paar will ausbrechen, sich mehr Zeit nehmen füreinander – aber wie?

Die Regeln der Gesprächsrunde «Der andere Sexsalon».

Die Regeln der Gesprächsrunde «Der andere Sexsalon».

(Bild: mbe.)

Peter* sagt, dass sich sein Leben stark um Sexualität drehe. Er hat eine feste Partnerin, aber daneben pflegte er lange eine andere Beziehung für den Sex. Das sei jedoch nicht erfüllend gewesen. Er will die Intimität wieder mit seiner Partnerin teilen und wissen, wie es andere handhaben.

Fritz* ist über ein Inserat auf die Veranstaltung gestossen. «In der Mitte des Lebens ändert sich die Sexualität», sagt er. Er suche neue Inputs.

Und dann ist da noch Hanspeter*, der erzählt, er habe «Sex im stillen Kämmerchen». «Ich will dazulernen und Frauen glücklich machen», fügt er hinzu.

Sex ist keine Altersfrage

Linus* ist mit 58 Jahren einer der älteren Teilnehmer. Er war lange verheiratet, hat Kinder. Jetzt habe er eine «Wochenendbeziehung» für Sex, bezeichnet diese jedoch als «Einbahnstrasse». Er besuche mit Einverständnis seiner Partnerin Swingerclubs. Und sehnt sich aber nach einer genussvollen, gefühlvollen Sexualität.

Jasmin*, eine Frau zirka Ende 50, hat Sex mit verschiedenen Männern und geniesst es. Obwohl ihr ihre weiblichen Bekannten zu verstehen gäben, dass sich das für eine «Grossmutter» wie sie irgendwann nicht mehr zieme.

Lustlosigkeit als Inputthema

Gleich drei Paar- und Sexualberater, neben der Initiatorin die Zuger Berater David Siegenthaler und Layla Weiss-Yantani, diskutieren ebenfalls mit und moderieren das Gespräch. Manchmal erinnern sie jemanden an die Regeln. Ein Teilnehmer zückt zum Beispiel plötzlich ein Buch, worauf man ihm sagt, dass das nicht geht.

Die Idee dahinter

Der «andere Sexsalon» ist ein Konzept, das in Winterthur bereits etabliert ist. Entwickelt haben es die körperorientierte Sexualtherapeutin LuciAnna Braendle (auch bekannt für ihre Kuschelkurse) und der Gestalttherapeut Philip Steinmann. Das Sexsalon-Treffen ist kein Beratungs- oder Therapiegespräch, sondern eine moderierte Gesprächsrunde für alle, die ihre eigene Sexualität und die der anderen besser kennenlernen wollen. Fachpersonen leiten das Gespräch für Frauen und Männer über Sex, Liebe und Leidenschaft aller Art.

Als Erstes sprechen wir über Lustlosigkeit. Ein Drittel der Frauen und ein Sechstel der Männer seien davon betroffen, sagt Braendle. Trotz all der Reize im Internet, Swingerclubs, Sexshops sei die Lustlosigkeit ein weit verbreitetes Phänomen. Und: Je weniger Sex man habe, desto weniger Lust. Und je mehr, destso mehr Lust … Wir tauschen uns aus. Männer leiden offenbar weniger unter dem Problem als Frauen. Dann geht’s bereits in die Pause.

LuciAnna Braendle mit dem Apfel als Zeichen der Verführung.

(Bild: mbe.)

Im zweiten Teil können Gruppenmitglieder anderen Teilnehmern Fragen stellen. «Ihr könnt auch Nein oder nichts sagen», sagt David Siegenthaler. Peter fragt das anwesende Ehepaar, wie sie wieder aus ihrer Routine rauskommen wollen. «Der Chüngeli- und Pornosex ist jetzt vorbei», sagt der Ehemann. Alles sei möglich, man wolle den Sex entschleunigen. Eine klare Antwort, was sie denn wollen, haben sie aber noch nicht gefunden.

«Eine Zungenlähmung wäre das Schlimmste für mich. Ich stehe sehr auf Oralsex.»
Gruppenteilnehmerin Jasmin

Verschiedene Ansichten zu gutem Sex

«Was bedeutet gute Sexualität für euch?», soll die Gruppe anschliessend beantworten. Für Fritz stimmt es, wenn man auch emotional miteinander harmoniert. «Wenn ich spüre, was meine Partner will.» Ein anderer findet, guter Sex sei, wenn er einen guten Orgasmus erlebe. Für Linus braucht es eine gewisse Nähe. Es müsse aber keine Beziehung sein. «Qualität wird beim Sex wichtiger als Quantität, je älter man wird», sagt er.

