Medienpädagogin Saskia Nakari referierte in Zug

Weshalb die Pornoindustrie und nicht das Darknet verflucht werden sollte

In 88 Prozent von «Mainstream-Pornos» wird Aggression gegenüber von Frauen gezeigt. Der Medienpädagogin bereitet das Sorgen. (Symbolbild: Adobe Stock)

In Zürich eskalierte kürzlich aufgrund eines Instagram-Posts eine Party. Und vor einigen Wochen wurde aus Cybermobbing eine handfeste Schlägerei. Doch wie gefährlich sind soziale Medien wirklich? Antworten darauf hat Medienpädagogin Saskia Nakari. Grössten Handlungsbedarf sieht sie jedoch in der Pornobranche.

Eine Party eskaliert, die Polizei rückt aus. Wegen eines Instagram-Posts.

Junge Frauen, die im Internet gemobbt werden, wehren sich in einem Video. Dieses geht in den sozialen Medien viral. Aus den anfänglich virtuellen Beleidigungen werden geballte Fäuste in der Realität: Es kommt zur Schlägerei.

Zwei reale Ereignisse, die sich in der Schweiz in den vergangenen Wochen zugetragen haben. Soziale Medien sind im Alltag vieler Jugendlicher und Erwachsener nicht mehr wegzudenken. Doch darin lauern viele Gefahren.

Am Mittwochabend referierte Saskia Nakari in der Bibliothek Stadt Zug, die Veranstaltung wurde organisiert durch das Amt für Gesundheit. Nakari ist diplomierte Medienpädagogin am Stadtmedienzentrum Stuttgart. Wir haben Sie zu den aktuellen Ereignissen befragt.

zentralplus: Frau Nakari, Sie referierten in Zug darüber, wie soziale Medien das Körpergefühl von Jugendlichen beeinflussen. Was macht die Anzahl Likes und Follower mit uns?

Saskia Nakari: Gerade Mädchen spüren oftmals einen enormen Druck, wenn sie sehen, wie andere Frauen aussehen und was für ein tolles Leben sie führen – oftmals perfekt inszeniert. Durch Instagram & Co. werden durch Influencerinnen Gedanken nahbarer, wie man den eigenen Körper formen und in ihn investieren kann, greifbarer. In den 90er-Jahren waren das nur wenige Topmodels wie Claudia Schiffer, die man vom Fernsehen kannte. Sie waren unnahbar.

zentralplus: Messen Jugendliche ihr Selbstwertgefühl daran, wie viele Likes sie sich unter dem neusten Selfie ergattert haben?

Nakari: Ja, unter Freundinnen gibt es oftmals einen Wettbewerb, wer mehr Likes hat. Bei einem fremden Instagram-Account blickt man zuerst auf die Zahlen, sprich wie viele Follower und wie viele Likes sie haben. So messen sie die Beliebtheit und den Erfolg einer Person.

Saskia Nakari ist diplomierte Medienpädagogin. (Bild: zvg)

zentralplus: Sie sprechen zumeist von jungen Mädchen. Ticken Jungs da anders?

Nakari: Es liegt vielmehr daran, wie Jungs und wie Mädchen in den Medien dargestellt werden. Frauen sind in den Medien stark eingeengt. Sie bekommen auf sozialen Medien Tipps zum Abnehmen, wie sie sich zu schminken und anzuziehen haben. Die Darstellung entspricht zumeist einem westlich geprägten Schönheitsideal.

Die Männer auf sozialen Medien sind vielfältiger: Er, der Humorvolle. Der Sportfreak oder der Computernerd. Die Körperbilder sind recht offen. Auch gibt es zunehmend androgyne Männer. Männer mit einem Zopf oder Männer, die sich schminken.

zentralplus: Dass eine grosse Reichweite eben auch Konsequenzen mit sich bringen kann, zeigte sich kürzlich in Winterthur. Eine Gymnasialschülerin lud auf Instagram öffentlich zu einer Party, gab ihre Adresse preis. 300 statt 50 Leute kamen, die Party eskalierte, die Polizei musste ausrücken. Wie konnte es so weit kommen?

Nakari: Wenn ich einen Social-Media-Account besitze, ist es wichtig, die Kontrolle darüber, wer sich auf meinem Account tummelt, nicht zu verlieren. Wenn das Profil öffentlich ist, muss man sich auch nicht wundern, wenn die Party derart eskaliert. Das haben in der Vergangenheit zahlreiche Facebook-Partys gezeigt.

zentralplus: Kann man denn nicht Herr über den viralen Effekt werden?

