Ein Besuch beim Blindengolfkurs in Holzhäusern

Wie man ohne Sehkraft einen Golfball trifft

Golfen ohne Augenlicht: Ein Assistent hilft Jacqueline Egger, damit sie den Ball richtig trifft. (Bild: wia)

Mit dem Schläger auf einen kleinen Ball zielen, ohne diesen zu sehen? Und ihn dann erst noch treffen? Am Wochenende fand im Migros Golfpark in Holzhäusern ein Golfkurs für Blinde und Sehbehinderte statt. Ein Besuch vor Ort versetzte uns in Staunen.

«Pssschhhhht.» Der rügende Laut, der von mehreren Seiten erklingt, hat seinen Grund. Konzentration ist gefragt. Die Gruppe, die auf dem Golfplatz Holzhäusern steht, wird sofort ruhig. Eine Frau mit roter Baseballmütze steht, den Golfschläger in Position, auf dem raspelkurzen Rasen. Sie holt aus, katapultiert den harten weissen Ball einige Meter in die Ferne. «Absolutely lovely», kommentiert Trevor Wisson, der zutiefst britische Golflehrer, der nebenan steht.

Tatsächlich war das ein beeindruckender Abschlag für eine Anfängerin. «Wie weit ist der Ball geflogen?», fragt diese ihren Begleiter. «Etwa 12 Meter», so seine Antwort. Wie alle anderen Teilnehmer des gerade stattfindenden Kurses ist die Frau mit der roten Mütze nämlich nicht nur Anfängerin, sondern auch sehbehindert. Was ihren Schlag tatsächlich «absolutely lovely» macht.

«Now, give me a Whoooosh!», sagt Golflehrer Trevor Wisson. (Bild: wia)

Es ist das zweite Mal, dass die Schweizerische Caritasaktion der Blinden (CAB) auf dem Migros Golfpark Holzhäusern einen solchen Kurs durchführt. Dies, weil der Kurs vor einem Jahr auf grossen Anklang gestossen ist.

Und schon fliegt der Ball in hohem Bogen

Doch wie überhaupt ist das möglich? Alleine das Treffen eines Golfballs – ein Unterfangen, das für so manche Anfängerin herausfordernd ist – bedarf doch der eigenen Sehkraft? Wir sollen ziemlich bald eines Besseren belehrt werden.

Denn nun bringt sich ein Herr vor dem Ball in Position und die Aufmerksamkeit aller richtet sich sofort auf ihn. Thomas Gisler, der den Kurs zum zweiten Mal im Auftrag des CAB durchführt, flüstert: «Jetzt musst du dir das ansehen. Er spielt nämlich unglaublich gut.»

Der Mann stellt sich parallel zum Golf-Tee auf, seine Körperhaltung ist entspannt. Nachdem ihm sein Assistent kurz gezeigt hat, wo sich der Ball befindet und in welcher Richtung das Ziel liegt, setzt der Mann zum Golfschwung an. Tack. Der Ball fliegt in hohem Bogen weit davon und erst noch in die richtige Richtung. Die Anwesenden johlen und klatschen anerkennend. Denn auch wer nichts sieht, weiss, dieser Ball ging weit.

Der Mann, der sich später als Roger Stadler vorstellen wird, ist tatsächlich ein Naturtalent. «Ich habe vor diesem Wochenende noch nie Golf gespielt. Und obwohl ich selber gerne verschiedene Sportarten ausübe und auch gerne passiv mitverfolge, hatte ich bis jetzt wenig Interesse am Golfspiel.» Ein Kollege habe ihn auf den Blindengolfkurs aufmerksam gemacht.

Nun ist der Aargauer hier und verblüfft alle. «Mir fällt es einfacher, auf Distanz zu spielen. Den Ball präzise in Richtung der Fahne zu schlagen, fällt mir hingegen schwerer», sagt Stadler. Er ist nicht vollblind, sondern sieht auf einem Auge noch um die acht Prozent, während er auf dem anderen hell von dunkel unterscheiden kann.

«Was sehbehinderte Golfer brauchen? Einen guten Schwung und gutes Timing. Aber auch Gefühl.»

Roger Stadler, Kursteilnehmer

Was es denn brauche, um auch mit nur wenig Sehvermögen Golf spielen zu können? «Einen guten Schwung und gutes Timing. Aber auch Gefühl», sagt der Aargauer.

Trevor Wisson ist sichtlich begeistert von den Leistungen seiner Kursteilnehmer. «It’s all feel. Wenn man nichts sieht, braucht man viel mehr Gefühl. Das ist auch für mich eine neue Erfahrung. Wir geben allein das Setup und die Bewegung vor. Was die Blinden damit erreichen, ist unglaublich.» Wenn man Wisson zuhört, schmelzen die Vorurteile gegenüber dem vermeintlich elitären Golfsport flugs dahin.

«Wir wollen allen hier ein gutes Erlebnis bieten, wollen es allen ermöglichen, Golf zu spielen. Ganz nach dem Motto der Migros, dass wir Golf für alle bieten. I love this.» Was ebenfalls zu Wissons Aufgaben gehört an diesem Wochenende: Mit trockenem britischem Humor zu kommentieren, wohin der Ball geflogen ist. «Oooh, staay, staay, ups, jetzt ist der Ball im Rough gelandet! Das macht nichts.» Das Rough bezeichnet im Golfslang das hohe Gras. Von dort aus weiterzuspielen, ist naturgemäss deutlich anspruchsvoller.

Fast am Ziel: Noch muss der weisse Ball ins Loch bei der Fahne. Die Assistenten erteilen den Spielerinnen Instruktionen. (Bild: wia)

Summen hilft, nicht zu viel zu denken

Die Art, die am heutigen Tag mit den Teilnehmern gespielt wird, nennt sich Scramble. Alle starten vom selben Punkt und schlagen ihren Ball ab. Die Person, die am weitesten kommt, definiert die nächste Stelle, von der wiederum alle beim nächsten Abschlag weiterspielen. So nähern sich die Teilnehmerinnen langsam dem Green, von wo aus alle Teilnehmer aus derselben Distanz auf die Fahne zielen.

Nicht allen Spielern gelingt der Abschlag auf Anhieb, und das ist kein Wunder. Nur eine kleine Verschiebung der Füsse, nur eine winzige Drehung des Körpers, schon trifft der Schläger nur Luft und vielleicht etwas Gras. Was die Schwierigkeit ausserdem erhöht: Dass die ganze Gruppe rundherum steht und den Abschuss, wenn schon nicht visuell, so doch zumindest akustisch mitverfolgt. Der Organisator und langjährige Golfer Thomas Gisler sagt: «Viele Leute denken beim Abschlag zu viel und werden darum nervös. Was in dem Fall hilft: summen. Wer summt, kann nicht mehr denken nebenher.»

Ein Hobby mit gewissen Hürden

Sheila Brunner ist von Bern angereist, um beim Kurs dabeizusein. Auch für sie ist das Golfen eine neue Erfahrung. Eine, die ihr durchaus gefällt. Bahnt sich da etwa ein neues Hobby an? «Jein. Das Problem ist, dass ich ja immer einen Assistenten brauche. Und da man ja nicht nur eine Stunde golfen geht, würde das sehr teuer werden.» Zumal es ja, um Fortschritte zu erreichen, nicht ausreicht, nur einmal im Jahr zu trainieren.

Doch wer weiss. Beim dem regen Interesse, welches dieser Kurs ausgelöst hat, kann es gut sein, dass sich das Blindengolf mehr und mehr etabliert.

Sheila Brunner ist von Bern angereist, um beim Kurs teilzunehmen. (Bild: wia)

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