Und Jasmin meint: «Eine Zungenlähmung wäre das Schlimmste für mich. Ich stehe sehr auf Oralsex.»

Als bei einer nächsten Frage, wie so oft, betretenes Schweigen herrscht, meint ein Teilnehmer, wir seien immer noch stark geprägt von der Sexualmoral der Kirche. «Deshalb können wir nicht so einfach miteinander reden. Wir stehen erst am Anfang.»

Einer oder mehrere Partner?

Eine Frage, die noch diskutiert wird und ebenfalls mit Moral zu tun hat, ist diejenige, ob es besser ist, eine monogame Partnerschaft zu pflegen – oder mit verschiedenen Partnern Sex zu haben. Die Sexualtherapeutin LuciAnna Braendle spricht über ihre persönliche Erfahrung. «Man muss das Thema in die Beziehung reintragen», sagt sie, «ich habe es gerne offen.» Unausgesprochene Heimlichkeiten führten zu «Wändli» zwischen den Partnern. Solange alle einverstanden seien, sei nichts verboten oder schlecht, fügt Braendle hinzu.

«Die Brust der Frau muss schön sein, sonst stellt es mir ab.»
Gesprächsteilnehmer Fritz

Als Letztes diskutiert die Gruppe, was es denn ausmache, ob man jemanden attraktiv und begehrenswert findet. «Die Brust der Frau», sagt Fritz, wenn diese nicht schön sei, stelle es ihm ab. Für Jasmin muss ebenfalls das Äusserliche des Mannes stimmen, das gewisse Etwas. Und Peter macht die «Geilheit und Bereitschaft» seiner Partnerin spitz. Als ihn die Gesprächsleiterin nach Details fragt, bleibt er aber stumm. So einfach ist diese Art von Gesprächen unter Gruppenzwang dann eben doch nicht.

Die Zeit ging rasch vorbei

Schon sind 2,5 Stunden verstrichen. «Es ist unglaublich, was in dieser Zeit in Zug passieren kann», meint David Siegenthaler. Die einen würden noch gerne weiterreden. «Ich wäre jetzt offen dafür», sagt Annemarie#. Doch der erste «andere Sexsalon» ist bereits vorbei. Und er kostete 35 Franken pro Person. Man fragt uns noch, ob es recht sei, die Rechnung nach Hause zu schicken.

Unser Fazit: Ein interessanter erster Versuch. Doch die Gruppe war sehr heterogen, Frauen, Männer, Hetero-, Homosexuelle, sodass die Interessen teilweise weit auseinanderlagen. Vielleicht zu weit? Zudem braucht es viel mehr Zeit, bis sich die Leute wirklich öffnen.

Dem stimmt auch Siegenthaler zu. «Wer kann sich vorstellen, dass sich eine Gruppe fremder Menschen bereits nach 30 Minuten über intime und persönliche sexuelle Erfahrungen austauscht?», sagt er. «Dies ermöglicht zu haben, zeugt für mich aber von viel Mut, Ehrlichkeit und Kompetenz der Teilnehmenden und der Moderation.»

Im August und November wird es weitere Gelegenheiten in Zug geben.

*alle Namen sind geändert

Die häufigsten Sexprobleme

Laut David Siegenthaler hat die Zuger Paar- und Einzelberatung «leb» mit vielen verschiedenen sexuellen Problemen zu tun. Häufig seien zum Beispiel Paare, die schon seit Jahren keinen Sex mehr hatten, weil lange Paarkonflikte der Sexualität im Weg stünden. Ein weiteres Problem sei oft, wenn die Partnerin oder der Partner nicht das geben oder bekommen könne, was er oder sie vom anderen benötige.

Sexuelle Probleme können auch körperliche Gründe haben. Die häufigsten sind laut Siegenthaler das Versagen genitaler Reaktionen, der Mangel oder Verlust von sexuellem Verlangen, Orgasmusstörungen, Ejaculatio Praecox (der Mann «kommt» zu früh), Vaginismus (Schmerzen durch Verkrampfungen der Scheide der Frau), Dyspareunie (Schmerzen beim Sex), gesteigertes sexuelles Verlangen, sexuelle Aversion und mangelnde sexuelle Befriedigung.

Gibt es ein Rezept für eine glückliche Sexualität? «Nein, sonst wären wir als Fachpersonen für Sexualität ja arbeitslos», sagt Siegenthaler. «Jedoch sind Zuwendung und ein neugieriges Entdecken der eigenen sexuellen Bedürfnisse hilfreich, um zu verstehen, wie das eigene Glück in der Sexualität zu finden ist.»

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