Mit Zuger Jägern auf «Hasenzähltour»

Wir jagen den Osterhasen

Mit starken Halogenscheinwerfern leuchtet Stefan Schärer in die Felder und Wälder hinein. (Bild: mbe.)

Ostern ist die Zeit der Frühlings- und Fruchtbarkeitsriten – und des Schokoladenhasen. Doch sein Vorbild, die echten Hasen, sind nur noch ganz selten anzutreffen. Dennoch sucht man in Zug jedes Jahr in Feldern und Wäldern nach den Langohren. Ein Erlebnisbericht.

Eine Ausschreibung im Amtsblatt des Kantons Zug weckt Neugier: Da ist tatsächlich von «Hasenzählungen» die Rede. «Dieses Monitoring des Wildbestandes wird in der Nacht von Fahrzeugen aus mit von Hand geführten Halogenscheinwerfern vorgenommen», heisst es weiter. Soso.

Ist Hasen zählen ein neues Beschäftigungsprogramm für Kantonsangestellte? So unser erster Gedanke. Selbstverständlich nicht. Es gibt einen ernsten Hintergrund. Und das Thema betrifft vor allem Jäger und Landwirte.

«Der Hase ist prinzipiell jagbar in der Schweiz», sagt Otto Holzgang. Der Vorsteher des Amts für Wald und Wild im Kanton Zug ist selbst ein Jäger. Doch Hasen schiesst er nicht. Denn der Feldhase ist fast verschwunden. «Die Jäger verzichten seit über zwanzig Jahren freiwillig auf die Bejagung», weiss Holzgang. Es gibt im Kanton Zug eine Abschussstatistik (siehe Bild unter dem Haupttext). Anfang der 1990er-Jahre endet diese abrupt. Erfasst ist seither nur noch «Fallwild». Das sind tote Tiere, die man zum Beispiel auf den Strassen gefunden hat.

Wieviele Hasen gibt es noch?

Mit den jährlichen Zählungen erfasst man den Bestand dieses Tiers. Denn seit sie nicht mehr geschossen werden, weiss man auch nicht, wieviele Hasen es überhaupt noch gibt.

Die Zählungen werden in der ganzen Schweiz durchgeführt. Im Kanton Zug von den Jägern, praktisch ohne Entgelt. Pro Zählequipe gibt es eine kleine Entschädigung von 50 Franken pro Abend. In der Regel nehmen vier Personen teil. Die Fahrkilometer werden zusätzlich entschädigt.

Equipenchef Harald Frenademaz zählt seit 18 Jahren Hasen und andere Wildtiere im Kanton Zug. Auf einer Karte trägt er die Zahlen und Orte ein.

Equipenchef Harald Frenademaz zählt seit 18 Jahren Hasen und andere Wildtiere im Kanton Zug. Auf einer Karte trägt er die Zahlen und Orte ein.

(Bild: mbe.)

Ein spezielles Erlebnis

Der Autor wollte so eine Hasenzählung einmal live miterleben. Auf einem Parkplatz bei der Zollbrücke geht es los. Es ist kurz nach 20 Uhr und stockdunkel. Harald Frenademez, ein erfahrener Jäger vom Zuger Patentjägerverein, ist der Anführer der Equipe. Er fährt den Geländewagen. Die so genannten Jungjäger Stefan und Antje Schärer aus Cham sitzen hinten und werden mit Halogenscheinwerfern in einem 90-Grad-Winkel aus den Wagenfenstern in Felder und Wälder hineinleuchten – auf der Suche nach den Zuger Osterhasen. Neben Hasen werden übrigens auch andere Wildtiere mitgezählt: Rehe, Wildschweine, Füchse, Iltisse, Eulen zum Beispiel.

Auf dem Acker bewegt sich etwas – es ist ein Fuchs.

Auf dem Acker bewegt sich etwas – es ist ein Fuchs.

(Bild: mbe.)

