1988: Pattsituation zur Allenwindenkuppe

Wie ein Stichentscheid die Luzerner Grünzone rettete

Blick auf die grüne Allenwindenkuppe: Das private Grundstück wird an einen Bauern verpachtet. (Bild: jwy)

Vor über 30 Jahren wollte der Stadtrat einen Teil der Allenwindenkuppe überbauen. Doch dann folgte eine der längsten Debatten im Stadtparlament, die spätabends mit einer faustdicken Überraschung endete. Der damalige Ratspräsident Hugo Fessler erinnert sich an seinen folgenreichen Stichentscheid.

Die Allenwindenkuppe ist die vergessene Grünzone von Luzern. Der Hügel oberhalb der Museggmauer ist in Privatbesitz und seit langem für die Öffentlichkeit gesperrt. Seit Jahrzehnten ist er ein Politikum. Kürzlich kam aus dem Stadtparlament wieder die Forderung nach einem freien Zugang zur Kuppe (zentralplus berichtete).

Ein Bauer bewirtschaftet die 50'000 Quadratmeter grosse Fläche heute. Dass sie bis heute nie überbaut wurde, ist auch ihm zu verdanken: Hugo Fessler. Der ehemalige SP-Politiker war 1988 Präsident des Grossen Stadtrats, als am 10. März eine der längsten und zähesten Sitzungen anstand. 17 Seiten im Protokoll, drei halbe Tage und eine Nachtsitzung waren nötig.

Fessler erinnert sich bei einem Kaffee zurück an die Debatte: «Es ging sehr emotional zu und her und dauerte bis 23.30 Uhr.»

Der ehemalige SP-Politiker Hugo Fessler. (Bild: jwy)

15 zu 15: eine Pattsituation

Das Thema: Der Bebauungsplan der Altstadt und Hochwacht wurde beraten und mit grossem Mehr verabschiedet. Eine separate Detailberatung stand für die Allenwindenkuppe auf dem Programm. Die hatte es in sich und endete mit einer Überraschung.

Der Stadtrat wollte Teile der Kuppe zu einer Bauzone umwandeln. 11'000 der insgesamt 50'000 Quadratmeter auf zwei Streifen im Norden und Westen der Parzelle sollten für «Leute mit hohen Ansprüchen» überbaut werden, wie es im Protokoll heisst.

«Ich bin danach vom Kommissionspräsidenten angefeindet worden.»

Hugo Fessler, ehemaliger SP-Politiker

Doch es gab Widerstand und einen Antrag, dass die Grünzone vollständig erhalten bleibt. Neben den geschlossenen Fraktionen der Grünen und der SP unterstützten auch vier Bürgerliche das Begehren.

15 zu 15 Stimmen waren es nach der hitzigen Debatte. Unentschieden, auch nach wiederholter Abstimmung. Ein Fall für den Ratspräsidenten. Hugo Fessler sorgte schliesslich mit seinem Stichentscheid dafür, dass die gesamte Allenwindenkuppe grün bleibt.

Ab hier geht's nicht mehr weiter: Der Zugang zur Allenwindenkuppe ist nicht gestattet. (Bild: jwy)

Der Entscheid fiel gegen den Willen des Stadtrates und der vorberatenden Baukommission. «Ich bin danach vom Kommissionspräsidenten angefeindet worden», sagt Fessler und lacht. Er habe falsch abgestimmt, wurde ihm vorgeworfen. Mit dem Entscheid für die komplette Grünzone wurden andere Anträge für einen kleineren Überbauungsanteil hinfällig. «Aber das war korrekt so, sagt Fessler rückblickend über den wohl folgenreichsten Entscheid seiner Polit-Karriere.

Zur Person

Hugo Fessler ist pensionierter Verkehrsingenieur und hat über 30 Jahre für die SBB gearbeitet. Er sass 14 Jahre für die SP im Luzerner Stadtparlament und war Präsident des VCS Luzern. Als Vizepräsident der IG öffentlicher Verkehr sitzt er heute noch in der Luzerner Verkehrskommission.

Dass auch vier Bürgerliche für die Grünzone stimmten, hat Fessler überrascht. «Sogar der spätere Baudirektor Kurt Bieder war dafür», sagt Fessler. Der FDP-Stadtrat machte sich bei linken Politikern nicht unbedingt durch eine nachhaltige Bodenpolitik beliebt.

