Frauenstreik: So reagieren öffentliche Betriebe

Weshalb Luzernerinnen frei nehmen müssen, wenn sie streiken wollen

Nicht nur Plakate werden von den Aktivistinnen gestaltet.

(Bild: ida)

Frei nehmen und dem Chef vorab sagen, dass man am 14. Juni streikt: So lauten die Anweisungen öffentlicher Arbeitgeber, wenn sich Luzernerinnen am diesjährigen Frauenstreik beteiligen möchten. Andernfalls drohten «zwangsläufig disziplinarische Massnahmen», wie es bei einem Luzerner Betrieb heisst.

Ein Haus brennt lichterloh, die Feuerwehr rückt nicht aus. Studenten sitzen in der Uni vor einem leeren Rednerpult. Ein Streit eskaliert, die Polizei wird gerufen. Niemand kommt. So sähe es aus, wenn alle Frauen die Arbeit niederlegen würden. Unter dem Motto «Wenn Frau will, steht alles still» streiken auch in Luzern am 14. Juni die Frauen wieder (zentralplus berichtete).

Obwohl die Bedeutung des Streiks heruntergespielt wird, der scheinbar bei den öffentlichen Arbeitgebern kaum Thema sein soll, scheinen sich Polizei, Spital, Schulen & Co. zu wappnen. Das Chaos soll vermieden werden – so lautet der Tenor. Dennoch äussern sich die Arbeitgeber zurückhaltend, insbesondere wenn es um die Frage nach Konsequenzen geht.

Chef fragen und frei nehmen

Auf Seiten des Kantons heisst es, dass «die üblichen Bedingungen» gelten würden. Christian Hodel, Kommunikationsbeauftragter des Kantons sagt, dass der Dienstbetrieb sichergestellt werden muss und keine «höherrangigen öffentlichen Interessen dagegensprechen» dürften. Und weiter: «Die Teilnahme am Frauenstreik gilt nicht als Arbeitszeit.» Die Angestellten müssen sich folglich Zeit freischaufeln, einen Ferientag eingeben und dies mit den Vorgesetzten absprechen.

Und der Tenor lautet bei allen gleich: Sowohl Lehrerinnen als auch Angestellte der VBL, Ärztinnen und Pflegerinnen des Luzerner Kantonsspitals und Dozierende an der Universität Luzern müssen, sofern sie am 14. Juni streiken wollen, frei nehmen und dies mit den Vorgesetzten absprechen.

Für Lehrerinnen gilt die Fürsorgepflicht

Alex Messerli, Präsident des Luzerner Lehrerinnen- und Lehrerverbands (LLV) und Hans-Peter Heini, Departementssekretär Bildung und Kultur betonen insbesondere die Sorgfaltspflicht, die Lehrerinnen gegenüber ihren Schülern haben. «Lehrpersonen wie auch Staatsangestellte können nicht einfach von sich aus streiken», so Messerli.

Heini betont, dass Lehrerinnen dazu verpflichtet sind, die ihnen anvertrauten Schüler zu unterrichten und zu betreuen. Wer folglich am 14. Juni auf die Strassen gehen möchte, der muss die Unterrichtslektionen und das Betreuen der Schüler durch eine Stellvertretung sichern.

«Einen normalen Alltag an einem Frauenstreiktag zu erwarten, wäre naiv.»

Alex Messerli, Präsident LLV

Messerli ist der Ansicht, dass die meisten Lehrerinnen und Schülerinnen am 14. Juni wie üblich in den Klassenzimmern sind: «Nicht alle Lehrerinnen werden im Kanton die Arbeit niederlegen und es wird sicher auch viele Klassenzimmer geben, da ist der Frauenstreik kein Thema.» Dennoch sagt er: «Einen normalen Alltag an einem Frauenstreiktag zu erwarten, wäre naiv.» Denn Messerli hofft, dass der Wunsch nach Gleichberechtigung möglichst breit diskutiert wird.

Obwohl der LLV jegliches Solidaritätszeichen begrüsse, welches «auf konstruktive Weise auf existierende Ungleichheiten und Diskriminierungen» aufmerksam mache, wird der Streik nicht an die grosse Glocke gehängt. «Wir rufen nicht zum Streik auf», sagt Messerli.

Prüfungsfreier 14. Juni scheiterte an der Uni

Ebenfalls begrüsst wird der Frauenstreik von der Universität Luzern: «Es ist leider auch an der Universität Luzern noch immer der Fall, dass der Anteil an Frauen bei Dozierenden, Professuren aber auch bei den Ehrendoktoraten oder Leitungspersonen zu niedrig ist», sagt der Kommunikationsbeauftragte Lukas Portmann.