Nakari: Nein. Think, before you post. Gerade Jugendlichen empfehle ich, eine eigene Checklist zu machen. Beispielsweise, das Bild erst zu posten, wenn ich es auch in einem Jahr noch in Ordnung finde. Oder wenn es mich nicht kratzt, wenn das meine Mutter sieht.

Weitere Veranstaltungen

Die Bibliothek Stadt Zug führt im Rahmen ihrer Veranstaltungsreihe «Sicher und entspannt durch die digitale Welt» weitere Events durch. Die nächsten zwei Veranstaltungen: Donnerstag, 26. September, zum Thema «Nuggi, Plüschtier und Tablet – kleine Kinder und die Medien» und Samstag, 28. September, zum Thema «Smartphone- und Tablet-Support von Jugendlichen».

zentralplus: Ebenfalls ein unschönes Thema zu Zeiten von sozialen Medien ist Cybermobbing. In sozialen Medien ging kürzlich ein Video viral, in dem sich zwei Frauen verbal wehrten, offenbar gegen ihre Mobberinnen. Die Situation eskalierte. Mehrere Dutzend Jugendliche waren beteiligt, es kam zu einer Schlägerei. Wie kann aus virtuellem Cybermobbing handfeste Tätlichkeiten werden?

Nakari: Eine Frage, die ich mir da jeweils stelle: Was war zuerst da –das Cybermobbing oder das Mobbing? Wenn aus virtuellen Hate-Speeches Handgreiflichkeiten werden, ist das eigentlich nicht mehr als «Back to the Roots».

zentralplus: Aber ist es denn so simpel, dass im Internet die Hemmungen und der Anstand fällt, wir ekelhafte Worte in den Mund nehmen – die wir face to face niemals sagen würden?

Nakari: Im Internet fehlt der Perspektivenwechsel. Ich sehe nicht, wie das Gegenüber reagiert. Ich weiss nicht, ob ihn das, was ich schreibe, verletzt. Beim Cybermobbing ist es aber oftmals so, dass ein Betroffener nicht einmal weiss, mit wem er es zu tun hat. Die Täter melden sich anonym, sind oftmals zu feige, um sich zu erkennen zu geben.

«Das Darknet eröffnet mehr Möglichkeiten als Gefahren.»

zentralplus: Wie können sich Betroffene wehren?

Nakari: Bloss nicht antworten! Man soll sich auf solche Diskussionen gar nicht erst einlassen. Gut ist es, Chatverläufe zu speichern oder Screenshots zu machen. Falls es zu einem Strafbestand kommt, hat man handfeste Beweise. Personen können blockiert oder sogar gemeldet werden. Auch sollte man sich einer Person anvertrauen.

zentralplus: Soziale Medien können Menschen zu Tätern machen. Das Darknet wird oftmals als digitaler Spielplatz für Kriminelle betitelt. In der «Netflix»-Serie «How to Sell Drugs online (Fast)» wird gezeigt, wie ein Jugendlicher in seinem Kinderzimmer einen Drogen-Grosshandel im Darknet aufbaut. Die Geschichte hat sich in der Realität ähnlich abgespielt: «Shiny Flakes», ein 20-jähriger Online-Dealer verkaufte fast eine Tonne Drogen über das Darknet. Verlocken solche Serien Jugendliche nicht geradezu zu solchen kriminellen Handlungen?

Nakari: In dieser Hinsicht unterschätzt man Jugendliche total. Das ist wie bei den Ballerspielen: Es ist wesentlich komplexer, als dass ein Jugendlicher Ballerspiele spielt und kurz darauf die Knarre nimmt und Amok läuft. Der Protagonist der Serie sagte ja auch: Es ist einfach, Drogen zu verkaufen, man muss nur alles richtig machen. Um im Darknet einen Drogenhandel aufzubauen, braucht es unglaublich viel an kriminellem Potenzial, an Know-how und Hackerallüren. Zudem eröffnet das Darknet mehr Möglichkeiten als Gefahren.

«Von Mädchen werde ich oftmals gefragt, ob Blasen und Stöhnen beim Sex dazugehört.»

zentralplus: Wie meinen Sie das? Die negativen Schlagzeilen über das Darknet häufen sich. Von illegalen Machenschaften, Dealern, Vergewaltigern, Mördern ist die Rede.

