Folgen des Suizid-Dramas in Malters

Winiker zieht Polizeichefs von heiklen Einsätzen ab

Szenen aus der «Rundschau»-Reportage: die Waffe, mit der sich die Frau erschoss; das Badezimmer, in dem sie sich das Leben nahm; Spuren eines Schusses an der Wand; die verstorbene Mutter.

Regierungsrat Paul Winiker zieht die Notleine: Wegen eines missglückten Polizeieinsatzes in Malters dürfen Polizeikommandant Adi Achermann sowie Kripochef Daniel Bussmann vorerst keine heiklen Einsätze mehr bestreiten. Von einer Suspendierung oder Entlassung sieht Winiker jedoch ab – noch.

Das Suizid-Drama in Malters vom 9. März hat nun auch für die Polizei personalrechtliche Folgen: Im Sinne einer vorsorglichen Massnahme hat Regierungsrat Paul Winiker veranlasst, dass zwei beschuldigte Kaderleute der Luzerner Polizei bis zum Abschluss des Strafverfahrens keine heiklen Einsätze mehr leiten dürfen.

Betroffen sind Polizeikommandant Adi Achermann und Kripochef Daniel Bussmann. Bussmann darf auch keine heiklen Einsätze mehr begleiten. Unter heiklen Einsätzen sind insbesondere polizeiliche Interventionen zu verstehen, bei denen möglicherweise Leib und Leben von Beteiligten und unbeteiligten Dritten gefährdet sind. Aufgrund ihrer Funktion wurden die beiden Offiziere bereits bisher nicht als Pikettoffiziere in den Dienstplan eingeteilt, wie Regierungsrat Paul Winiker diesen Donnerstagmorgen mitteilte.

Strafverfahren wegen fahrlässiger Tötung

Die verhängten Massnahmen hätten die beiden Betroffenen bereits im April vereinbart – warum sie erst jetzt, Ende September, bekannt gegeben wurden, schreibt Winiker in der Medienmitteilung nicht. Die Massnahmen würden aber auch von einem unabhängigen Gutachter gestützt. Dabei handelt es sich um den Zuger alt Regierungsrat Hanspeter Uster. Er wurde nach dem Vorfall von der Polizei damit beauftragt, zu prüfen, ob noch vor dem Abschluss der strafrechtlichen Untersuchung Massnahmen wie etwa eine Suspendierung oder Freistellung gegen die Polizeikader verhängt werden sollen.

Um sie dreht sich alles: Polizeikommandant Adi Achermann (von links), Regierungsrat Paul Winiker und Kripochef Daniel Bussmann (Bild: SRF-Rundschau, aufgenommen an einer Pressekonferenz zu einem anderen Thema).

Um sie dreht sich alles: Polizeikommandant Adi Achermann (von links), Regierungsrat Paul Winiker und Kripochef Daniel Bussmann (Bild: SRF-Rundschau, aufgenommen an einer Pressekonferenz zu einem anderen Thema).

Gegen Achermann und Bussmann läuft ein Strafverfahren, da der Sohn der verstorbenen Frau (ein Drogenhändler, der in der Wohnung in Malters Hanf angebaut hat und von dem die Mutter wohl ihren Revolver hatte) Anzeige wegen fahrlässiger Tötung erhoben hat. Die Untersuchung wird von der Aargauer Staatsanwaltschaft geführt und liegt wohl frühestens Ende Jahr vor.

Polizeikommandant ignorierte und verschwieg Warnung

Am 9. März hat sich in Malters nach zweitägiger Belagerung eine psychisch kranke Rentnerin das Leben genommen. Obwohl sie die Polizei warnte, sie würde sich bei einem Zugriff erschiessen, drang die Sondereinheit Luchs gewaltsam in die Wohnung ein. Die 65-jährige Frau nahm sich dann wie angekündigt das Leben. Im Anschluss an die Tragödie kamen diverse Ungereimtheiten seitens der Polizei auf. Zum einen verschwieg Achermann vor den Medien, dass der damals zugezogene Polizeipsychologe explizit und mehrmals davor warnte, die Rentnerin würde sich bei einem Zugriff erschiessen. Man solle besser abwarten. Auch stellte Achermann die Situation vor dem Zugriff anders dar, als sie in Wirklichkeit war.

In diesem Haus in Malters kam es zur Tragödie.

In diesem Haus in Malters kam es zur Tragödie.

