Das sagt der Regierungsrat zur Polizeikrise

Winiker: «Ich habe meinen Spielraum ausgeschöpft»

Regierungsrat Paul Winiker vor dem Polizei-Hauptgebäude an der Kasimir-Pfyffer-Strasse in Luzern.

(Bild: lwo)

Der Luzerner Polizeikommandant und sein Kripochef dürfen vorerst keine heiklen Einsätze mehr leiten. Suspendiert werden die Kaderpolizisten aber nicht. Der zuständige Regierungsrat Paul Winiker hat sich dabei auf Empfehlungen eines unabhängigen Experten gestützt – wie diese genau lauten und warum er sie nicht exakt umgesetzt hat, will Winiker nicht sagen.

Der Polizeieinsatz vom 9. März in Malters endete nicht nur mit dem Suizid einer 65-jährigen, psychisch kranken Frau. Er zeitigt auch Folgen für die verantwortlichen Polizisten. Polizeikommandant Adi Achermann und Kripochef Daniel Bussmann dürfen vorerst keine heiklen Einsätze mehr leiten. Unter heiklen Einsätzen sind insbesondere polizeiliche Interventionen zu verstehen, bei denen möglicherweise Leib und Leben von Beteiligten und unbeteiligten Dritten gefährdet sind (hier gehts zum Artikel).

Der zuständige Regierungsrat Paul Winiker, Vorsteher des Justiz- und Sicherheitsdepartements, beantwortete unsere Fragen nur schriftlich – was zeigt, wie heikel das Thema ist.

zentralplus: Paul Winiker, Adi Achermann und Daniel Bussmann haben bereits im April vereinbart, keine heiklen Einsätze mehr zu leiten. Warum informen Sie erst jetzt, Ende September die Öffentlichkeit darüber?

Paul Winiker: Weil die konkrete Massnahme jetzt – konkret am vergangenen Dienstag – verfügt wurde. Ich erläutere den Prozess: Mitte Juni 2016 wurden wir von der Eröffnung des Strafverfahrens in Kenntnis gesetzt. Es wurde eine externe, unabhängige Fachperson um eine Einschätzung betreffend vorsorgliche Massnahmen beauftragt. Herr Uster nahm Einsicht in die Vorakten, führte mit den beiden Betroffenen Gespräche. Ende August lag der Bericht in Sachen Einschätzung vor. Die Betroffenen konnten sich im Rahmen des rechtlichen Gehörs dazu äussern und auch zur beabsichtigten vorläufigen Massnahme. Anschliessend wurde entschieden. Dieser Prozess ist jetzt abgeschlossen. Nun folgt die Kommunikation.

zentralplus: Was bedeutet diese Massnahme im Dienst genau für die beiden Kaderleute?

Paul Winiker: Die beiden Kaderleute sollen bis zum rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens keine heiklen Einsätze leiten oder – im Fall von Daniel Bussmann – auch nicht begleiten. Aufgrund ihrer Funktion wurden die beiden Offiziere bereits bisher nicht als Pikettoffiziere in den Dienstplan eingeteilt. Diese Regelung bleibt bestehen. Kommandant Adi Achermann hat seit seinem Amtsantritt weder Pikettdienst geleistet noch Einsätze geleitet. Der Chef Kriminalpolizei Daniel Bussmann hat schon seit längerer Zeit keinen Pikettdienst geleistet. Bei Einsätzen kommen ihre beiden Stellvertreter zum Zug.

«Ich habe Usters Empfehlungen im Wesentlichen übernommen, aber den Spielraum, den ich habe, ausgeschöpft. Mehr kann ich dazu nicht sagen.»

zentralplus: Der Zuger alt Regierungsrat Hanspeter Uster hat dem Regierungsrat Empfehlungen gemacht, was für personalrechtliche Massnahmen gemacht werden sollen. Entsprechen Usters Empfehlungen exakt jenen, die Sie nun verhängt haben?

