Luzerns Machteliten schwächeln

Wer regiert Luzern?

Sitz der Regierung und des Kantonsrates an der Bahnhofstrasse 15 in Luzern (Bild: rmu)

Als jüngst der Kanton Luzern Sparmassnahmen in der Bildung verkündete, stand nur der Finanzdirektor hin und vertrat das umstrittene Geschäft, der Erziehungsdirektor blieb stumm. Der Polizeiskandal schwelte monatelang vor sich hin. Und beim Zankapfel Zentral- und Hochschulbibliothek wirkt die Luzerner Regierung führungslos. Was ist los in Luzern? Wer regiert eigentlich den Kanton, fragt deshalb zentral+ – und findet unter anderem eine Nebenregierung.

Eine erste Einschätzung dürften die Damen und Herren im Luzerner Regierungsrat nicht gerne hören: Der Kanton Luzern hat eine schwache Regierung. Das jedenfalls finden der frühere CVP-Parteipräsident Martin Schwegler, SVP-Kantonsrat Armin Hartmann, die SP-Parteipräsidentin Felicitas Zopfi und der grüne Kantonsrat Hans Stutz. «Wir haben keine profilierte Regierung», sagt Stutz.

Und obendrein ist die Regierung kein Team. «Manchmal hat man den Eindruck, dass jeder für sich und sein Departement schaut», sagt Martin Schwegler, «man unterstützt sich nicht gegenseitig». Der frühere CVP-Parteipräsident und Kantonsrat, gut verankert in der politischen Mitte, sagt es mit Bedauern. Immerhin gehören zwei CVP-Parteimitglieder, Reto Wyss und Guido Graf, zur Regierungsmannschaft. Armin Hartmann von der SVP, der als einer der bestinformierten Kantonsräte gilt, stellt fest: «In dieser Regierung herrscht nicht Friede, Freude, Eierkuchen. Die Regierung müsste sich mehr zusammenraufen.»

CVP-Regierungspräsident Guido Graf – so ein Beispiel – veranstaltet im Sommer eine Solo-Wandertour durch den Kanton («Der Regierungspräsident auf Tour»), ohne andere Regierungsmitglieder zu beteiligen. Natürlich feiert Graf seine Wanderung als Erfolg, doch ausser viel Small Talk bleibt nicht viel Verbindliches zurück.

Die Regierung: ohne Herzblut

Regierungsrätinnen und -räte  sind auch Verwalter, das gehört zu ihrer Aufgabe, sie müssen die Beschlüsse des Parlamentes umsetzen. Aus der Sicht von Felicitas Zopfi, SP-Parteipräsidentin, reicht das aber nicht. «Das Problem ist: Es fehlt das Herzblut. Immer wieder stelle ich fest, dass sich die einzelnen Regierungsmitglieder nicht getrauen hinzustehen und ihre Geschäfte zu verteidigen.»

Zum Ausdruck kommt das etwa beim Zankapfel Zentral- und Hochschulbibliothek ZHB. Regierungsrat Reto Wyss, Chef über die Denkmalpflege, duckt sich und schweigt. Ebenso Regierungsrat Marcel Schwerzmann, Chef des Departementes Immobilien. Statt die schon mal beschlossene Sanierung der ZHB zu verteidigen, ducken sich die Regierungsräte und lassen sich von der Zick-Zack-Politik des Kantonsrates in eine verfahrene Situation hinein treiben.

Nur bei der Steuerpolitik geht Schwerzmann auf die Hinterbeine. Die Steuerstrategie ist sein «Baby», und mangels Courage der andern Regierungsmitglieder kontrolliert er die Kommunikation auf allen Kanälen. So verteidigt Schwerzmann die Sparübungen in der Bildung. Es ist zwar sein Job als Finanzdirektor, Sparprogramme zu vertreten, doch der ebenfalls substanziell betroffene Erziehungsdirektor schweigt.

Je mehr die Steuerstrategie hinterfragt wird, desto unbeirrter agiert Schwerzmann. Doch er hat treue Verbündete bei der SVP, der FDP und Teilen der CVP. Darum kann Schwerzmann gelassen agieren.

Und die SP-Regierungsrätin Yvonne Schärli? Mann lässt sie alleine. Sie ist mit sich selber beziehungsweise dem Debakel um die Luzerner Polizei beschäftigt. Und politisch kann sie gegen die bürgerliche Übermacht in der Regierung eh nichts ausrichten.

Der Kantonsrat: Er scheut Debatten

Wer regiert den Kanton Luzern, fragen wir. Ist es, wenn nicht eine pointierte Regierung, der Kantonsrat, die institutionell höchste Macht im Kanton? «Im Kantonsrat sind die Parteien immer noch sehr wichtig», glaubt Martin Schwegler. Und fügt bei: «Die Parteien sind homogener geworden. Es gibt weniger Sololäufe, aber auch weniger herausragende Figuren.»