Nakari: Ja, im Darknet gibt es alles, was es wahren Leben auch gibt. Leider. Aber nur weil ein Jugendlicher den Torbrowser nutzt, bedeutet es nicht, dass er Waffen kauft, Drogen vertickt oder Kinderpornos runterlädt. Ganz so leicht kommt man dann doch nicht ran. Das wird nur immer so leicht dargestellt.

zentralplus: Und weshalb bietet das Darknet Ihrer Meinung nach mehr Möglichkeiten als Gefahren?

Nakari: Ein wichtiger Faktor des Darknets ist ja, dass ich anonym nach Informationen suchen kann. Viele Heranwachsende nutzen den Dienst aus diesem Grund. Facebook, Google – sie alle haben unsere Daten. Und das wird massiv unterschätzt. Wir alle sollten mehr auf unsere Privatsphäre achten und öfters mal auf das Darknet zurückgreifen. Ich bin Mutter von zwei Kindern und würde mich nie über Google nach der Krankheit meines Kindes informieren, weil das später Konsequenzen mit meiner Krankenkasse mit sich bringen könnte. Der fast tägliche Konsum von «Mainstream-Pornografie» im Normalointernet macht mir da wesentlich mehr Sorgen als das Darknet.

zentralplus: Weshalb?

Nakari: Weil alle Pornos gucken. Und darin typische Rollenbilder vermittelt werden. Pornos berufen sich auf Stereotypen, in 88 Prozent von «Mainstream-Pornos» wird Aggression gegenüber von Frauen gezeigt. Es ist schade, wenn junge Frauen deswegen in der Entwicklung ihrer eigenen Sexualität gehemmt sind. Als Medienpädagogin werde ich von Mädchen oftmals gefragt, ob Blasen und Stöhnen beim Sex dazu gehört.

zentralplus: Wie kommt es dazu?

Nakari: Pornos beruhen meist auf reiner Männerphantasie. Es entsteht das Bild, dass eine Frau permanent für den Mann sexuell zur Verfügung stehen muss. In diesen «Mainstream-Pornos» wird keine gleichberechtigte Sexualität thematisiert. Der Typ zeigt, wies läuft, die Frau hat sich dem zu fügen. So werden Vergewaltigungsmythen aufrechterhalten: Frauen denken, sie seien selber schuld, wenn sie von einem Typen begrapscht oder vergewaltigt werden.

«Am wenigsten sind knappe Outfits eine Einladung zum Anfassen!»

zentralplus: Also tragen Pornos eine Mitschuld daran, dass die Gesellschaft mehr Hemmungen hat, wenn es um die weibliche Sexualität geht – und gar solche Vergewaltigungsmythen existieren?

Nakari: Ja. In Pornos werden Bilder vermittelt, dass sich die Frau dem Mann zu fügen hat, wie noch vor 80 Jahren, als es noch sogenannte eheliche Pflichten gab. Erst seit wenigen Jahren gilt eine Vergewaltigung innerhalb der Ehe als Strafbestand. (Anm. d. Red.: In der Schweiz ist die Vergewaltigung in der Ehe seit 1992 strafbar und seit 2004 ein Delikt, das auch von Amtes wegen geahndet wird.)

Es heisst, dass sich Frauen emanzipieren, gleich viel Lohn erhalten sollen. Aber in der Pornoindustrie ist von Emanzipation keine Spur. Ich erinnere mich an einen Fall, als vor einem Jahr ein Video eines Festivals in Neuseeland viral ging. Eine Frau bemalte sich ihren Busen. Ein Mann kam von hinten, grapschte ihr an die Brust. Sie klatschte ihm eine. In den sozialen Medien wurde die Frau nicht etwa als Heldin gefeiert, als Frau, die sich wehrte. Nicht der Mann wurde beschimpft, sondern die Frau. Weil sie ja halbnackt herumgerannt sei.

zentralplus: Was würden Sie Eltern raten, wenn die Tochter im knappen Minirock das Haus verlässt?

Nakari: Ich würde als Mutter eine Tochter darauf hinweisen, dass zu knappe Outfits Signale aussenden können, die beim anderen Geschlecht unterschiedlich ankommen, da sie oft schwer zu deuten sind. Aber am wenigsten sind knappe Outfits eine Einladung zum Anfassen! Das muss klar sein. Frauen sind nie Schuld daran, wenn sie ein Mann gegen ihren Willen begrapscht.

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