Winiker: Herr Uster hat für seine Einschätzungen Einsicht in die Vorakten genommen, Dienstbefehle beigezogen, sich über die Praxis ins Bild setzen lassen und auch noch die Rechtsprechung und die Lehre konsultiert. Ich selber habe die Einschätzung gewürdigt und auch in den Gesamtrahmen gestellt. Mein Entscheid basiert auf der Einschätzung von Herrn Uster.

zentralplus: Der Entscheid «basiert» auf Usters Einschätzung? Nochmals: Wie exakt haben Sie seine Empfehlungen übernommen?

Winiker: Ich habe seine Empfehlungen im Wesentlichen übernommen, aber den Spielraum, den ich habe, ausgeschöpft. Mehr kann ich dazu nicht sagen.

zentralplus: Können wir die Empfehlungen von Hanspeter Uster einsehen?

Winiker: Nein, die darin enthaltenen Informationen sind vertraulich. Denn sie basieren auf den laufenden Untersuchungen. Hinzu kommt, dass eine Einsichtnahme auch die Persönlichkeitsrechte der beiden Betroffenen verletzen würde. Schliesslich unterliegt der Bericht auch dem Amtsgeheimnis.

Regierungsrat Paul Winiker vor dem Eingang zum Polizei-Hauptgebäude an der Kasimir-Pfyffer-Strasse in Luzern.

Regierungsrat Paul Winiker vor dem Eingang zum Polizei-Hauptgebäude an der Kasimir-Pfyffer-Strasse in Luzern.

(Bild: lwo)

 
zentralplus: Sie sehen von einer Suspendierung oder gar Entlassung ab, weil dafür nicht genügend Hinweise vorliegen würden. Dies auch im Sinne der Unschuldsvermutung. Die «Rundschau» hatte jedoch Einblick in die Untersuchungsakten. Demnach geht klar hervor, dass Adi Achermann vor den Medien verschwiegen hat, dass der Polizeipsychologe explizit vor einem Zugriff in die Wohnung der Frau gewarnt hat. Was sagen Sie dazu?

Winiker: Das Strafverfahren wird den Sachverhalt klären. Ich kann und darf mich nicht dazu äussern.

zentralplus: Gemäss der «Rundschau» hat Achermann auch die Begründung für den Zugriff in die Wohnung falsch dargestellt. Nämlich so, dass der Zugriff wegen einer Schussabgabe gerechtfertigt war. Die Schussabgabe fiel laut «Rundschau» jedoch erst nach dem Zugriff – es waren die Schüsse der Frau, die ihre Katze und sich selbst erschoss. Was sagen Sie dazu?

Winiker: Das Strafverfahren wird den Sachverhalt klären. Ich kann und darf mich nicht dazu äussern.

zentralplus: Sie waren damals am 9. März, am Tag des Suizids, an der Medienkonferenz der Polizei anwesend. Wussten Sie schon damals davon, dass der Polizeipsychologe vor dem Zugriff in die Wohnung gewarnt hatte?

Winiker: Wer was wann gesagt oder getan hat, wird im laufenden Verfahren geklärt. Im Anschluss an das Strafverfahren wird die Administrativuntersuchung geführt.

In diesem Haus in Malters kam es zur Tragödie.

In diesem Haus in Malters kam es zur Tragödie.

(Bild: SRF Rundschau)

 
zentralplus: Warum haben Sie die Öffentlichkeit nicht früher informiert?

Winiker: Wir haben über jeden Schritt sofort informiert, vom Zugriff in Malters über die Einsetzung des unabhängigen Untersuchungsbeauftragten bis zu den Entscheiden über die vorsorglichen Massnahmen, die vorgestern erfolgt sind und zuerst den Betroffenen zugestellt werden mussten.

zentralplus: Sie sagen, dass Sie mit der nun verfügten Massnahme das Vertrauen in die Polizei erhalten wollen. Das trifft zu, allerdings nur wenn das Urteil der Strafuntersuchung Achermann und Bussmann entlastet. Sollte sich ein gröberes Vergehen herausstellen, welches eine Entlassung erfordert, wäre das Vertrauen dahin.