Am 14. Juni finden zwar keine Vorlesungen statt, denn es ist Prüfungszeit. Die Uni sei von der Frauenstreikgruppe angefragt worden, an diesem Tag keine Prüfungen durchzuführen. Jedoch sei die Anfrage so spät gekommen, dass es nicht mehr möglich gewesen sei, dies anders zu organisieren. Beim Planen von Prüfungen seien viele Interessen zu berücksichtigen, so etwa dass eine Person nicht mehr als eine Klausur pro Tag hat. Schlussendlich sei es auch sehr kompliziert: «Darum konnte der 14. Juni nicht zum prüfungsfreien Tag gemacht werden», so Portmann.

«Zwangsläufig disziplinarische Massnahmen»

Damit das Luzerner Kantonsspital die Dienste aufrechterhalten kann und die Patienten auch am 14. Juni betreuen kann, gelten auch hier dieselben Streikregeln. Und auch die VBL möchte garantieren, dass ihre Busse die Passagiere wie gewohnt von A nach B bringen. Bei der VBL hätten die Angestellten auf Nachfrage kein grosses Interesse an einer möglichen Teilnahme gezeigt. Falls dies gewünscht werde, würde man eine Lösung finden, meint Walter Jenny, Leiter Personal bei der VBL: «Allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, welchen es ein Anliegen ist, am Frauenstreik teilzunehmen, werden wir dies ermöglichen.»

«In erster Linie muss der Polizeialltag gewährleistet werden.»

Christian Bertschi, Mediensprecher Luzerner Polizei

Christian Bertschi, Mediensprecher der Luzerner Polizei, betont: «In erster Linie muss der Polizeialltag gewährleistet werden.» Wenn Polizistinnen fehlen, müssen andere Polizisten aufgeboten werden, Dienstpläne entsprechend gemacht werden. Denn die Polizei muss auch am 14. Juni ausrücken können. Die Frauenstreikgruppe Luzern plant eine Demonstration: Und in der Regel wird jede bewilligte Demonstration von der Polizei begleitet.

Und was passiert, wenn eine Mitarbeiterin an besagtem Tag unangekündigt nicht am Arbeitsplatz erscheint? Die angefragten Personen antworten zurückhaltend. Laut Walter Jenny, Leiter Personal bei der VBL, habe dies «zwangläufig disziplinarische Massnahmen zur Folge». Bei der Universität heisst es, dass dies die Vorgesetzten entscheiden, unter Berücksichtigung des Einzelfalls. Und Alex Messerli vom LLV geht erst gar nicht davon aus, dass eine Lehrerin am 14. Juni unangekündigt vom Klassenzimmer fernbleibt. Denn dafür sei das Verantwortungsbewusstsein eines Lehrers zu hoch.

Und was darf Frau denn nun?

Frau darf also streiken, wenn sie die Arbeitsniederlegung vorab ankündigt, der Chef das erlaubt und die Streikerinnen frei nehmen. Ist das denn überhaupt zulässig?

Ja, sagt Gabriela Riemer-Kafka. Sie ist emeritierte Professorin für Sozialversicherungs- und Arbeitsrecht und Lehrbeauftragte an der Universität Luzern. Beim Frauenstreik handelt es sich nicht um einen eigentlichen Streik, so Riemer-Kafka. Vielmehr sei es eine «politische Protestkundgebung gegen Frauendiskriminierung». Grundsätzlich werden auch alle Frauen dazu aufgerufen, mitzustreiken.

Das Recht auf Streik steht zwar seit 1999 in der Bundesverfassung. Von einem Streik im Sinne des Gesetzes ist dann die Rede, «wenn Arbeitnehmer kollektiv die geschuldete Arbeitsleistung gegenüber dem eigenen Arbeitgeber verweigern zwecks Durchsetzung von Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen – wie beispielsweise höhere Löhne – und dies von Gewerkschaften organisiert wird». 

Die in den GAVs verankerte absolute Friedenspflicht ist für den Frauenstreik rechtlich nicht relevant, da es kein Streik ist. Da die Arbeit jedoch niedergelegt wird, die Frauen also frei nehmen, müssen «Streikerinnen» vom 14. Juni das laut Riemer-Kafka tatsächlich mit dem Vorgesetzten absprechen. Wer das nicht tut, muss mit Konsequenzen rechnen: Der Lohn muss für die Zeit, in der gestreikt wurde, nicht bezahlt werden. Allenfalls kann sogar ein Ersatz für allfällig verursachte Schäden gefordert werden. «Auch eine Kündigung wäre nicht missbräuchlich», sagt Riemer-Kafka, «eine fristlose meines Erachtens hingegen schon.»

Und wie sieht es mit dem Freinehmen aus? «Persönlich würde ich – auch wenn als Grenzfall – durchaus auch die Teilnahme an einem Frauenstreik nicht an das Ferienguthaben anrechnen», sagt Riemer-Kafka. Denn es handle sich um Belange, die auch die Arbeitsbedingungen der Frauen und die Fürsorgepflicht der Arbeitgeberin, jegliche Diskriminierung zu unterlassen und die Gleichstellung zu fördern, beträfen. Letztlich diente dies der Reputation des Unternehmens und dem Arbeitsplatz Schweiz, so Riemer-Kafka.

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