 

Zuger Polizei ist informiert

Frenademez greift rasch zum Handy und ruft bei der Zuger Polizei an, um diese in Kenntnis zu setzen, dass die Zähler jetzt unterwegs sind. Damit es keine Missverständnisse gibt. «Wir hatten einmal eine Reklamation, weil jemand sagte, wir hätten in sein Schlafzimmer geleuchtet», sagt er. Aber Beschwerden seien ganz selten. Die Aktion wird wie erwähnt im Amtsblatt publiziert, die Landwirte sind ebenfalls informiert.

Im Gebiet Unterhünenberg nahe Sins

Gezählt wird heute Abend im «Hasenzählgebiet» Ischlag-Drällikon. Es ist eines von zwölf Zählgebieten in Zug. Langsam, im Schritttempo, fahren wir einen Feldweg entlang. Es ist stockdunkel und ganz ruhig. Die starken Lampen leuchten aus dem Auto weit in ein Feld hinein. Leuchten werden laut den Jägern auch die Augen der Tiere. «Ihre Augen reflektieren das Licht», erklärt der Equipenchef. Da! Lichter! Eine Gruppe Rehe! Sie bleiben geblendet stehen, dann laufen sie weg. Frenademez trägt ihre Anzahl und den Ort auf einer Karte ein.

Füchslein im Scheinwerferlicht

Wir fahren weiter, an einem Acker entlang. Da! Ein Füchslein! Bevor es sich davon trollt, bleibt es kurz stehen (siehe Foto). Der Autor staunt, wieviele Tiere da im Dunkeln unterwegs sind, faszinierend.

Ein Fuchs bleibt geblendet im Scheinwerferlicht stehen, sodas wir ihn fotografieren können.

Ein Fuchs bleibt geblendet im Scheinwerferlicht stehen, sodas wir ihn fotografieren können.

(Bild: mbe.)

Antje Schärer hat etwas entdeckt auf einem Feld. Ein Hase vielleicht? Frenademez schaut mit dem Feldstecher nach. Nein. Wieder ein Fuchs.

Das Auto fährt einem Wald entlang. Auch da, Fehlanzeige. Im Wald zählen wir kein einziges Tier. Das Problem ist, dass man nicht weit ins Gehölz leuchten kann und die Wildtiere sich verstecken. Wir fahren an einem mit Gaze abgedeckten Erdbeerfeld vorbei – hier sind Tiere gar nicht erwünscht. Das Auto fährt weiter durch Bauernhöfe, an Kühen, Schafen, Kälbchen vorbei, die werden natürlich nicht gezählt. Ab und zu eine Katze auf einem Feld (sie wird nur gezählt, wenn sie verwildert ist).

Am Vorabend: zwei Hasen im Raps

Doch wo bleiben nur die Zuger Hasen? Möchte doch unbedingt einen vermelden. «Gestern haben wir zwei in einem Rapsfeld gesehen», weiss Harald Frenademez. Da jede Strecke zwei Mal nacheinander gefahren wird, blicken alle angestrengt ins besagte Rapsfeld hinein. Erblickt man irgendwo zwei leuchtende Augen und grosse Ohren? Leider nicht.

Es folgt eine Apfelplantage. Laut den Jägern richten Feldhasen dort Schäden an, wenn sie an den Rinden knabbern. Und, oh mein Gott, da ist einer: ein leibhaftiger Hase! Juhui! Die Emotionen des Reporters gehen hoch, die Kamera klickt. Antje Schärer leuchtet zwischen zwei Baumreihen. Er hoppelt in die Nächste. Sie leuchtet in die nächste Reihe, der Hase wechselt ebenfalls die Reihe. Ein geschickter Bursche.

Im Rapsfeld ist an diesem Abend kein Hase versteckt.

Im Rapsfeld ist an diesem Abend kein Hase versteckt.

(Bild: mbe.)

