Was wird aus der Fläche von 125 Fussballfeldern?

Wie Luzerner Kulturland auf geheimnisvolle Weise verschwindet

Auch die Erweiterung von Bauernhöfen vernichtet Kulturland. Im Bild: Blatten bei Malters mit der Kirche St. Jost. (Bild: Thomas von Allmen) (Bild: Thomas von Allmen)

Die Kulturlandinitiativen Luzern wollen den Verlust von gutem Ackerland stoppen. Im Kanton werden jedes Jahr über 100 Hektaren Nutzfläche überbaut. Aber nochmal so viel Kulturland verschwindet, ohne dass man weiss, wohin. Gibt es etwa einen Bauboom auf Bauernhöfen?

«Als ich jung war, gabs zwischen allen Dörfern viel Landwirtschaftsland», erinnert sich Franz Xaver Kaufmann, Agronom aus Egolzwil. Das ist längst nicht mehr der Fall. Gewerbezonen poppen auf allerbestem Ackerland auf. Gut 100 Hektare landwirtschaftliche Nutzfläche verschwinden im Kanton Luzern jedes Jahr unter Asphalt und Beton. «Mir tut das weh», sagt Kaufmann, der zu den Initianten der Kulturlandinitiativen Luzern gehört.

Bei ihren Recherchen sind die Initianten auf ein weiteres Phänomen gestossen. Zwar wurden in der Periode zwischen 2005 und 2015 rund 113 Hektaren Nutzfläche jährlich überbaut. Aber aus den Statistiken verschwindet weit mehr Land. Zwischen 2010 und 2019 waren es 197 Hektaren Kulturland jährlich. Was passiert mit diesen gegen 100 zusätzlichen Hektaren, die 125 Fussballfeldern und 5 durchschnittlichen Landwirtschaftsbetrieben entsprechen?

Folgen der Digitalisierung

Eine knifflige Frage, für die Kaufmann erst einmal das Bundesamt für Statistik bemühen musste. Dieses hat den genauen Überblick über die Zahlen. Der Kanton kann die Differenz lediglich deuten.

So geht die Dienststelle Landwirtschaft und Wald davon aus, dass ein Teil des spurlos verschwundenen Kulturlandes darauf zurückzuführen ist, dass die landwirtschaftliche Nutzfläche nicht mehr analog erfasst wird, sondern digital. Die Luzerner Landwirte bezeichnen mittlerweile ihre genutzte Fläche auf Luftbildern am Computer.

Wege und Hecken nicht nutzbar

Die Umstellung wurde 2020 in allen Gemeinden abgeschlossen. Sie hat dazu geführt, dass vergessen gegangene Veränderungen sichtbar werden. Gebiete, die bisher als Nutzfläche geführt wurden, aber keine sind, fielen so in den letzten Jahren kontinuierlich aus der Statistik. Es handelt sich insbesondere um Feldwege und Hecken, die als Nutzfläche ausgewiesen waren. Aber auch um Land, das zugewachsen ist und zu Wald wurde.

Beim Kanton geht man davon aus, dass durch die Digitalisierung die Differenz zwischen als überbaut ausgewiesener Nutzfläche und abgemeldeter landwirtschaftlicher Nutzfläche kleiner wird.

Steillagen wachsen zu

Dass Land – vorab im Berggebiet – vergandet, ist langfristig eine schlechte Nachricht für die Artenvielfalt. Denn im Wald herrscht nicht die gleiche Biodiversität wie auf extensivem Kulturland. Wobei Kaufmann relativiert: Gerade Waldränder, die am Verbuschen sind, seien wertvolle Lebensräume für viele Tiere. Ausserdem seien viele Waldränder über eine lange Zeit hinweg eingewachsen, die Veränderung werde nun einfach schnell sichtbar.

In der Tat gibt es Hinweise dafür, dass die Aufgabe von Steil- und Berglagen nicht der Hauptgrund dafür ist, dass Kulturland unerklärlich auf Nimmerwiedersehen verschwindet – sondern nur ein Faktor von vielen. So kommt das Bundesamt für Statistik in seinem Agrarbericht zum Schluss, dass die landwirtschaftliche Nutzfläche in der Schweiz nicht in Berg- und Hügellagen, sondern vor allem in Tallagen unter Druck steht. Also dort, wo das beste Ackerland, die Fruchtfolgeflächen, sind. Sie liegen den Initianten der Kulturlandinitiativen so am Herzen.

Laufställe fressen Land

Als die Initianten kürzlich auf der Liegenschaft Stollen in Malters über ihre Argumente informierten, so geschah dies 200 Meter von einer Baustelle entfernt, wo ein grosser Laufstall entsteht. Sepp Bircher, der den Betrieb Stollen führt, erklärte die Motivation seines Nachbarn: «Solange die Marge beim Milchpreis so gering ist, gibt es wirtschaftlichen Druck, die Betriebe zu erweitern – auch mit grossen Stallungen.»

Nicht nur neue Ökonomiegebäude entstehen auf Kulturland. Auch würde Nutzfläche durch Schwimmbassins oder ausgebaute Rasenflächen um Wohngebäude der landwirtschaftlichen Nutzung entzogen, sagt Franz-Xaver Kaufmann, der früher für den Kanton Luzern arbeitete.

Ackerland ist Mangelware

Bauliche Aktivitäten von beträchtlichem Ausmass in der Landwirtschaftszone tragen also mit dazu bei, dass Kulturland verschwindet – ohne dass sich nachvollziehen lässt, warum. Allerdings ist davon nur die sogenannte landwirtschaftliche Nutzfläche betroffen, die Weideland einschliesst.

Fruchtfolgeflächen, also das gute Ackerland, müssen schon nach heute geltendem Gesetz zu 100 Prozent kompensiert werden, wenn sie überbaut werden. Das gilt auch für Landwirte, die einen Stall oder sonst ein Gebäude darauf realisieren wollen.

Das wird teils zum Problem, hat aber nicht direkt mit den Kulturlandland-Inititativen zu tun, sondern weil der Kanton nur noch über 27'500 Hektaren Fruchtfolgeflächen verfügt und keine Reserven mehr hat. «Es gibt Landwirte, welche ihren neuen Stall deshalb nicht bauen können», sagt Kaufmann.

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