Zehn Fragen zur Spange-Nord-Initiative

Wieso Luzern über ein veraltetes Projekt abstimmt

Die Stadt Luzern stimmt über die Spange-Nord-Initiative ab. (Bild: Emanuel Ammon/AURA)

Die Spange Nord ist tot – lang lebe der Widerstand dagegen: Obwohl der Kanton das Projekt zurückgestuft hat, kommt am 27. September die Spange-Nord-Initiative der SP an die Urne. Wieso und mit welchen Folgen? zentralplus liefert Antworten.

Dicke Post haben die Stadtluzerner letzte Woche erhalten. Die Abstimmungsunterlagen sind in die Haushalte geflattert, gleich fünf nationale, eine kantonale und zwei kommunale Vorlagen kommen am 27. September an die Urne. Uff!

Und darunter ist eine, die bei manchen Stirnrunzeln auslöst. Nämlich die Spange-Nord-Initiative der SP. War da nicht was? Stimmt, die Spange Nord ist letzten Herbst vom Regierungsrat überraschenderweise zurückgestuft worden. Aber von vorne:

1. Worum geht's?

Um das Verkehrsnetz zu entlasten, plant der Bund den sogenannten Bypass. Er beinhaltet in erster Linie einen rund 3,5 Kilometer langen Autobahntunnel vom Ibach bis zum Grosshof in Kriens. Damit die Autos auf die neue Strasse kommen, braucht's einen Zubringer. Der erste Vorschlag des Kantons lautete Spange Nord: Eine Zufahrtsstrasse vom Schlossberg übers Friedental zum neuen Autobahnanschluss Luzern-Lochhof – und auf der anderen Seite über die Reuss in das Fluhmühlegebiet.

Visualisierung des Bypasses. (zvg)

2. Was will die Initiative?

Die SP hat im April 2019 die Initiative «Spange Nord stoppen – Lebenswerte Quartiere statt Stadtautobahn» mit 3'523 gültigen Unterschriften eingereicht. Sie verlangt, dass sich die Stadt Luzern «für den Erhalt der Lebens- und Wohnqualität in den durch den Bau der Spange Nord bedrohten Quartieren» und mit «allen möglichen Mitteln für den Verzicht der Spange Nord» einsetzt.

3. Spange Nord – die gibt's ja gar nicht mehr?

Damit kommen wir zum kniffligsten Punkt. Angesichts des Widerstandes aus der Stadt Luzern und nach einem Auftrag des Kantonsrates ist der Regierungsrat nochmals über die Bücher. Und präsentierte im Herbst 2019 eine Überraschung: Die Spange Nord war plötzlich nicht mehr der Favorit. Der Regierungsrat empfahl, sie nicht mehr weiterzuverfolgen. Seither steht eine abgespeckte Variante um die Reussportbrücke im Vordergrund (zentralplus berichtete).

Die Spange Nord sah einen Autobahnzubringer beidseits der Reuss vor.

4. Wieso ist Abstimmung dennoch nötig?

Nun könnte man denken, damit sei die Abstimmung über die SP-Initiative hinfällig. Genau das dachte sich auch die Stadtluzerner SVP und reichte eine Stimmrechtsbeschwerde ein. Doch die wurde abgelehnt (zentralplus berichtete). Hauptsächlich aus zwei Gründen:

  1. Der formelle Entscheid gegen die Spange Nord steht noch aus. Damit ist das Projekt offiziell noch nicht vom Tisch.
  2. Die Initiative verlangt auch, dass sich die Stadt für die Lebensqualität in den betroffenen Quartieren einsetzt sowie Alternativen zur Förderung des öffentlichen Verkehrs und zur Entlastung der Innenstadt vom Autoverkehr entwickelt. Diese Forderungen haben nach wie vor Bestand.

5. Wieso stimmen wir gerade jetzt ab?

Diese Frage stellt sich mit Blick auf die derzeit laufende Vernehmlassung des Kantons. Noch bis Ende September können sich Parteien, Gemeinden, Quartiervereine, Organisationen und viele mehr zur Reussportbrücke und dem Ergebnis der externen Analyse der Alternativen äussern. Ursprünglich hätte die Vernehmlassung Ende Mai enden sollen, sie wurde aufgrund der Coronapandemie verlängert. Nun ist klar: Bis die Resultate vorliegen, dürfte es Oktober werden, also mit Sicherheit erst nach der Abstimmung.

So sieht die neue Brücke «Reussportbrücke» in der Visualisierung aus. (Bild: Visualisierung Swiss Interactive AG)

Auf Anfrage begründet die Stadt Luzern den Abstimmungstermin mit formellen Gründen. «Volksinitiativen (wie nun jene zur Spange Nord) werden üblicherweise immer auf das nächstmögliche Abstimmungsdatum festgelegt», lässt die Medienstelle ausrichten. In diesem Fall sei das der 27. September gewesen. «Die Stadt hat an dieser bewährten, für alle bekannten und transparenten Praxis festgehalten.»

6. Was bedeutet ein Ja?

Vorab: Egal, ob man Ja oder Nein stimmt, am Projekt ändert sich faktisch nichts.

