Gansabhauet in Sursee – mehr als ein alter Zopf

Weshalb noch nie eine Frau der armen Gans den Kopf abschlug

Ziel ertasten: Die Schläger sehen unter der Maske nichts und sind leicht beschwipst.

(Bild: zvg)

Am Sonntag wird in Sursee wieder eine Gans geköpft. Ist die Gansabhauet nicht ein alter Zopf in Zeiten grassierender Tierliebe? Oder doch eine tolle Tradition, zumal seit 2012 Unesco-Kulturerbe? Und wieso gelang das Köpfen noch nie einer Frau? Viele Fragen – zentralplus sucht Antworten.

Der Gansabhauet in Sursee ist ein Spektakel, an dem sich das Volk amüsieren kann. Ob der traditionelle Anlass auf die mittelalterlichen Zehntenabgaben an die Klöster Muri, St. Urban und Einsiedeln am Martinitag, dem 11.11., zurückgeht, ist historisch nicht ausreichend belegt.

Sicher ist, dass ähnliche Bräuche um das wertvolle Tier früher in ganz Europa verbreitet waren: Das Fleisch und die Leber der Gans galten als Delikatessen und die Federkiele leisteten beim Schreiben gute Dienste. Der archaische Brauch ist von höchster Stelle geadelt: Der Gansabhauet wurde 2012 auf die Liste der lebendigen Traditionen in der Schweiz im Rahmen des Unesco-Übereinkommens zur Bewahrung des immateriellen Kulturerbes genommen.

Und so geht die Gansabhauet

Gekleidet in einen roten Umhang, ausgerüstet mit einem stumpfen Dragonersäbel, die Augen hinter der goldenen Sonnenmaske verbunden, versuchen Freiwillige das an einem Drahtseil aufgehängte Federvieh mit einem einzigen Hieb herunterzuschlagen. Alle Freiwilligen haben einen Schlag, das Los entscheidet über die Reihenfolge.

Vorfreude: Hier wird die Gans aufgehängt, bevor ihr der Kopf abgeschlagen wird.

Vorfreude: Hier wird die Gans aufgehängt, bevor ihr der Kopf abgeschlagen wird.

(Bild: zvg)

Wem das Kunststück gelingt, dem winkt neben Ruhm und Ehre auch ein Festmahl: Der erfolgreiche Schläger darf die Gans mit nach Hause nehmen. Um 15.15 Uhr darf der erste Schläger – nach einem Glas Wein und einigen Drehungen um die eigene Achse leicht beschwipst – sein Glück versuchen.

«Es ist gut, wenn die Diskussion über den Sinn der Gansabhauet geführt wird.»

Michael Blatter, Präsident der Gansabhauet-Kommission 

Rahmenprogramm für Kinder

Zwischen den einzelnen Schlägen können sich die Kinder beim «Stangechlädere» ein Geschenk sichern, beim «Sackgompe» gegeneinander antreten oder sich beim «Chäszänne» mit einer möglichst verrückten Grimasse ein Stück Käse verdienen.

Für eine besondere Atmosphäre in der Surseer Altstadt sorgen am frühen Abend die Kinder mit ihren «Räbeliechtli». Der Lichterumzug startet um 17.15 Uhr beim Untertor und führt danach durch die autofreie und verdunkelte Altstadt zum Alterszentrum St. Martin.

Trotz aller Bekanntheit des Brauches bleiben ein paar Fragen, die wir dem 46-jährigen Stadtarchivar und Präsidenten der Gansabhauet-Kommission Michael Blatter stellten.

zentralplus: Michael Blatter, der Brauch mutet archaisch und unserer Zivilisation nicht mehr würdig an. Wie haben sich Tierschützer über die Jahre verhalten?

Michael Blatter: Es gibt immer wieder kritische Rückmeldungen: Briefe, Mails und Diskussionsbeiträge in Online-Foren. Die meisten bleiben aber sachlich. Und es ist auch gut, wenn die Diskussion über den Wert von Brauchtum oder den Sinn der Gansabhauet geführt wird.

zentralplus: Wann gab es die heftigste Kritik?

Blatter: Auf einem Text des Bundesamtes für Kultur – zuständig für die Unesco-Liste der lebendigen Traditionen – hatte sich ein Übersetzungsfehler eingeschlichen. Dass die Gans «morte», also tot sei, fehlte in dem einen französischen Satz. Darauf gab es heftige und sehr empörte Kritik aus der Romandie – bis das Missverständnis aufgeklärt werden konnte.

zentralplus: Heute ist die Gans also bereits tot, bevor sie geköpft wird. War sie in früheren, brutaleren Zeiten des Mittelalters denn noch lebendig?

Blatter: Nein, sicher nicht.

zentralplus: Gab es auch schon Unfälle, als die angeheiterten Schwertschläger danebenhauten?

Blatter: Meines Wissens noch nicht – und ich hoffe auch nicht, dass je ein Unfall passieren wird.

«Es ist eine Frage der Zeit, bis es endlich einer Frau glückt, eine Gans zu gewinnen.»

zentralplus: Wie viele Schläge braucht es durchschnittlich?

Blatter: Zwischen zwei und zehn Schlägen.

zentralplus: Frauen kamen noch nie in die Kränze. Sind sie zu zaghaft und zu wenig blutgierig?

Blatter: Das hat nichts mit Brutalität zu tun, auch nicht unbedingt mit archaischer Kraft, sondern vielmehr mit Technik und Können. Und das bringen bekanntlich auch Frauen mit. Dass es bis jetzt noch keiner Frau gelungen ist, liegt vielleicht schlicht am Zufall und an den Zahlen: Von den rund 100 Freiwilligen, die sich jedes Jahr anmelden, um ihr Glück zu versuchen, sind jeweils nur etwa 10 Prozent Frauen dabei. Es ist also eine Frage der Zeit, bis es endlich einer Frau glückt, eine Gans zu gewinnen.

Fachmann und Kommission-Präsident: der Surseer Michael Blatter.

Fachmann und Kommissionspräsident: der Surseer Michael Blatter.

(Bild: zvg)

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