Zentrumsentwicklung Baar ist eine Herkulesaufgabe

Wie macht man aus der Dorfstrasse eine Wohlfühloase?

Dorfstrasse in Baar.

(Bild: mam)

Zwei Planer haben sich Gedanken gemacht, wie man den Dorfkern von Baar beleben könnte. Im Zentrum ihrer Überlegung steht die Dorfstrasse, die aufgewertet werden soll. Wie, darüber gehen die Meinungen auseinander. Vor allem das Ausmass des erwünschten Verkehrs sorgt für rote Köpfe.

Baar ist eine 25’000-Einwohner-Stadt, die gern ein Dorf bleiben möchte. Ein Dorf freilich, das nicht davor gefeit ist, seine Seele zu verlieren. Schuld sind nicht nur zahllose gesichtslose Neubauten, schlecht unterhaltene Altbauten und eine Verkehrslawine, die sich täglich durch die Strassen wälzt, sondern auch der Strukturwandel im Detailhandel, der dazu geführt hat, dass im Zentrum von Baar wichtige Geschäfte verschwunden sind.

Die nächste Ortsplanungsrevision steht demnächst vor der Türe und die CVP hatte deshalb vor einiger Zeit eine Motion zur Zentrumsentwicklung eingereicht.

«Dem Zentrum gebührt eine Aufwertung»

Worauf der Gemeinderat eine Stadtanalyse in Auftrag gegeben hat und am Montag die Konsequenz daraus präsentierte. Zusammen mit Bauvorstand Jost Arnold (FDP) präsentierten die beiden Planer Daniel Bauer und Heini Forrer vom Netzwerk Altstadt im Baarer Gemeindesaal ihre Lösungsvorschläge und Ideen für ein Nutzungskonzept.

«Hier ist viel Qualität vorhanden», sagte Bauer. Die Lebensqualität sei gut, die Infrastruktur, die Landschaftsqualität, die Qualität als Wirtschaftsstandort. «Aber es ist wahr, dem Zentrum gebührt eine Aufwertung.» In der Stadtanalyse war ein Dreieck definiert worden, das man als Ortskern aufwerten möchte, um das Absinken Baars zur grauen Vorstadt zu verhindern.

Dorfplatz, Kirchplatz, Bahnhofplatz

Definiert wird es durch den Raum zwischen drei teils zu schaffenden Plätzen: dem Bahnhofsplatz, der als Verkehrsknoten und Standort von Coop und Migros der einzige wirklich belebte Ort im Zentrum ist. Als Zweites der Dorfeingang bei der Pfarrkirche St. Martin – heute eine Kurve mit einem Strassencafé – und schliesslich der Bereich bei der Gemeindeverwaltung.

Der Bahnhofplatz von Baar mit dem Hotel Ibis.

Der Bahnhofplatz von Baar mit dem Hotel Ibis.

(Bild: mam)

Hier soll ein Dorfplatz entstehen, der auch auf die Rathausstrasse und die Dorfstrasse ausgreift und der Tatsache Rechnung trägt, dass hier die meiste historische Bausubstanz steht, die den Wandel der Zeit überlebt hat.

Bitte mehr Stimmung

Was Bauer und Forrer vorschlagen, ist kurz gesagt eine bessere Vernetzung. Zum einen geografisch: Die Durchgänge zwischen Bahnhofsplatz, Poststrasse, Rathausstrasse und Dorfstrasse sollen mehr Ambiente erhalten. Aber auch die Poststrasse, die heute laut Forrer «eine Lieferstrasse der Grossisten ist», soll mehr Charisma bekommen.

Die beiden Planer schlagen vor, Parkplätze im Innenbereich des Gevierts aufzuheben und einen Dorfpark zu schaffen. «Fassen Sie Mut zur Baulücke», sagte Forrer. Der Dorfpark im Zentrum soll mit dem St. Martinspark im Westen des Zentrums und dem Robert-Fellmann-Park an der Ecke Neugasse/Marktgasse so etwas wie eine grüne Achse durch Baar formen.

Verschiedene Gruppen zusammenbringen

Dann sollen auch verschiedenen Anspruchsgruppen vernetzt werden: Grundeigentümer, Detaillisten und Gastronomen sowie die Gemeindebehörden und die Bevölkerung. «Hier ein Klima konstruktiver Zusammenarbeit zu schaffen, ist vermutlich der Schlüssel zu einer erfolgreichen Aufwertung des Zentrums», sagte Bauer. Er schlug dem Gemeinderat vor, einen eigenen Stadtentwickler anzustellen.

Nutzungskonzept des Netzwerks Altstadt für Baar.

Nutzungskonzept des Netzwerks Altstadt für Baar.

(Bild: mam)

Wie stark die Interessen im Einzelnen auseinandergehen zeigt sich anhand der Dorfstrasse, die zu allererst attraktiver werden soll. Die Eigentümer seien natürlicherweise etwas «träge», sagte Bauer, weil sie Investitionen über lange Zeiträume amortisieren. Sie hatten gegenüber den Planern vorgeschlagen, den öffentlichen Verkehr wieder über die Dorfstrasse zu führen.

Quadratur des Kreises

Die Detaillisten und Gastwirte fanden, es gäbe zu viel Verkehr auf der Dorfstrasse. Sie wünschten sich ein besseres Ambiente und eine höhere Aufenthaltsqualität. Auf der andern Seite betonten sie gegenüber den Planern die Wichtigkeit, gut erreichbar zu sein, und wie sehr sie auf Parkplätze angewiesen seien.

Schliesslich gibt es die Bedürfnisse der Bewohner. «Alle begrüssen es, dass auf der Dorfstrasse mehr läuft, aber um 22 Uhr wollen sie ihre Ruhe, um schlafen zu gehen», umschrieb Gemeinderat Jost Arnold das Dilemma.