Der Entscheid der Stadtluzerner Stimmbevölkerung könnte aber symbolische Kraft entfalten, das dürfte auch das Ansinnen der SP sein. Man stelle sich vor, 70 oder 80 Prozent der Stadtluzerner sprechen sich gegen einen Autobahnzubringer auf ihrem Gemeindegebiet aus – würde der Kanton ein solches Projekt durchboxen können?

So argumentiert auch die Gegenbewegung Spange-Nord. Sie empfiehlt ein Ja als rote Karte an den Regierungsrat – um ihm zu zeigen, dass solche Projekte in der Stadt Luzern keine Chance haben. Auch der Stadtrat, der sich bereits gegen das Nachfolgeprojekt Reussportbrücke ausgesprochen hat, empfiehlt die Initiative zur Annahme, weil er überzeugt ist, dass man durch einen «Neuanfang im Dialog mit dem Kanton eine gemeinsame Grundlage für die künftige Mobilität im ganzen Kanton» schaffen könne.

Ein Ja zur Initiative dürfte demnach den Stadtrat stärken und den Kanton zu einer quartierverträglichen Variante zwingen.

7. Stimmen wir auch über die Reussportbrücke ab?

Nein, auf dem Papier zumindest nicht. Aber da die Initiative eben verlangt, dass sich die Stadt für die Lebensqualität in den betroffenen Quartieren einsetzt, ist davon indirekt auch die neue Reussport-Variante betroffen.

Wie das Resultat zu interpretieren ist, dürfte insofern sicher noch zu reden geben. Die städtische SVP hat bereits angekündigt, dass das Abstimmungsresultat ihrer Ansicht nach nur auf die Spange Nord und nicht auf das Nachfolgeprojekt Reussportbrücke bezogen werden könne.

8. Was bedeutet ein Nein?

Fast noch schwieriger zu interpretieren wäre ein Nein. Es könnte zum einen schlicht bedeuten, dass man die bereits «tote» Spange Nord will und deren Folgen auf die betroffenen Quartiere als verträglich erachtet. Es könnte aber auch ein Zeichen des Protests gegen die SP sein, welche die Initiative nicht zurückziehen wollte. Oder ein Zeichen für eine ergebnisoffene Haltung.

So viel kann man mit Sicherheit sagen: Ein Nein am 27. September wäre eine grosse Überraschung.

9. Wer ist dafür?

Denn die Befürworter sind breit aufgestellt. Nebst der SP und dem Luzerner Stadtrat haben auch die Grünen und die GLP die Ja-Parolen beschlossen. Im Stadtrat empfahl auch die CVP-Fraktion die Initiative, eine Parole dürfte die Partei an ihrer Versammlung diesen Dienstagabend beschliessen.

10. Wer ist dagegen?

Die SVP Stadt Luzern lehnt die Initiative ab. Aus ihrer Sicht ist die Abstimmung unnötig. Auch die EVP hat die Nein-Parole beschlossen.

Die FDP Stadt Luzern empfiehlt Enthaltung. Die Partei begründet ihre Haltung damit, dass die Bevölkerung über eine Vorlage abstimmt, die inzwischen wegen des veränderten Planungsstands gegenstandslos geworden sei und «Symbolpolitik ohne Nutzen und politischen Mehrwert» darstelle.

Update: Die CVP Stadt Luzern empfiehlt Stimmenthaltung zur Spange-Nord-Initiative. Das hat die Parteiversammlung am Dienstagabend beschlossen. «Die ganze Abstimmung ist obsolet geworden und deshalb eine reine Beübung des Stimmvolkes, was auch unnötig Geld kostet», schreibt die CVP am Mittwoch in einer Mitteilung. Mit der Enthaltung wolle man ein Zeichen setzen, dass es diese Initiative nicht brauche.

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2 Kommentare
  • Profilfoto von Thomas Scherrer
    Thomas Scherrer, 21.09.2020, 16:46 Uhr

    Parteien, welche Verantwortung übernehmen, empfehlen dem Rat suchenden Bürger sicher nicht eine Stimmenthaltung.
    Dass ausgerechnet die bürgerliche «Mitte» nicht nur KEINE Meinung hat, sondern die Wählerschaft aufruft auch KEINE Meinung zu haben, sollte an den nächsten Wahlen abgestraft werden.
    Das ist das exakte Gegenteil von Verantwortung übernehmen.

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  • Profilfoto von Beat Murer
    Beat Murer, 15.09.2020, 15:18 Uhr

    Stadt Luzern:
    Eigenartige Parolenfassung der CVP und FDP zur Abstimmung über die SP – Volksinitive gegen die Spange-Nord

    Gemäss LZ vom 15.09.20 gaben die städt. CVP und FDP die Parole zur Stimmenthaltung bekannt. Glauben die wirklich, die Auszählung erfolge nach Vereinsrecht? Enthaltungen (leere Stimmen) haben höchstens einen marginalen Einfluss auf die Stimmbeteiligung. Zusammen mit ungültigen Stimmen fallen diese ausser Betracht. Für das Stimmenmehr zählen die Ja- und Neinstimmen. Mit dieser Empfehlung werden die politischen Rechte verwässert.

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