Social Web im Wahlkampf

«Wie in den Sechzigerjahren»

So sahen Wahlplakate 1979 aus - eigentlich genau gleich wie heute. (Bild: Emanuel Ammon/AURA)

Zur Zeit wimmelt es von Broschüren, Plakaten und Standaktionen. Auf Social Media hingegen ist es erstaunlich ruhig. Die meisten Kandidaten setzen auf altbackene Wahlkampfmuster, und das Internet wird stiefmütterlich behandelt. Verschläft die Politik den gesellschaftlichen Wandel?

Im Moment sind die Luzerner Wiesen und Weiden noch frei von der alljährlich wiederkehrenden Güllenplage, auch von Kühen, Blumen und frischen Gräsern ist noch nichts zu sehen. Dafür ist so manche freie Grünfläche übersät mit Wahlplakaten. Auf dem Land sind es vornehmlich bürgerliche Elaborate, in Stadtnähe setzen sich auch die Linken mit Plakaten in Szene. Wer am Samstag einkaufen geht, wird vor der Migros oder dem Coop von eifrigen Kandidaten mit freundlichem Lächeln und viel Papier beglückt. Und die Briefkästen überquellen fast ob der vielen Broschüren der Kandidierenden.

«Tote Hose» auf Facebook

Und im Netz? Dort, wo sich heute viele kennen lernen, wo eingekauft, geflirtet, geschäftet, gestritten und Wissen ausgetauscht wird? Ein Blick auf die Facebook-Seiten der Parteien zeigt, dass im virtuellen Raum wenige Tage vor den Wahlen fast überall «tote Hose» vorherrscht. Zum Zeitpunkt unserer Recherche ist etwa auf der SVP-Seite der letzte Eintrag über 12 Stunden alt, der zweitletzte ist über zwei Tage her und zeigt das SVP-Wahlplakat.

Nur die Grünen sind virtuell aktiv

Die SP hat vor einem Tag das Titelbild der Regierungsratskandidatin Felicitas Zopfi aktualisiert und letzten Sonntag vom Start des «Basiswahlkampfs» berichtet. Bereits über zwei Tage alt ist der letzte Eintrag bei der CVP, der nächste ist bereits sechs Tage her. Vor 19 Stunden war die FDP auf ihrer Seite letztmals aktiv, vor fünf Tagen hat sie immerhin auf ihren Politblog hingewiesen. Ein und zwei Tage alt sind die beiden letzten Posts der Grünliberalen, davor muss man weit in den Februar zurück, um etwas zu finden. Einzig bei den Grünen scheint im Netz etwas los zu sein, der jüngste Eintrag wurde vor einer Stunde gepostet, weitere Nachrichten sind nur wenig älter. Hier scheint man aktiv am Werk zu sein.

Ein ähnliches Bild zeigt sich auf Twitter: Die Accounts der Parteien zeugen nicht gerade von einer wirklich lebhaften Auseinandersetzung. Die raren Tweets sind oft wenig einladend – schwer vorstellbar, dass diese Botschaften den jeweiligen Parteien zum Erfolg verhelfen.

Die Skepsis der Politiker

«Der Wahlkampf wird in der Schweiz auf kommunaler und kantonaler Ebene immer noch vorwiegend konventionell geführt», sagt dazu der Politologe Mark Balsiger. Viele Politiker sehen den Nutzen von Online-Profilen nicht. «Social Media werden immer noch von vielen Leuten skeptisch begutachtet, solche Innovationen in der politischen Kommunikation haben es darum schwer», so Balsiger. Zudem sei ein überzeugender Auftritt etwa auf Facebook zeitintensiv. «Da scheuen viele den Aufwand.»

Diese Portale müssen regelmässig bewirtschaftet werden, es reicht nicht, nur alle paar Tage mal kurz auf Twitter zu gehen und irgendetwas zu veröffentlichen. «Wenn irgendwo eine Diskussion losgeht und man nicht dabei ist, dann hat man bereits etwas verpasst», sagt der Politologe. Wenn man für solche Dinge nicht wirklich genügend Zeit hat, ist es besser, es ganz sein zu lassen, rät Balsiger. «Ein bisschen Mitmachen reicht nicht, so bekommt man kein Profil.» Das gilt auch für Facebook und persönliche Webseiten: «Jeder Coiffeursalon und jeder Turnverein ist heute im Web vertreten, deshalb muss man aus der Masse herausragen, wenn man wahrgenommen werden will», sagt Mark Balsiger.

«Jeder Coiffeursalon ist heute im Web vertreten, deshalb muss man aus der Masse herausragen, wenn man wahrgenommen werden will»

Mark Balsiger, Politologe

Angst vor Patzern im Netz

Selbst internetgeübte Jungpolitiker sind diesbezüglich nicht immer vorbildlich, wie ein geschärfter Blick zeigt: Der SP-Kantonsrat und ehemalige Juso-Präsident David Roth ist zum Beispiel von Mitte Dezember bis Ende Januar auf Twitter völlig abgetaucht. «Das ist vor Wahlen nicht so geschickt, wenn schon hätte er sich abmelden sollen, wenn er etwa ins Ausland verreist», meint Balsiger.

Immerhin hat auf der anderen Seite die Zahl der Politiker abgenommen, die sich im Internet verbale Ausrutscher und Peinlichkeiten geleistet haben. Balsiger: «Es hat in der Vergangenheit verheerende Fälle gegeben, das hat dazu geführt, dass viele vorsichtiger texten.» Möglich, dass sich auch deshalb viele lieber auf der Strasse zeigen als im Web.

Weniger ist mehr

Allerdings ist auch der Wahlkampf auf der Strasse kein Selbstläufer, auch da gilt es, positiv in Erscheinung zu treten. Wer in einer Stunde Hunderten von Leuten eine Broschüre in die Hand drückt, wird laut Balsiger weniger Erfolg haben, als wenn man nach dem Prinzip «weniger ist mehr» vorgeht. «Wenn ein Kandidat mit einer Handvoll Menschen ins Gespräch kommt und einen positiven Eindruck hinterlässt, wird das nachher weitererzählt und so verbreitet.» Das habe viel mehr Breitenwirkung als oberflächliche Kontakte.

Die Wahlen werden diesmal also noch grösstenteils im realen Leben entschieden. Das wird aber nicht so bleiben. «Noch kann man den virtuellen Wahlkampf links liegen lassen», so Balsiger. Es ist auch nicht so, dass die digitale Revolution auf einen Schlag über die hiesige Politlandschaft einbrechen wird. Der Prozess geschieht schleichend, aber stetig. «Bereits in rund zehn Jahren werden die Digital Natives bei den Wählerinnen und Wählern in der Mehrheit sein», so Balsiger. «Wenn man sich dann immer noch verweigert, findet man irgendwann schlicht nicht mehr statt, dann wird man nicht mehr wahrgenommen.»

Die Schweiz hinkt wegen den kleinräumigen Wahlkreisen und dem Milizprinzip der Entwicklung im Netz im Vergleich zum Ausland um Jahre hinterher. Balsiger: «Zudem sinkt bei kantonalen Wahlen die Beteiligung, und den Parteien sterben die Mitglieder weg. Irgendwann sind sie also gezwungen, auf Neues umzustellen.»

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