Diese Entwicklung bestimmt das Erscheinungsbild des Kantonsrates: Die SVP, die FDP und Rechtsabweichler bei der CVP bilden einen starken Block, der den Tarif durchgibt, zum Beispiel in der Steuerpolitik und in der Ausgabenpolitik.

Gegen die Mitte-Rechts-Mehrheit können die Grünen und die SP kaum je etwas ausrichten. «Ob im Parlament oder in den Kommissionen, wir kassieren eigentlich nur Ohrfeigen», sagt der Grüne Hans Stutz. «Oft lässt man sich nicht einmal auf eine Diskussion ein, sondern fegt unsere Anliegen einfach vom Tisch.»

Mit den politischen Leistungen des Kantonsrates ist auch der stramm bürgerlich politisierende SVP-Kantonsrat Armin Hartmann nicht zufrieden. «Der Kantonsrat geht oft grundsätzlichen Debatten etwa in der Steuer- und Ausgabenpolitik aus dem Weg. Mir fehlt die Debattierfreude.» Ihm ist anzumerken, dass er gerne häufiger mit der Ratslinken über die Aufgaben des Staates streiten würde.

Ist das Parlament also schwach? Hartmann beantwortet die Frage nicht direkt. Er sagt, das Parlament scheue sich, alle Instrumente auszupacken, die ihm zur Verfügung stünden. «Das Parlament steuert die politischen Prozesse zu wenig. Wenn es den  Spielraum nutzen würde, den es hat, hätte es mehr Macht.»

Und so setzt sich oft diskussionslos die Mitte-Rechts-Allianz in Parlament durch. Motor sind in unterschiedlicher Zusammensetzung starke Lobbys. Die Hauseigentümer, die Touristiker und die Gewerbler haben eigene Gruppen im Kantonsrat. Der Kantonale Gewerbeverband zum Beispiel hat 53 Vertreter im 120-köpfigen Kantonsrat.

Lobbys: Umstrittener Einfluss

Wie einflussreich diese Lobbys sind, wird unterschiedlich beurteilt. So meint etwa Martin Schwegler von der CVP, der Gewerbeverband sei nicht einflussreicher als andere Gruppierungen. Und auch Kantonsrat Armin Hartmann von der SVP, Mitglied der Gewerbegruppe und Vizepräsident des kantonalen Hauseigentümverbandes HEV, warnt davor, den Einfluss der Lobbys zu überschätzen.

Ganz anders sieht das der Grüne Hans Stutz. «Der Gewerbeverband ist eine Vetomacht, er kann mit andern Interessenvertretern zusammen Geschäfte bodigen». So habe der Gewerbeverband zusammen mit Vertretern des Hauseigentümerverbandes (sechs HEV-Vorstandsmitglieder sitzen im Kantonsrat) das neue Energiegesetz versenkt. Andere Player, etwa die Umweltverbände, die Lehrerverbände oder die Gewerkschaften hätten kaum Gewicht.

Eine schwache Regierung und ein Parlament ohne grossen Gestaltungswillen – ja, wer regiert denn den Kanton Luzern? Alle Gesprächspartner sind sich einig, dass es noch eine Macht gibt, die oft unterschätzt wird: Der Verband der Luzerner Gemeinden VLG.

Die Gemeinden: Eine Nebenregierung

30 Kantonsräte im 120-köpfigen Parlament sind gleichzeitig auch Gemeinderäte in Luzerner Gemeinden. An ihrem Verband VLG kommt also kaum einer vorbei, doch die Macht wird nicht offensichtlich ausgespielt. «Der Verband bringt sich im Gesetzgebungsprozess schon sehr früh ein, er ist schon beteiligt, wenn Vorlagen überhaupt erst entstehen», sagt Armin Hartmann. Der SVP-Kantonsrat, selbst Gemeindeamman in Schlierbach, kennt die Prozesse. «Wir werden früh in Arbeitsgruppen eingeladen, wirken bei der Ausarbeitung von Gesetzestexten mit, bei Vernehmlassungen, und schliesslich reden wir im Parlament mit.»

So spielt der VLG seine Macht aus, ohne dass dies transparent wird. Ein Beispiel ist die Umsetzung des neuen Kindes- und Erwachsenenschutzrechtes. Hier wollte der Kanton ursprünglich eine kantonale Lösung, doch die Gemeinden setzten kommunale Lösungen durch und senkten im Parlament die beruflichen Anforderungen für die neu geschaffene Fachbehörde, damit bisherige Vormundspersonen ihre Stelle behalten konnten. Geschäftsführer des VLG ist der Chef der CVP-Fraktion, Ludwig Peyer. «Sein Einfluss wird nicht zuletzt auch wegen seiner zurückhaltenden Art unterschätzt», sagt der frühere CVP-Parteipräsident Martin Schwegler.