Winiker: Das ist rein spekulativ. Dazu äussere ich mich nicht. Was die beiden Offiziere betrifft, so gilt nach wie vor die Unschuldsvermutung.

zentralplus: Die Luzerner Polizei kommt nicht zur Ruhe. Adi Achermann wäre der sechste Luzerner Polizeikommandant in Folge, der entlassen wird. Bei der damaligen Stadtpolizei sind als Kommandanten Kurt Fehlmann und Pius Segmüller abgesetzt worden, bei der Kantonspolizei (heute: Luzerner Polizei) mussten Anton Widmer, Jürg Stocker und Beat Hensler abtreten. Wo liegt das Problem?

Winiker: Über frühere Fälle kann und will ich nicht urteilen. Fakt ist einfach, dass die Polizei aufgrund des Gewaltmonopols, das sie ausübt, und der Bedeutung, die sie im Staat hat, täglich mit heiklen Rechtsgütern zu tun hat und dabei im Fokus der Gesellschaft und auch der Medien steht.

«Ich versuche die beiden Kaderleute in dieser sicher nicht einfachen Zeit zu unterstützen.»

zentralplus: Für die beiden Polizisten müssen die Strafuntersuchung sowie die Medienberichte belastend sein. Wie geht es ihnen?

Winiker: Ich stehe im regelmässigen Kontakt mit dem Kommandanten und versuche die beiden Kaderleute in dieser sicher nicht einfachen Zeit zu unterstützen. Auch zu ihrem Schutz habe ich entschieden, dass die beiden keine heiklen Einsätze mehr leiten beziehungsweise begleiten.

zentralplus: Beide haben bislang, soweit bekannt, tadellose Arbeit geleistet. Wird das bei einem allfälligen Schuldspruch beziehungsweise bei der Prüfung einer Suspension berücksichtigt?

Winiker: Das Strafverfahren ist hängig. Es gilt nach wie vor die Unschuldsvermutung. Es ist rein spekulativ, jetzt über allfällige spätere Überlegungen und Massnahmen zu debattieren.

Schwieriger Einsatz endete im Debakel

Am Dienstag, 8. März 2016, hatte die Luzerner Polizei im Rahmen eines ausserkantonalen Strafverfahrens den Auftrag, in Malters eine Wohnung zu durchsuchen. Aus Zürich kam der Hinweis, dass dort eine Hanfplantage betrieben werde (was sich als korrekt erwies). Denn der Besitzer der Wohnung wurde in Zürich wegen entsprechender Delikte verhaftet.

Doch vor Ort drohte überraschend eine in der Wohnung anwesende Frau – die Mutter des Drogenhändlers –, auf die Polizei und andere Personen zu schiessen oder sich das Leben zu nehmen. Sie war mit einem Revolver bewaffnet und feuerte zwei Mal damit. Die Frau verlangte, mit ihrem Sohn sprechen zu können, was ihr aber verweigert wurde. Dafür konnte sie mit ihrem Anwalt telefonieren und teilte diesem mit, dass sie noch etwas Zeit zum Überlegen benötige. Sie könne sich der Polizei noch nicht stellen. Ansonsten werde sie sich erschiessen (nachzuhören im Originalton in dieser Rundschau-Sendung).

Frau machte Ankündigung wahr

Doch weder informierte der Anwalt die Polizei über diese Suiziddrohung noch erkundigte sich die Polizei beim Anwalt über den Inhalt des Gesprächs. Während des Einsatzes hat die Polizei zudem erfahren, dass die Frau psychisch krank war und sich vor einer erneuten Einweisung in eine Psychiatrie fürchtete.

Nach insgesamt 19 Stunden ergebnisloser Verhandlung beschloss die Einsatzleitung der Polizei am 9. März, die Wohnung durch die Sondereinheit Luchs aufzubrechen. Dabei erschoss sich die Frau wie angekündigt.

In diesem Zusammenhang hat der Sohn der Frau Strafanzeige gegen den Kommandanten der Luzerner Polizei, Adi Achermann, und gegen den Chef der Kriminalpolizei, Daniel Bussmann, eingereicht. Und zwar wegen fahrlässiger Tötung sowie Amtsmissbrauchs. Die Untersuchung wurde dem ausserkantonalen, unabhängigen Staatsanwalt Christoph Rüedi übertragen. Er will bis Ende Jahr klären, ob ein strafbares Verhalten seitens der Einsatzleitung vorliegt. Es gilt die Unschuldsvermutung.

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