Jugendzirkus Tortellini ist ein Lebensprojekt

Wie aus einem Kinderspiel eine Zirkusschule wurde

Drei Nachwuchstalente des Zirkus Tortellini üben sich auf dem Fahrrad. (Bild: zvg)

Der Jugendzirkus Tortellini, der erste seiner Form in Luzern, wird 33 Jahre alt. Aus einem ursprünglichen Zeitvertreib am Mittwochnachmittag wurde eine Zirkusschule, die heute mehrere Personen beschäftigt – und noch mehr Menschen für den Zirkus begeistert.

Es ist Dienstagabend. Draussen ist das Wetter grau wie auch der Beton der vielen Baustellen im Littauer Quartier Grossmatte. Doch drinnen in den Räumen der Zirkusschule Tortellini wohnt die Farbe. Über 20 Kinder zwischen sieben und elf Jahren präsentieren hier ihr Können auf Hochrädern, an Tüchern hängend in der Luft und als Pyramide gestapelt.

Das Training heute läuft anders als üblich, denn Eltern, Grosseltern und Geschwister sitzen auf Bänken und Matten, um die Kunststücke zu sehen. Zwischen farbigen Samtvorhängen, unter Trapezen und Ringen, die von der Decke hängen, proben hier wöchentlich rund 140 Kinder in verschiedenen Gruppen ihre Zirkus-Skills.

Caflischs ältester Sohn auf dem Einrad

Mittendrin dreht sich Ursi Caflisch, hält da eine Hand, die sich vom Hochrad ihr entgegenstreckt, trägt Bänke herum und klatscht begeistert in die Hände. «Dieses Mädchen, da drüben mit dem grünen T-Shirt, sie ist heute das erste Mal dabei», kommentiert sie, ohne die Augen abzuwenden, und man kann ihre Begeisterung darüber definitiv nachempfinden.

«Wir liehen uns Bücher über Zirkus und Artistik aus, brachten uns alles selbst bei.»

Ursi Caflisch, Gründerin des Zirkus Tortellini

Ursi Caflisch ist Gründerin der Zirkusschule Tortellini und war davor zwanzig Jahre lang Leiterin des Jugendzirkus, den sie gemeinsam mit ihrem Bruder Tobias in der Kindheit gründete. Acht und zehn Jahre alt waren die beiden, als sie an Mittwochnachmittagen mit dem Zirkusspiel begannen.

Dann wurde an allen Türen des Quartiers geklingelt und die Eltern versammelten sich um 17 Uhr mit ihren Gartenstühlen, um die Kindervorstellungen zu sehen. Erst mit dem Einrad-Boom 1993 erwachte bei den Kindern der Ehrgeiz: «Wir liehen uns Bücher über Zirkus und Artistik aus, brachten uns alles selbst bei», erzählt Caflisch. Und so blieb es auch.

«Tortellini» ist Caflischs Lebensprojekt. Eine Pause vom Zirkus gab es für die heute 40-jährige Physiotherapeutin nie. Und nun fährt auch schon der älteste ihrer drei Söhne auf dem Einrad durch die Halle.

Als der Zirkus zu ihrem Beruf wurde

In einem spielerischen Setting lernen unterschiedlichste Menschen in der Zirkusschule einerseits technische Fertigkeiten in verschiedensten Zirkusdisziplinen, schulen Kondition, Koordination, Balance und trainieren ihre Fitness.

Es wird jedoch auch gemeinsam Neues erarbeitet und die Sozialkompetenz gefördert – durch das Einstudieren von Zirkusnummern und das Auftreten, ist Caflisch wichtig zu betonen. Es gibt Hula-Hoop-Kurse, Trainings für Späteinsteiger, für Erwachsene, für Menschen mit oder ohne Behinderungen, beim J&S oder für den Ferienpass – das Angebot ist riesig und wird stetig erweitert.

Drei Mädchen zeigen bei einer Aufführung, was sie akkrobatisch schon drauf haben. (Bild: zvg)

Gegründet wurde die Zirkusschule im Jahr 2008, nach dem 20-Jahr-Jubiläum des Jugendzirkus Tortellini. Da entschied sich Ursi Caflisch, den Zirkus zum Beruf zu machen.

Schon im Jugendzirkus seien sie früh überrannt worden, als sie sich aus dem Quartier wagten. Und mit der Zirkusschule ging es Caflisch nicht anders: «Wir hatten am Anfang 50 Plätze anzubieten – und hundert Anmeldungen.»

Um kurz klarzustellen: Es gibt den Verein Tortellini. Und unter dessen Dach existieren der Jugendzirkus sowie die Zirkusschule – zu grössten Teilen unabhängig voneinander.

Mit einer Produktion gegen 3'000 Zuschauer

Der Jugendzirkus mit seinen 16 Mitgliedern zwischen 11 und 21 Jahren ist selbstorganisiert – komplett basisdemokratisch. Die älteste in der Runde, Solvej Canova, übernimmt trotzdem ein paar der offiziellen Aufgaben. Sie ist seit zehn Jahren dabei, ihr halbes Leben, und hat bereits sechs Produktionen miterlebt und mitverantwortet.

«Man wächst im Jugendzirkus in viele Aufgaben auch einfach rein.»

Solvej Canova

Ein zeitaufwendiges Hobby, da auch alle vom Jugendzirkus ein Instrument beherrschen, Theater spielen und artistische Nummern einstudieren. Wer also hier dabei ist, muss alles gern machen. Auch mitdenken und organisieren. «Man wächst im Jugendzirkus in viele Aufgaben auch einfach rein», sagt Canova. Und offenbar auch in berufliche Ziele und persönliche Freundschaften. So wird sie bald eine Ausbildung im Bereich Psychomotorik starten und wohnt nun auch mit einer Freundin aus dem Jugendzirkus zusammen.

Canova ist Teil der dritten Leitung nach den Geschwistern Caflisch, die damals den Schritt vom Quartier- zum Jugendzirkus machten. In kleinen Schritten ist dieser dann über die Jahre immer professioneller geworden. Seit 1999 werden die Produktionen von Profi-Theaterschaffenden wie von Livio Andreina oder Nina Halpern inszeniert. Und mit einer Produktion erreicht der Jugendzirkus mittlerweile gegen dreitausend Zuschauerinnen und Zuschauer. Im Spätsommer 2019 wurde die Produktion Countess of Kent aufgrund der grossen Nachfrage gar mit fünf Zusatzvorstellungen aufgeführt.

Auf dem Weg zu dieser Erfolgsgeschichte gab es auch viele Kämpfe auszufechten. Ausserhalb der «Manege». Tortellini war der erste Kinderzirkus in Luzern, so Caflisch: «Wir mussten jeden Schritt erkämpfen, uns immer beweisen und die Kritiker überzeugen.» Sie erinnert sich an die Überzeugungsarbeit, die sie als Kinder leisteten, um erstmals die Maihof-Turnhalle für ihr Training zu bekommen oder um beim J&S anerkannt zu werden. Der Zirkus fällt bei Kultur und Sport in der Förderung und punkto Anerkennung oft durch die Maschen, denn er ist nichts von beidem – oder vielleicht besser: beides.

Jana Avanzini ist die Verfasserin dieses Artikels.

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