Der Verband der Luzerner Gemeinden «redet überall mit», sagt SP-Parteipräsidentin Felicitas Zopfi, und der Grüne Hans Stutz resümiert: «Er ist eine vierte Macht im Staat, ohne dass dies transparent ist.» Stutz beobachtet, dass die Lobby der Gemeinden «von bürgerlich-ländlichen Geistern beherrscht wird.» Eine der Folgen ist, dass sich die grossen Agglo-Gemeinden schlecht vertreten fühlen.

Die Verwaltung: Macht durch Wissen

Eine schwache Regierung, ein Parlament ohne Debattierfreude, Lobbys, die den Tarif durchgeben, wenn sie wollen, tja, wer regiert denn nun den Kanton Luzern? Ist es vielleicht die Verwaltung, welche ein Machtvakuum ausnützen und die politische Agenda bestimmen kann?

Die Verwaltung ist ein Machtfaktor, darüber sind sich alle Gesprächspartner einig. Doch wie gross ist diese Macht? Armin Hartmann von der SVP meint, die Verwaltung habe gegenüber der Gesamtregierung einen Informationsvorsprung. «Dadurch hat die Verwaltung eine grössere Macht, als wir gemeinhin annehmen.»

«Die Verwaltung trifft viele Vorentscheidungen, denn ein Departementschef kann sich nicht bei allen Dossiers einen umfassenden Überblick verschaffen», sagt der Grüne Hans Stutz. Und Martin Schwegler meint, «die Verwaltung ist hoch loyal.»

Niemand will der Verwaltung schlechte Absichten unterstellen. Doch klar ist auch, dass die Verwaltung mit ihrer Fachkompetenz Schwerpunkte setzt, wo sie diese als  richtig erachtet. So umfasst zum Beispiel das Strassenbauprogramm 2015-2018 Vorhaben im Umfang von 1,35 Milliarden Franken (wobei nicht alle Strassenprojekte umgesetzt werden).

Im Programm fehlt aber, wie schon bisher, ein kräftiger Effort zur Umsetzung des kantonalen Radroutenkonzeptes. Wenn die Verwaltung wollte, könnte sie die Prioritäten anders setzen. Doch sie tut es nicht. Sie kann also durchaus die Agenda bestimmen.

Die Monopolzeitung: Bei Debatten bedeutungslos

Die politischen Player agieren im luftleeren Raum,  wenn sie es nicht schaffen, die politische Themen in die Öffentlichkeit zu tragen. Und hier spielt die «Neue Luzerner Zeitung» NLZ eine Rolle. «Die NLZ hat Macht, weil sie die Themen setzt», meint Armin Hartmann von der SVP dazu. «Nach unserer Erfahrung war die NLZ immer fair, sie berichtet auch über Missstände», fügt Armin Hartmann bei. «Doch sie macht auch Kampagnenjournalismus.»

Schärfer urteilen Martin Schwegler, Felicitas Zopfi und Hans Stutz. Sie sehen die NLZ auf rechtskonservativem Kurs, und das habe Folgen. «Man hat oft das Gefühl, dass die Zeitung nicht an der Information interessiert ist», sagt Felicitas Zopfi, «sondern viel mehr an Meinungsdifferenzen. Das führt dazu, dass wir öffentlich kaum noch substanzielle politische Diskussionen führen können.»

Hans Stutz fügt hinzu: «Die NLZ hat bei allen Politikern einen schlechten Ruf. Sie arbeitet unsorgfältig, unsauber und tendenziös.» Kritische Vorstösse zur Steuerpolitik, so ein Beispiel von Hans Stutz, «werden nicht erwähnt, das wird ausgeblendet.» Auch wenn Martin Schwegler von der CVP diese Einschätzung teilt, seine Schlussfolgerung ist eine andere. «Dass die NLZ oft rechtskonservativ daherkommt, finde ich nicht so schlimm. Schlimmer finde ich, dass sie journalistisch nicht in die Tiefe geht.»

Die Folge sei, dass die NLZ bei Politikern aller Schattierungen nicht mehr ernst genommen werde. Die NLZ, meint  Martin Schwegler, «hat in politischen Kreisen im Gegensatz zu vor vielleicht 10 Jahren keinen grossen Einfluss mehr. Eigentlich ist sie für die politischen Debatten bedeutungslos geworden.»

Armer Kanton Luzern. Eine schwache Regierung, ein uninspiriertes Parlament, wenig transparente Lobbys und eine faktische Monopolzeitung, die nur nach Gusto in die politischen Debatten eingreift. Verflixt noch mal, wer regiert nun eigentlich den Kanton Luzern? «Auch der Zufall regiert mit», sagt CVP-Martin Schwegler, «das darf man nicht unterschätzen.»

Mitarbeit: Christian Hug

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