Der erste Auftrag kam vom Bäcker Speck

Wie Zug tickt – aus der Sicht des Velokuriers

Die Velokuriere sind in Zug angekommen. (Bild: zvg)

Seit genau 20 Jahren liefern sie Dokumente, Laborproben und Güter des täglichen Bedarfs: Die Velokuriere in Zug. Kurier und Disponent Rainer Affolter erzählt, weshalb sich die Zuger dabei lieber Essen liefern lassen als Luzernerinnen. Und wieso Blumensträusse und Bücher wohl kein nachhaltiges Geschäftsmodell sind.

Die Dachterrasse der Velokuriere Luzern Zug bietet einen tollen Ausblick über den Bahnhof. Wir befinden uns in Luzern. Der Grund: Die Dienstfahrten von rund einem Dutzend Zuger Kurieren werden von der Luzerner Rösslimatt aus disponiert.

Rainer Affolter koordiniert die Fahrten der zwei bis drei Pedaleure, die täglich im Zweischichtbetrieb im Einsatz stehen. Der Disponent, Kurier und Mitdreissiger erzählt von einem kleinen Raum, in dem sich die Zuger Kollegen umziehen und duschen können – denn schwitzen gehört zum Beruf. Die Mehrheit der Aufträge komme aus der Stadt – Baar, Cham und Rotkreuz gehören aber ebenfalls zum Einzugsgebiet. Und das nun seit exakt 20 Jahren.

Grosse internationale Firmen, viel Geschäftsverkehr – «Zug hat viel Potenzial für Velokuriere», ist Affolter überzeugt. Aber nach zwei Jahrzehnten – in Luzern sind die Velokuriere über 30 Jahre ansässig – machen sich auch Unterschiede bemerkbar. Davon erzählt uns Affolter bei einem Bier nach Feierabend.

1. Der erste Auftrag: Ein Sandwich

Begonnen hat alles vor zwanzig Jahren mit Aufträgen der Bäckerei Speck in Zug. Als Sandwichkuriere versorgten die Pedaleure also hungrige Arbeiter. Die Essenslieferungen seien bis heute ein Unterschied gegenüber den Dienstfahrten in Luzern, so Affolter: «In Zug hat es viele Expats. Sie bewegen sich oft unter sich und verlassen das Firmengelände nur ungerne, oder wenn sie unbedingt müssen.»

Das zeigt sich gerade beim Essen: So gehöre es zu den Besonderheiten der Zuger Velokuriere, dass sie öfters über Mittag 30 oder 40 Portionen beim Asiaten oder eben Bäcker abholen und sie den Arbeitern in die Firma bringen. Diese Tendenz habe sich während der Coronakrise noch verstärkt. In Luzern hingegen würden die Kuriere kaum Essen liefern.

2. Expats bleiben gerne unter sich

Ein typischer Auftrag in Zug könnte laut Affolter heute aber auch so aussehen: Eine grosse internationale Firma ruft auf der Zentrale an. Einer ihrer Mitarbeiter aus dem Ausland hat eine Visaverlängerung beantragt. Die Zeit drängt, das Arbeitsverhältnis soll heute noch verlängert werden. Der Pedaleur spurtet zum Bahnhof, nimmt vom Zugpersonal den Brief mit der für Firma und Mitarbeiter wichtigen Aufenthaltsbewilligung entgegen und bringt ihn zur Firmenzentrale. Der Mitarbeiter ist happy, sein Arbeitgeber ist happy und auch der Velokurier ist happy mit seinem erledigten Auftrag.

Velokurier Rainer Affolter (33) nach getaner Arbeit. (Bild: zvg)

3. Grosse Autos fordern grosse Aufmerksamkeit

Ein Thema ist auch der Zuger Strassenverkehr. Es ist kein Geheimnis, dass Zug die höchste Dichte an SUVs in der Schweiz aufweist. Die sogenannten «Zugerberg-Panzer» tauchen auch in der Unfallstatistik unvorteilhaft weit vorne auf (zentralplus berichtete). Das bekommen auch die Velokuriere zu spüren: «Es hat sehr viele grosse, teure Autos. Das bedeutet aber auch, dass es weniger Platz für die Velofahrer gibt.» Es sei dies einer der Gründe, weshalb er Zug nicht unbedingt als die velofreundlichste Stadt bezeichnen würde, auch wenn die Fahrt entlang des Zugersees in der Abendsonne etwas vom Tollsten im Alltag der Kuriere sei. Von schweren Unfällen sind die Velokuriere aber zum Glück in jüngster Zeit verschont geblieben.

4. Blumen und Bücher werden wieder seltener bestellt

Affolter hat in den vergangenen Monaten auch eine Beobachtung gemacht, die zwar nicht spezifisch auf Zug herunterzubrechen ist, aber trotzdem auffällt: Während des Lockdowns lieferten die Velokuriere viele Blumensträusse. Und auch Bücher aus den Bibliotheken. Zunächst habe er sich erhofft, dass dieser Trend den Lockdown überdauere. «Es zeigt sich aber, dass die Leute nicht nachhaltig Grussbotschaften oder persönliche Pakete per Velokurier überbringen.» Es sei wegen Corona auch nicht zu einem Boom gekommen, wie man vielleicht vermuten könnte. «Während die meisten im Homeoffice waren, sind viele Aufträge ausgefallen.»

5. Briefkästen bringen keine Aufräge

«Zug ist kein einfaches Pflaster für Velokuriere», sagt Affolter schliesslich ganz offen. Das gelte für die Strasse, aber auch für die Anwerbung neuer Kunden. Es existierten zwar sehr viele grosse Unternehmen, für welche die Kuriere gerne Aufträge erledigen würden. «Gerade die internationalen Unternehmen sind aber oft schwer zugänglich.» In Luzern, wo es mehr Kleingewerbe gäbe, besucht Affolter oft nach Dienstende spontan noch das eine oder andere Geschäft. Er erzählt vom Angebot der Kuriere und lässt einen Flyer dort. Hinter einem Grossunternehmen in Zug verstecke sich aber oft nur ein Briefkasten – statt viele Mitarbeiter.

Auch wenn sich Zug ihm als eigenwillige Stadt präsentiert, ist Affolter überzeugt, dass dort auch für die nächsten zwanzig Jahre viel Potenzial für Velokuriere vorhanden ist. Zum Beispiel bei den schweizweiten Transporten in Zusammenarbeit mit der Bahn und dem Logistikunternehmen swissconnect.

Die Velokuriere sind inzwischen in Zug angekommen und wollen dort auch bleiben. Selbst wenn – oder gerade weil – die Stadt etwas anders tickt als andere Städte.

«Abstiegerlis» ist auch bei den Velokurieren ein beliebtes Spiel. (Bild: zvg)
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