(Bild: SRF Rundschau)

Rücksicht nehmen auf Unschuldsvermutung

Die verhängten Massnahmen haben laut Winiker zwei Ziele: «Sie sind im Interesse der beiden Kaderleute, indem für die Dauer des hängigen Strafverfahrens potenzielle Konfliktsituationen vermieden werden.» Zudem seien sie im Interesse «einer gut und reibungslos funktionierenden Polizei, indem sie Klarheit schaffen in Bezug auf die Einsatzleitung bei heiklen Einsätzen».

«Zum heutigen Zeitpunkt liegen keine hinreichenden Anhaltspunkte vor, die eine Suspendierung rechtfertigen würden.»

Paul Winiker, Regierungsrat

Von einer Suspendierung oder gar Entlassung der beiden Kaderleute sieht Paul Winiker, Vorsteher des Justiz- und Sicherheitsdepartements, vorerst ab. Und zwar aus diesen Gründen:

  • «Die Schweizerische Strafprozessordnung hält fest, dass jede Person bis zu ihrer rechtskräftigen Verurteilung als unschuldig gilt (Unschuldsvermutung).»
  • «Eine Suspendierung könnte potenziell den Grundsatz der Unschuldsvermutung verletzen. Dies wäre eine massive Einschränkung in der Funktion und könnte als Vorverurteilung wahrgenommen werden.»
  • «Eine Suspendierung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens hätte ausserdem zur Folge, dass beide Kaderleute der Luzerner Polizei unabhängig vom Ausgang des Verfahrens nicht mehr in ihrer Funktion tätig sein könnten. Zum heutigen Zeitpunkt liegen keine hinreichenden Anhaltspunkte vor, die eine derart einschneidende Massnahme rechtfertigen würden.»

Verzicht auf «einschneidende Massnahmen»

Winiker teilt zum Schluss mit: «Unter Würdigung dieser drei wesentlichen Punkte und im Sinne einer weiterhin gut funktionierenden und vertrauenswürdigen Luzerner Polizei habe ich von dieser einschneidenden Massnahme abgesehen. Die beiden Angeschuldigten haben die Verfügung der vorsorglichen Massnahmen akzeptiert, sie tritt mit sofortiger Wirkung in Kraft. Bis zum rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens gilt die Unschuldsvermutung.»

HINWEIS: zentralplus bringt demnächst ein Interview mit Paul Winiker zu diesem Thema.

Schwieriger Einsatz endet im Debakel

Am Dienstag, 8. März 2016, hatte die Luzerner Polizei im Rahmen eines ausserkantonalen Strafverfahrens den Auftrag, in Malters eine Wohnung zu durchsuchen. Aus Zürich kam der Hinweis, dass dort eine Hanfplantage betrieben werde (was sich als korrekt erwies). Denn der Besitzer der Wohnung wurde in Zürich wegen entsprechender Delikte verhaftet.

Doch vor Ort drohte überraschend eine in der Wohnung anwesende Frau – die Mutter des Drogenhändlers –, auf die Polizei und andere Personen zu schiessen oder sich das Leben zu nehmen. Sie war mit einem Revolver bewaffnet und feuerte zwei Mal damit. Die Frau verlangte, mit ihrem Sohn sprechen zu können, was ihr aber verweigert wurde. Dafür konnte sie mit ihrem Anwalt telefonieren und teilte diesem mit, dass sie noch etwas Zeit zum Überlegen benötige. Sie könne sich der Polizei noch nicht stellen. Ansonsten werde sie sich erschiessen (nachzuhören im Originalton in dieser Rundschau-Sendung).

Frau machte Ankündigung wahr

Doch weder informierte der Anwalt die Polizei über diese Suiziddrohung noch erkundigte sich die Polizei beim Anwalt über den Inhalt des Gesprächs. Während des Einsatzes hat die Polizei zudem erfahren, dass die Frau psychisch krank war und sich vor einer erneuten Einweisung in eine Psychiatrie fürchtete.

Nach insgesamt 19 Stunden ergebnisloser Verhandlung beschloss die Einsatzleitung der Polizei am 9. März, die Wohnung durch die Sondereinheit Luchs aufzubrechen. Dabei erschoss sich die Frau wie angekündigt.

In diesem Zusammenhang hat der Sohn der Frau Strafanzeige gegen den Kommandanten der Luzerner Polizei, Adi Achermann, und gegen den Chef der Kriminalpolizei, Daniel Bussmann, eingereicht. Und zwar wegen fahrlässiger Tötung sowie Amtsmissbrauchs. Die Untersuchung wurde dem ausserkantonalen, unabhängigen Staatsanwalt Christoph Rüedi übertragen. Er will bis Ende Jahr klären, ob ein strafbares Verhalten seitens der Einsatzleitung vorliegt. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Paul Winiker nimmt auch in einer Videobotschaft Stellung:

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