«Bevorstehende Entschädigungsforderungen in Millionenhöhe wogen am Ende knapp weniger schwer als die Aussicht auf ein neues städtisches Naherholungsgebiet», hiess es damals in der SDA-Meldung tags darauf. Indes: Das öffentliche Naherholungsgebiet bleibt bis heute ein Traum und hat sich nicht bewahrheitet.

Kompromiss wurde abgeschmettert

Mit dem damaligen Vorschlag des Stadtrats wären heute zwar nur noch 35'000 der insgesamt 50'000 Quadratmeter unbebaut. Dafür stünden sie wohl der Öffentlichkeit zur Verfügung. Damit war die Familie Hauser als Eigentümerin des Grundstücks einverstanden.

Es ging im Rat an diesem 10. März 1988 um Entschädigungspflichten, um gute Wohnlagen, verdichtetes Bauen, kurze Pendelwege, Artenreichtum – und auch um schlittelnde Kinder (damals durften sie das auf der Wiese noch). Der Erhalt von Wald und Baumgruppen stand den Interessen der Grundbesitzer gegenüber.

Hier liegt die Allenwindenkuppe:

Und es wurde damals schon die Parallele zur Hausermatte am See gezogen, die ebenso wie die Allenwindenkuppe der Familie Hauser (Hotel Schweizerhof) gehört. «Die Stadt hat der Familie Schaufelberger-Hauser ermöglicht, ihr Geld gewinnbringend anzulegen. Andererseits nahmen aber diese Besitzer keinerlei Rücksicht auf die Interessen der Stadt», hiess es etwa in der Debatte.

Hier wie dort gab es Konflikte um das Wegrecht. Bei der Hausermatte ermöglichte erst eine Aufschüttung im See einen durchgehenden Uferweg.

Angst vor Entschädigungsforderungen

Sieht sich Fessler als Retter der Allenwindenkuppe? «Ja, durchaus. Der Entscheid war nachvollziehbar und logisch», sagt er. Dennoch gab man ihm zu verstehen, was man davon hielt. Der damalige CVP-Finanzdirektor Armand Wyrsch sagte in Anspielung auf befürchtete Millionen-Entschädigungen, er sei der teuerste Grossstadtratspräsident. «Aber es gibt doch kein Anrecht auf Einzonung!», sagt Fessler.

Die Stimmbevölkerung gab ihm sechs Jahre später Recht und sagte Ja zur Grünzone Allenwindenkuppe. Auch das Bundesgericht als letzte Instanz stützte den Entscheid 1998. Seither wartet die Bevölkerung vergeblich auf öffentliche Wege über die Kuppe.

Musegg-Parking war schon Thema

Ein anderer interessanter Vorschlag kam in der Debatte von 1988 übrigens von den Grünen zum Schwanenplatz: Sie reichten einen Antrag ein, das Tor zur Altstadt von Parkplätzen frei zu halten und der Grünzone zuzuweisen. Auch über ein unterirdisches Parkhaus-Projekt für die Altstadt unter dem Musegghügel wurde bereits gestritten. Beides war chancenlos, zeigt aber, dass die Themen manchmal auch Jahrzehnte später noch die gleichen sind.

Die Antwort des Stadtrats auf den neusten SP-Vorstoss bleibt abzuwarten. Stadtpräsident Beat Züsli (SP) sagte kürzlich zu zentralplus, das Ziel einer offenen Kuppe werde längerfristig weiterhin angestrebt. Aber: «Leider sind die derzeitigen Verhandlungen mit der Familie Hauser für ein öffentliches Fusswegrecht gescheitert.» Ohne Zustimmung der Grundeigentümer sei eine Öffnung für die Bevölkerung praktisch nicht möglich.

«Die Kuppen der Stadt Luzern sollten grün und frei bleiben, wie es auch im Zielkatalog der Stadtplanung festgelegt ist», findet Hugo Fessler, der am Fusse des Dietschibergs wohnt. Er hofft auch 32 Jahre nach seinem Stichentscheid, dass die Allenwindenkuppe dereinst geöffnet wird. «Aber solange die Hausers trotzen …»

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Marcel Homberger
    Marcel Homberger, 27.01.2020, 16:29 Uhr

    Bravo Hugo! Du hast vor mehr als 30 Jahren schon für den Erhalt von Kulturland gesorgt!

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