Kantonstierarzt beurteilt Bilder

«Wir gehen diesem Fall nach»

Alles andere als appetitlich: Dieses Bild stammt angeblich aus einem Luzerner Schweinestall. (Bild: TIF)

Apathische Schweine, Wunden auf der Haut oder abgebissene Ohren: Was ist von den Bildern zu halten, welche die Schweizer Tierschutzorganisation «Tier im Fokus» in einem Luzerner Stall geschossen hat? Der stellvertretende Kantonstierarzt Martin Brügger kommentiert. 

In Schweizer Schweineställen herrschen offenbar schlimme Zustände. Dies zeigen Bilder der Tierschutzorganisation «Tier im Fokus» (zentral+ berichtete). Die Organisation sammelte umfangreiches und belastendes Material. Auch über einen Luzerner Schweinestall wird berichtet.

Was ist von solchen Bildern zu halten? Trifft man im Kanton Luzern – wo es mehr Schweine als Einwohner gibt – öfters auf solche Zustände? Der stellvertretende Kantonstierarzt Martin Brügger hat sich die Fotos und das Video angesehen.

zentral+: Was sagen Sie zu den Bildern?

Martin Brügger: Anhand von Bildern und Videos können die Verhältnisse auf einem Betrieb nicht eindeutig beurteilt werden, deshalb überprüft der Veterinärdienst bei solchen Meldungen die Verhältnisse vor Ort. Dies wird auch im vorliegenden Fall so gehandhabt.

zentral+: Sie klingen erstaunlich abgeklärt. Gehören solche Zustände in Schweineställen zum Alltag?

Brügger: Nein bestimmt nicht. Es ist nur so, dass es für uns als Kontrollbehörde schwierig ist, anhand von fremden Videoaufnahmen und Bildern ein Urteil abzugeben. Wir gehen jedem Hinweis nach, komme er von Tierschützern, Nachbarn oder Verwandten. In diesem Fall gehen wir vorbei und überprüfen unangemeldet die Tierhaltung vor Ort. 

zentral+: Diese Bilder sprechen auch ohne Inspektion eine eindeutige Sprache. Die Schürfwunden auf der Haut der Tiere sind sicher schmerzhaft. 

Brügger: Falls Tiere mit Schürfwunden auf einem Betrieb angetroffen werden, muss der Ursache und den Massnahmen, die der Tierhalter dagegen ergriffen hat, nachgegangen werden. Deshalb genügen die Bilder alleine nicht und deshalb wird auch ein Besuch vor Ort durchgeführt. Es mag vielleicht etwas befremdlich klingen, aber nicht alles, was auf den ersten Blick auffällig aussieht, verstösst automatisch gegen die Tierschutzgesetzgebung, insbesondere was zum Beispiel den Platzbedarf oder die Einstreu betrifft. Das Tierschutzgesetz sieht unter anderem vor, dass die Tiere jederzeit Zugang zu Beschäftigungsmaterial wie Stroh, Strohhäcksel, Strohwürfel oder Weichholz haben und so «beschäftigt» werden müssen.

zentral+: Offenbar sind die Sanktionen zu wenig streng. Oder das Tierschutzgesetz ist zu lasch?

Brügger: Ob das Gesetz nicht genügt, ist eine politischen Frage. Die Schweiz hat aber eine der strengsten Tierschutzgesetzgebungen der Welt. Jedes Jahr werden rund 1’300 Kontrollen unter anderem im Bereich Tierschutz auf Luzerner Tierhaltungsbetrieben durchgeführt (25 Prozent). Jeder Betrieb wird demnach mindestens alle vier Jahre anlässlich einer Stichprobe geprüft. 

zentral+: Wieso werden nur so wenige Stichproben durchgeführt? Müsste nicht öfters kontrolliert werden?

Brügger: Die Frequenz der Kontrollen ist das Resultat eines politischen Prozesses und sind in der Gesetzgebung entsprechend festgehalten. Zudem sind wir der Überzeugung, dass dies nicht wenige sind und eine vernünftige Intervallgrösse ist, insbesondere wenn man bedenkt, dass auf den allermeisten Tierhaltungsbetrieben keine gravierenden Mängel festgestellt werden müssen.

