Bei einem Festival geben Männer den Ton an

Wie es um die Frauen auf den Luzerner Festivalbühnen steht

Am «Funk am See» sind auch dieses Jahr Männer in der Überzahl. Hier eine Aufnahme einer früheren Ausgabe.

(Bild: Silvio Zeder)

Die Sexismusdiskussion in der Musikbranche erhielt jüngst mit der #MeToo-Debatte eine neue Dimension. Doch wie sieht es bei den Luzerner Festivals tatsächlich mit dem Frauenanteil aus? Während drei der Festivals gut abschneiden, trifft man bei einem anderen auf eine reine Männerdomäne.

«Dank den aktuellen Debatten weltweit reduziert man uns sicher weniger auf frustrierte Kampf-Feministinnen», sagt Regula Frei, die Leiterin des Vereins «Helvetiarockt». Dieser setzt sich dafür ein, dass in der Musikbranche ein Frauenanteil von 30 Prozent erzielt wird. Die Frage, ob die Schweizer Musikbranche ein Sexismusproblem hat, ist seit Jahren präsent. In Zeiten der #MeToo-Debatte kann auch die Schweiz nicht länger die Augen verschliessen.

Doch wie sieht es auf den Bühnen von Luzerner Festivals wirklich aus? Werden diese nach wie vor von Männern dominiert?

B-Sides schloss sich internationaler Kampagne an

Das Blatt scheint sich zumindest ein wenig zu wenden. Als erstes Schweizer Festival hat sich das B-Sides dazu entschlossen, der internationalen Initiative «Keychange» beizutreten. Diese setzt sich zum Ziel, bis 2022 gleich vielen Frauen wie Männern auf der Bühne Platz zu geben. Und wahrhaftig: Ein Blick ins Programmheft beweist: Bei 51 Prozent aller Acts befindet sich mindestens eine Frau auf der Bühne. 2017 waren es sogar zwei Drittel (zentralplus berichtete). Bei den Stanser Musiktagen beträgt der Frauenanteil mehr als 50 Prozent, beim Blue-Balls-Festival mehr als 40 Prozent. Das Blue-Balls zählt namhafte Grössen wie Alanis Morissette, Melody Gardot und Jessie J (zentralplus berichtete).

Über den Verein «Helvetiarockt»

Der Verein «Helvetiarockt» – die Koordinationsstelle für Musikerinnen im Jazz, Pop und Rock – setzt sich für die Gleichstellung in der Musikbranche ein. Der Anteil der Instrumentalistinnen in der Schweiz bewegt sich im Durchschnitt zwischen fünf und zehn Prozent.

Mit diversen Projekten und aktiver Nachwuchsförderung will der Verein einen Frauenanteil von 30 Prozent in der Musikbranche erreichen. Ab dann wird eine Gruppe nicht mehr als Minderheit betrachtet und Musikerinnen somit nicht mehr auf das Frausein reduziert.

Ganz anders beim Luzerner Gratis-Open-Air «Funk am See». Die nüchterne Erkenntnis hier: Unter den insgesamt neun Acts befinden sich gerade mal zwei Frauen: Mavi Phoenix und Sophie Lindinger von der Elektro-Pop-Formation «Leyya» (zentralplus berichtete). Dies macht weniger als einen Viertel aus.

Beim Funk am See geben Männer den Ton an

Weshalb sticht das Funk am See derart aus der Menge? Gemäss Moritz Stettler, der beim Funk am See für das Booking verantwortlich ist, habe man zwar mehr Frauen buchen wollen – sei jedoch an diversen Punkten gescheitert. Weibliche Wunsch-Acts habe man zum Teil an andere Open Airs verloren. «Dieses Jahr haben wir nur zwei Künstlerinnen – es hätten aber auch fünf sein können.»

Stettler meint, dass es für das kleine Gratis-Open-Air schwieriger sei, mehr Frauen ins Boot zu holen. Man sei weniger flexibel als andere – als Hauptgrund nennt er die Anzahl Acts. «Mit nur neun Slots muss jeder Act überzeugen.» Andere Festivals hätten die Möglichkeit, einem Künstler eine Plattform zu bieten, das Funk am See wolle in erster Linie dem Publikum etwas bieten, fährt er fort.

«Wir wollen nicht willkürlich Künstlerinnen buchen, die uns nicht überzeugen, nur um mit der Sexismus-Debatte im Reinen zu sein.»

Moritz Stettler, Booker Funk am See

Man habe klare Vorstellungen, wie das Line-up musikalisch aufgebaut sein soll: «Wir wollen nicht willkürlich Künstlerinnen buchen, die uns nicht überzeugen, nur um mit der Sexismus-Debatte im Reinen zu sein», so Stettler.

Anders als das B-Sides, das neben der Musik auch ein politisches Statement abgeben möchte, stehe beim Funk am See die Musik – und keine Genderquote – im Fokus. «Wir waren uns bewusst, dass negative Stimmen aufkommen werden, weil bei uns nur zwei weibliche Artists auf der Bühne stehen werden.» Dass sich die Musikbranche wandelt und vermehrt Frauen eine Plattform geboten wird, begrüsst Stettler. «Das Booking darf jedoch nicht so gesetzt werden, dass man konsequent eine Frauenquote von 50 Prozent anstrebt und dabei andere Kriterien ausser Acht lässt.»