Besucher und Konsumenten anlocken

Nun sind die Gebäude an der Dorfstrasse nur an ihren Enden ortsbildgeschützt und die zentrale Achse von Baar deswegen ein Wirrwar von Häusern verschiedener Grösse, unterschiedlicher architektonischer Güte und Erhaltungszustand. Kurz: Es gibt keine zusammenhängende historische Bausubstanz oder tolle Architektur, kein ausserordentliches Konsum- oder Naturerlebnis, das Besucher anlocken könnte. 

Doch genau darum geht es den Planern: «Zur Belebung des Zentrums braucht es eine grössere Frequenz», sagte Forrer. Zwei Massnahmen schlagen die Planer als Ausweg vor: Zum einen solle die Bauordnung flexibilisiert werden, nicht mehr nur auf zwei Etagen Gewerbe beherbergen dürfen. «Das könnte eine vielseitigere Nutzung begünstigen», so Bauer. Und eine vielseitige Nutzung ziehe Leute an und stabilisiere die Lage im Zentrum.

Leuchtturm und Baar-City-Turm

Zweitens schlagen die beiden die Realisierung eines Leuchtturmprojekts vor – etwas was in Workshops von den Detaillisten vorgeschlagen worden war. Darunter kann man ein wegweisendes Architekturprojekt verstehen, gewiss aber etwas, das zur vielseitigen Nutzung des Baarer Dorfkerns beitragen soll. Die beiden Planer haben es an der Ecke Bahnhofstrasse/Dorfstrasse verortet. Es könne aber auch anderswo im Zentrum entstehen, so Forrer.

Bei der anschliessenden Diskussion gaben drei Punkte zu reden: Erstens wurde deutlich, dass sich einige Baarer für ein attraktives Zentrum ein offenes Restaurant im Dachgeschoss des Baar-City-Hochhauses wünschen. Arnold versprach, die Idee zu prüfen, die Terrasse während des Sommers dem Publikum zugänglich zu machen.

Tangente ist eine historische Chance

Zweitens gab der beschränkte Perimeter der Zentrumsplanung zu Kritik Anlass. Die Marktgasse, die zwar eine Auto-Einfallsachse ist, aber eben auch viel Gewerbe und Läden beherbergt, bleibt unberücksichtigt. Ebenso der Bereich südlich der Dorfstrasse, wo vor mehreren Jahrzehnten die Parkplätze der Dorfstrasse hin hätten verlagert werden sollen.

Dorfeingang bei der St. Martinskirche.

Dorfeingang bei der St. Martinskirche.

(Bild: mam)

Hauptstreitpunkt aber ist der Verkehr. Ein neues Verkehrskonzept fürs Zentrum ist neben der Aufwertung der Dorfstrasse die erste Massnahme, die der Baarer Gemeinderat anpacken will. «Die Chance, die sich durch die Eröffnung der Tangente im Jahr 2021 bietet, wollen wir unbedingt nutzen», sagte Arnold. Das Baarer Zentrum soll dann von Verkehr entlastet werden.

Für eine verkehrsfreie Dorfstrasse

Nicht wenige der rund 100 Besucher wollten, dass die Dorfstrasse für den Verkehr komplett gesperrt wird. Das sei schon vor 50 Jahren angedacht gewesen, nur hätten die «Lädeler» damals nicht mitgemacht, hiess es. Ein Votant warf den Planern «Mutlosigkeit» vor. Sie hätten sich einfach mit den Detaillisten und Grundeigentümern verständigt und lauter alte Ideen aneinandergereiht. «Wenn ihr die Dorfstrasse nicht zumacht, bringt das alles nichts», rief ein anderer.

Dann fiel der Namen von Kleinstädten, die durch die teilweise Verkehrsbefreiung enorm an Aufenthaltsqualität gewonnen haben: Zofingen, Frauenfeld, Liestal. Die Planer liessen sich davon nicht überzeugen und nannten als abschreckendes Beispiel Lachen: Dort wollte man das historische Zentrum aufwerten, aber Verkehrsberuhigungen hätten dazu geführt, dass das Gewerbe aus dem Zentrum abwanderte.

Einbahnverkehr?

«Es braucht eine gewisse Grösse eines Orts, damit eine totale oder teilweise Sperrung des Verkehrs tragfähig ist und zu einer Belebung führt», sagte Bauer. Sonst könnte es für das Gewerbe «ganz traurig herauskommen». Er blieb bei seiner Meinung, dass ein wenig Verkehr auf der Dorfstrasse weiterhin benötigt werde, um die Läden am Leben zu erhalten.

Offen indes ist, ob der Verkehr in zwei Jahren nicht im Einbahnverkehr durchs Zentrum geführt wird, wie es ja in der Stadt Zug ebenfalls der Fall ist. Die Frage wird geregelt sein, bevor ein noch auszuarbeitendes konkretes Gesamtkonzept für die Zentrumsaufwertung ausgearbeitet ist.

Das Dorfzentrum von Baar.

Blick in die Rathausstrasse. An ihrem Ende soll ein Dorfplatz entstehen.

(Bild: mam)

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1 Kommentar
  • Profilfoto von transit
    transit, 19.06.2019, 17:22 Uhr

    Werte Baarer, nehmt euch bitte kein Beispiel an der Stadt Zug und nehmt den Kunden alle Parkplätze weg. Wenn das passiert verschwindet der Rest der Läden auch noch und dann ist die Dorfstrasse tot. Bedenkt, dass Ladengeschäfte mindestens auf Kurzzeitparkplätze angewiesen sind da die Kapazität vom Parkhaus von Coop und Migros oft schon ausgeschöpft ist.
    Zug hat allen vorgemacht wie man es NICHT machen sollte.

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