Des Weiteren werden risikobasiert zusätzliche Kontrollen durchgeführt, das heisst, ein Betrieb mit Mängel wird öfters als alle vier Jahre besucht; mit Zwischen- und Nachkontrollen.

zentral+: Wie wird dieser Landwirt bestraft, wenn Sie Verstösse festgestellt haben?  

Brügger: Falls auf einem Betrieb Mängel festgestellt werden, sorgen wir dafür, dass diese behoben werden. Um dies zu erreichen, wird einem fehlbaren Tierhalter eine kostenpflichtige Verfügung zugestellt, in welcher die zu treffenden Massnahmen und die dazu gehörenden Fristen festgehalten werden.

Die Mängel werden gewichtet und es wird auch beurteilt, ob es sich um einen Einzelfall handelt, oder ob ein systemischer Fehler vorliegt. Werden die verfügten Massnahmen nicht eingehalten oder umgesetzt, sind auch weiterreichende Massnahmen wie beispielsweise Tierhalteverbote möglich. Zudem muss der Tierhalter mit einer Strafanzeige rechnen, welche dann durch einen Richter beurteilt wird. Weiter werden dem Tierhalter bei Verstössen gegen die Tierschutzgesetzgebung die Direktzahlungen gekürzt, dies liegt aber im Zuständigkeitsbereich des kantonalen Landwirtschaftsamtes. 

zentral+: Jedes vierte Schweizer Schwein wird im Kanton Luzern gehalten. Findet der Kantonstierarzt bei dieser Menge öfters solche Zustände vor? 

Brügger: Interessanterweise bewegt sich der Kanton Luzern im Durchschnitt, was die Verstösse gegen das Tierschutzgesetz angeht. In seltenen Fällen kommt es vor, dass Kastrationen ohne Schmerz-Ausschaltungen vorgenommen werden. Das führt dann zum Beispiel direkt zur einer Strafanzeige. 

zentral+: Und wie viele Verzeigungen gibt es? 

Brügger:  Im letzten Jahr mussten wir bei Schweinehaltungen total fünf Strafanzeigen erstatten. Insgesamt hatten wir im vergangenen Jahr 73 Strafanzeigen, die nicht nur die Nutztierhalter, sondern auch die Heimtierhalter betroffen haben.

Ist das Tierschutzgesetz zu lasch? Nutzen Sie die Kommentar-Funktion und schreiben Sie jetzt Ihre Meinung.

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2 Kommentare
  • Profilfoto von Antonietta Tumminello
    Antonietta Tumminello, 15.09.2014, 16:56 Uhr

    Tiere sind Lebewesen genau wie Menschen. Sie empfinden Schmerz und Gefühle wie z.B. Angst. Trotzdem werden Schweine, Rinder, Hühner usw. von Menschen wie Produkte oder Waren behandelt. Wir sperren sie ein, halten sie teilweise unter den schlimmsten Bedingungen, mästen und töten sie, um sie dann zu essen.

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  • Profilfoto von juerg47
    juerg47, 26.08.2014, 11:26 Uhr

    Die ständigen Behauptungen der Behörden und der Fleischmafia, die Schweiz hätte die weltweit strengste Tierschutzgesetzgebung, deshalb sei auch das «Schweizer Fleisch » etwas ganz besonderes, kotzt einem an; in Wahrheit ist die Umsetzung der Tierschutzgesetze in der Schweiz einer der schlechtesten in Europa, wenn genügend Geld fliesst wird sehr lasch oder gar nicht kontrolliert, gebüsst wird schon gar nicht, weil die zuständigen Kantonstierärzte fleissig mitkassieren . Die Fleischbarone nützen die fehlende Fachkompetenz der Ämter und die unzähligen Schlupflöcher im Gestz voll aus und können sicher sein, dass niemand hinschaut . Was mit den Tieren passiert, ist die vom „Rechtsstaat“ Schweiz offiziell abgesegnete und von der Allgemeinheit finanzierte Quälung und Verachtung der wehrlosen Kreatur.

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