Luzerner Stachelbeeren am «K8-Gipfel»

Wie politisch darf Kindertheater sein?

Sylvie Kohler (32) und Alina Trieblnig (29) entwickeln gemeinsam mit elf Spielern ein Theaterstück zum Thema Macht.

(Bild: jav)

«Die Moral von der Geschicht’», heisst es oft am Ende von Kindermärchen. Der Bezug zur aktuellen Weltlage oder Politik ist selten Thema. Anders bei der diesjährigen Produktion des Luzerner Familientheaters «Stachelbeeren». Denn hier geht es um Macht und Ohnmacht und es wird politisch.

Alina Trieblnig und Sylvie Kohler haben gemeinsam mit elf Laiendarstellern ein Stück zum Thema «Macht und Ohnmacht» erarbeitet. Seit den Herbstferien proben die beiden Theaterpädagoginnen wöchentlich mit der Gruppe und scheuen sich dabei nicht davor, auch die grossen Themen anzupacken.

zentralplus: Macht ist ein sehr politisches Thema. Wie sehr empfinden das auch Kinder so?

Kohler: Wir haben zu Beginn nur zu zweit Ideen gesammelt und gingen dabei auch in sehr philosophische oder alltägliche Richtungen. Bei der Arbeit mit den Jugendlichen waren wir daher sehr überrascht, wie schnell und wie stark es bei den Diskussionen politisch wurde. Auch das enorme Wissen der Jugendlichen zum politischen Weltgeschehen hat uns erstaunt. Es wurde viel gefragt, einander erklärt und diskutiert. So ist auch das Stück ziemlich politisch geraten. Fairerweise muss man hier sagen, dass es die Jugendlichen und weniger die Kinder dazu gemacht haben.

zentralplus: Wie politisch darf Kinder- und Jugendtheater denn eigentlich sein?

Trieblnig: So politisch, wie die Kinder und Jugendlichen selber sind.
Kohler:
In unserem Fall jetzt sehr politisch. (lacht)
Trieblnig: Wichtig ist jedoch, dass die Geschichte auch für Kinder funktioniert. Dass man ohne politisches Wissen und ohne die Links zur aktuellen Weltlage etwas für sich mitnehmen kann.

«Es geht darum, was Macht mit den Menschen macht.»
Sylvie Kohler, Theaterpädagogin

zentralplus: Wie sieht das in Ihrem Fall aus?

Kohler: «Königin Macht» ist für Kinder ein modernes Märchen mit einer Königin und ihrem Begleiter. Sie gehen auf eine Reise, erfahren dabei die Welt und aus ihren Erlebnissen ziehen sie ein subjektives Fazit. Es geht einfach gesagt darum, was Macht mit den Menschen macht.

zentralplus: Und wo ist die politische Komponente?

Trieblnig: «Königin Macht» soll am K8-Gipfel eine Rede halten, dort gibt es Demonstrationen, eine Figur ist König Wasser, der alles Wasser besitzt – nun, man muss nicht zweimal überlegen, um die Parallelen zu erkennen.
Kohler:
Wir wollten die Anspielungen erst subtiler halten, doch mit der Arbeit geht auch oft etwas Distanz verloren. (lacht)

zentralplus: Apropos Distanz: Besteht nicht die Gefahr, dass durch die Vorbildfunktion die eigene politische Haltung von den Jugendlichen übernommen wird?

Trieblnig: Wir haben uns gerade bei der Sammlung und Entwicklung sehr zurückgehalten, haben nie unsere persönliche Meinung gesagt oder uns politisch positioniert. Erst mit dem Wechsel von den Theaterpädagoginnen zu den Regisseurinnen haben wir dann unsere «Macht» genutzt, um eine Auswahl zu treffen, die Inputs und Ideen zu sortieren und eben auch auszusortieren.
Kohler:
Und bestimmt ist die Auswahl letztlich gefärbt von unseren eigenen Wertvorstellungen und unserer politischen Haltung, genauso wie von unseren künstlerischen und ästhetischen Vorlieben. Und so soll es ja auch sein.