Die Elektro-Pop-Formation Leyya – das Duo Sophie Lindinger und Marco Kleebauer – ist beim diesjährigen Funk am See zu hören:

Zufälliges Booking – oder mit Bedacht?

Hat sich das Funk am See beim Booking zu wenig mit der Geschlechterthematik auseinandergesetzt? «Der Gendergap in der Musikbranche kann nur dann umgangen werden, wenn man beim Booking bewusst auf ein ausgeglichenes Programm achtet», meint Regula Frei von «Helvetiarockt». «Andernfalls besteht die Gefahr, dass aus reiner Gewohnheit ein männerlastiges Programm entsteht.»

«Andernfalls besteht die Gefahr, dass aus reiner Gewohnheit ein männerlastiges Programm entsteht.»

Regula Frei, Geschäftsstellenleiterin «Helvetiarockt»

Auch Marcel Bieri, künstlerischer Leiter des B-Sides-Festival, schliesst sich dem an. In erster Linie wolle man eine Plattform für mutige und innovative Künstler bieten – abseits des Mainstreams.

«Mit der Zeit ist es automatisiert und man braucht nicht einen Extra-Frauen- und Extra-Männer-Gedanken zu spinnen.»

Marcel Bieri, künstlerischer Leiter B-Sides-Festival

Jedoch habe man sich zu Beginn intensiv mit der Genderthematik auseinandergesetzt, bis es sich zu einer Selbstverständlichkeit entwickelt habe: «Mit der Zeit ist es automatisiert und man braucht nicht einen Extra-Frauen- und Extra-Männer-Gedanken zu spinnen», so Bieri. Ob unbewusst oder bewusst: «Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen.» Dem schliesst sich auch Marc Unternährer an, der Programmleiter bei den Stanser Musiktagen ist. Die hohe weibliche Beteiligung ergäbe sich im Programmationsprozess von selbst. Man behalte dies zwar im Auge, bisher war es jedoch nie nötig, konkrete Massnahmen zu ergreifen.

«Man muss nicht alles auf der Welt erklären können. Wir buchen schlichtweg gute Acts.»

Thomas Gisler, «Talent Buyer» Blue-Balls-Festival

Beim Blue-Balls-Festival werde aus reinem Zufall so vielen Frauen eine Plattform gegeben, wie «Talent Buyer» Thomas Gisler meint: «Man muss nicht alles auf der Welt erklären können. Wir buchen schlichtweg gute Acts.»

Wird beim diesjährigen Blue-Balls-Festival zu hören sein: Alanis Morissette.

Braucht es eine Frauenquote?

Die grösseren Festivals argumentieren des Öfteren, dass mit einer Frauenquote die Qualität der Musik nachlasse. Man müsse den Erwartungen der Besucher gerecht werden. Für Regula Frei ist das eine Ausrede: «Andere Festivals beweisen, dass ein vielfältiges Programm mit guter Musik geboten werden kann, bei dem eine 50/50-Quote angestrebt wird.»

Die Festivals in Luzern schneiden im nationalen Vergleich gut ab. Das Hip-Hop- und Rap-lastige Open Air Frauenfeld beispielsweise weist bei den bisher bestätigten Acts nicht mal einen Frauenanteil von zehn Prozent auf. Braucht es demnach eine Frauenquote? Gemäss dem B-Sides-Festival sei diese an sich nicht ausschlaggebend. «Grundsätzlich ist die 50/50-Quote nebensächlich», sagt Marcel Bieri. Vielmehr müsse man sich Gedanken darüber machen, weshalb noch immer darüber diskutiert werden müsse.

Marc Unternährer von den Stanser Musiktagen findet eine Quote bei künstlerischen Prozessen eher problematisch: «Allerdings soll sie im konkreten Fall eingesetzt werden, um formal einen Rahmen zu schaffen, der dann zu einer vertieften inhaltlichen Auseinandersetzung und Suche führt.» Idealerweise werde eine Quote jedoch nur temporär eingesetzt, bis es sich zu einer Selbstverständlichkeit auf allen Ebenen entwickelt habe – das heisst nicht nur auf der Bühne, sondern im ganzen Team bis hin zur Festivalleitung.

«Das Wort Frauenquote ist beinahe eine Art Schimpfwort geworden.»

Regula Frei

Eine strikte Haltung nimmt Regula Frei vom Verein «Helvetiarockt» ein. «Ich war lange gegen eine Quote. Das Wort Frauenquote ist beinahe eine Art Schimpfwort geworden.» Doch mittlerweile glaubt sie, dass es eine brauche: «Ohne eine messbare Zahl und bestimmte Rahmenbedingungen, an denen man sich orientieren kann, ist eine Veränderung anscheinend unmöglich.»

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