 

Hase knabbert an Apfelbäumen

Wir haben den Zuger Osterhasen gefunden! Doch der Star des Abends muss unsichtbar bleiben. Leider konnten wir ihn nicht zu einem Interview bewegen. Und auch sonst entzog er sich geschickt jedem Versuch, ihn auf den Chip unserer Digitalkamera zu bannen. Sehr schwierige Lichtverhältnisse. Leider müssen wir uns deshalb mit einem Symbolbild behelfen.

Das Fazit der abendlichen Zählung, die kurz nach 22 Uhr beendet ist: Ein willkommener Quoten-Hase (Win-Win-Situation für Zähler und Journalist), zwölf Füchse, 25 Rehe und eine Katze waren im Gebiet Ischlag / Drällikon unterwegs.

Schokoladen-Osterhasen haben momentan Hochkonjunktur. Echte Feldhasen bekommt man nur noch selten zu Gesicht (Themenbild).

Schokoladen-Osterhasen haben momentan Hochkonjunktur. Echte Feldhasen bekommt man nur noch selten zu Gesicht (Themenbild).

(Bild: PD)

Die Abschuss-Statistik des Kantons Zug endet in den 90er-Jahren. Seither werden die Hasen geschont und nur noch gezählt.

Die Abschuss-Statistik des Kantons Zug endet in den 90er-Jahren. Seither werden die Hasen geschont und nur noch gezählt.

(Bild: Screenshot)

 

Der Feldhase im Kanton Zug

Der Hase war früher weit verbreitet: Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden noch jährlich rund 700 bis 800 Hasen im Kanton Zug geschossen (siehe Jagdstatistik oben). Das Wildbret kam damals als Hasenbraten oder -ragout auf den Tisch mancher Zuger Familie.

Ab 1950 nehmen die Abschusszahlen jedoch rapide ab. Der Grund liegt nicht in der starken Bejagung, sondern im Verlust des natürlichen Lebensraums der Hasen. Einerseits durch die Besiedlung, die Zerschneidung der Landschaften durch Eisenbahnen und Strassen, die Intensivierung der Landwirtschaft machte dem Hasen das Leben ebenfalls schwer.

«Der Hase ist ursprünglich ein Steppentier», erklärt Otto Holzgang vom Zuger Amt für Wald und Wild. Der Feldhase gräbt sich eine flache Mulde im Gelände (die Sasse), in die er sich hineinlegt und das Gelände beobachtet. «Naht eine Gefahr, duckt er sich und wartet bis die Gefahr vorüber ist», erklärt Holzgang. Wenn diese Gefahr jedoch eine riesige Mähmaschine ist und partout nicht verschwinden will, ist das Schicksal gerade der Junghasen besiegelt. «Vermäht» nennt man diesen brutalen Tod euphemistisch. Aber auch die vielen Räuber – der Fuchs, die Krähe, Bussarde machen dem Feldhasen das Leben schwer.

Zug (und Luzern) keine typischen Hasengebiete

«Der Kanton Zug ist kein typisches Feldhasengebiet», weiss Otto Holzgang. Im grossen Nachbarkanton Luzern sieht es nicht besser aus, es gibt auch dort fast keine mehr. «Ideal für die Tiere sind grosse Ackerbaugebiete mit wenig Niederschlag sowie trockene sandige Böden», erklärt Holzgang. Die «Hasenparadiese» sind die Kantone Solothurn, Genf und ebenso Schaffhausen.

Am meisten Feldhasen gibt es im Kanton Zug in den Gebieten Eigenried, Walchwiler Oberallmig, Rämsel-Hafenbach und Schurtannen. Doch um keine falsche Vorstellungen oder gar Jagdgelüste zu wecken: Laut Statistik sind es pro Gebiet höchstens fünf bis sechs gezählte Hasen jährlich.

Im Aargauer Reusstal, rund fünf bis sechs Kilometer Luftlinie von Zug entfernt, scheinen die Lebensbedingungen für die hoppelnden Rammler besser zu sein. Dort gibt es mehr Tiere, weil die Landschaft urtümlicher ist, kleine Seen, Schilfgebiete, Hecken auf den Feldern, wo sich die Hasen besser verstecken können.

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