Das Stück

Die fünfte Produktion des Kinder- und Familientheaters erzählt die Geschichte von Königin Macht, die überraschend zum K8-Gipfel eingeladen wird und den Auftrag erhält, dort die Eröffnungsrede über die aktuelle Weltlage zu halten. Hektik kommt auf im Schloss, wo sonst ein unbekümmertes Leben gelebt wird. Kurzerhand entscheidet sich die etwas andere Thronfolgerin, eine Reise zu unternehmen, um mehr über die Welt zu erfahren und vor allem, um herauszufinden, was es mit der Macht eigentlich auf sich hat.


Es werden acht Vorstellungen im Luzerner Theaterpavillon gespielt. Auf der Bühne stehen drei Kinder, sechs Jugendliche und zwei junge Erwachsene.

Premiere: 9. März 2018

zentralplus: Wie haben Sie dafür mit den Kindern und Jugendlichen gearbeitet?

Sylvie Kohler: Zu Beginn ging es darum, dass die Spieler Worte und Gesten sammeln, die sie mit dem Thema Macht in Verbindung bringen. Wir blieben dabei sehr nahe am Alltag der Spieler, fragten die Kinder: Wann hast du Macht? Weshalb? Wer hat Macht über dich? Es kamen dabei extrem unterschiedliche Antworten zusammen, die vom Schulalltag bis zur Weltpolitik oder Kapitalismuskritik reichten.

zentralplus: Weshalb haben Sie dieses Thema gewählt?

Alina Trieblnig: Ursprünglich war das Buch «Animal Farm» als Grundlage gewünscht. Doch wir beide haben uns entschieden, lieber gemeinsam mit den Spielern ein Stück zu erarbeiten. Wir fragten uns also, worum es bei Animal Farm wirklich geht. Und nachdem wir uns des Themas «Macht» angenommen hatten,  bemerkten wir erst, wie viel es bietet. Es ist allgegenwärtig. Wie, wenn jemand den Bus betritt und Leute ausweichen oder eben nicht.

zentralplus: Gab es in der Gruppe unterschiedliche politische Haltungen oder waren diese sehr homogen?

Kohler: In unserer Gruppe herrschte eine sehr einheitliche politische Haltung. Das war unser Glück. Natürlich gab es Diskussionen und wir haben auch andere Perspektiven aufgezeigt, aber hart auf hart kam es bei den Diskussionen nie. Man muss aber natürlich auch sagen, dass theaterinteressierte Menschen politisch oft in eine ähnliche Richtung tendieren.

zentralplus: Heisst Glück in diesem Fall, dass es schlicht einfacher war?

(Beide lachen und nicken.)
Trieblnig:
Es war definitiv einfacher, als wenn wir Spieler mit ganz unterschiedlichen politischen Haltungen dabeigehabt hätten. Das Ende wäre bestimmt anders herausgekommen. Denn schlussendlich muss das ganze Team hinter einem «Fazit», einer «Moral», des Stücks stehen können. Wir haben auch lange überlegt, ob wir den Schluss offenlassen wollen, aber schliesslich fanden alle, wir würden uns damit aus der Verantwortung stehlen.

zentralplus: Was wollen die Kinder den Zuschauern denn schlussendlich mit «Königin Macht» vermitteln?

Trieblnig: Mein Eindruck ist, dass es ihnen vor allem um den Wunsch nach Mitsprache geht.
Kohler:
Und auch darum, dass der Zuschauer nach dem Stück, wie die Jugendlichen nach den Proben, mit einem anderen Blick durch die Welt geht. Dass er die Machtverhältnisse in der Welt erkennt und sich deren auch im Alltag bewusster wird.

Ein Bild aus den Proben der aktuellen Produktion «Königin Macht».

Ein Bild aus den Proben der aktuellen Produktion «Königin Macht».

(Bild: Britta Krummenacher)

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