Alle Luzerner Nationalräte treten wieder an

Wer bald als «Sesselkleber» in Verruf geraten könnte

Von den jetzigen Luzernern politisiert der SVP-Mann am längsten in Bundesbern. (Bild: Montage ida)

Welches ist der optimale Zeitpunkt, um sein politisches Mandat an den Nagel zu hängen? Jetzt noch nicht, sagen sich alle Luzerner Nationalräte und treten wieder an. Politologe Olivier Dolder glaubt, dass die Wähler ein zu langes Festhalten am Amt irgendwann nicht mehr goutieren.

Ein «Sesselkleber» ist ein Schmähwort, vor dem sich wohl so mancher Politiker fürchtet. Nicht schön ist die Vorstellung, derart an seinem Stuhl unter der Bundeskuppel festzuhalten, sich nur zäh und mühselig von diesem aufzurichten, um jüngeren Leuten Platz zu machen. Schliesslich will man nicht zum Inventar gehören, sondern frischen Wind ins Bundeshaus bringen.

Droht das etwa gar den Luzernern? Denn alle zehn der bisherigen Luzerner Nationalräte treten bei den Wahlen im Herbst erneut an. Und schon im Voraus ist klar: Jemand wird seinen Sitz verlieren. Denn der Kanton verliert einen seiner zehn Sitze.

Sitz verteidigen, deshalb antraben

Dass alle wieder antreten, hat taktische Gründe, verrät uns Felix Müri (SVP). Gerade weil unserem Kanton künftig nur noch neun Mandate im Nationalrat zustehen, müssten alle Bisherigen erneut antraben. So möchten die Parteien ihre Sitze sichern. Denn die Bisherigen profitieren vom Bonus. Das Stimmvolk hat die Tendenz, bisherige Politikerinnen und Politiker wiederzuwählen. Viele finden die Abwahl eines Bisherigen sogar unanständig, sagte Politologe Olivier Dolder in einem früheren Bericht (zentralplus berichtete).

«Man beobachtet oft, dass eine Nationalrätin oder ein Nationalrat erneut antritt und dann erst während der nachfolgenden Legislatur zurücktritt, damit jemand aus derselben Partei nachrücken kann», sagt Dolder heute.

Pauschalisieren könne man dies aber nicht. Viele sitzen erst seit wenigen Jahren in der Grossen Kammer. So etwa Michael Töngi, der 2018 als Nachfolger von Louis Schelbert für die Grünen in den Nationalrat rückte. Franz Grüter (SVP) und Andrea Gmür (CVP) politisieren seit vier Jahren im Nationalrat.

Müri klebt am ehesten am Sessel fest

Zu behaupten, dass die Luzerner in Bern zu Sesselkleber mutieren, wäre falsch. Aber: es stellt sich die Frage, wie früh sich ein Politiker mit diesem Titel abfinden muss. «Müri hat vermutlich das grösste Risiko, als ein Sesselkleber in Verruf zu geraten», sagt Dolder.

Von den jetzigen Luzernern politisiert der SVP-Mann am längsten in Bundesbern. 2003 gewählt, will Müri im Herbst seine fünfte Legislatur antreten. «Fünf Legislaturen sind doch schon sehr lange. Das kommt auch eher selten vor», so Dolder dazu.

Es gibt jedoch andere, die um einiges länger auf den Stühlen des Bundeshauses Platz nehmen. Ein Blick ins heutige Parlament zeigt: Der St. Galler Paul Rechsteiner (SP) weibelt am längsten unter der Bundeskuppel. 1986 in den Nationalrat gewählt, war er 25 Jahre im Nationalrat tätig. Seit 2011 sitzt er in der kleinen Kammer, im Herbst tritt er erneut an. Sein halbes Leben hat der heute 66-Jährige bislang ununterbrochen im Bundeshaus verbracht.

Der Luzerner Politologe Olivier Dolder. (Bild: bic)

Nach maximal vier Legislaturen kippt's

Müri hingegen «erst» seit 16 Jahren. Gelingt ihm die Wiederwahl, werde es seine letzte Legislatur sein, sagt der in Emmenbrücke wohnhafte Müri. «Dann bin ich 65 Jahre alt und mache gerne Platz.» Respekt davor, als Sesselkleber bezeichnet zu werden, hat Müri nicht. «Es gibt viele Anliegen, die uns 60-Jährigen betreffen: Also braucht es auch meine Stimme in Bern», sagt Müri. Man rede davon, dass über 65-Jährige länger arbeiten gehen sollen. «Also gehe ich noch nicht in Rente. Mit 65 ist aber Schluss.»

«Drei bis vier Legislaturen gelten als normal und werden akzeptiert», sagt Dolder. «Aber irgendwann kommt der Zeitpunkt, wo's kippt und der Wähler eine Wiederwahl nicht mehr goutiert.» Das habe sich beispielsweise 2011 im Kanton Schwyz gezeigt, als Bruno Frick nach 20 Jahre die Wiederwahl verpasst hat – und die schwyzerische CVP ihren Platz im Ständerat räumen musste.

«16 Jahre sind eigentlich genug, das ist jedoch meine persönliche Meinung», findet Dolder. Je länger ein Parlamentarier im Amt sei, desto eher könne die Motivation nachlassen – die Verfilzung aber zunehmen: «Je länger jemand im Amt ist, desto höher ist die Gefahr, dass die Person diverse Abmachungen am Laufen hat. Sprich, er bei dem einen etwas zugute hat, einem anderen aber etwas schuldet.»

Müri zeigt sich selbstsicher

Bei den Wahlen im Herbst wird mindestens einer der bisherigen Nationalräte abgewählt. «Die CVP und die SVP müssen am meisten zittern», so Dolder. Die CVP deshalb, weil sie schon vor vier Jahren ihren dritten Sitz am knappsten erkämpfen konnte. «Generell verzeichnet die CVP einen Abwärtstrend. Auch die SVP ist nicht in Hochform. Wenn es die SVP mit dem Sitzverlust trifft, könnte es Felix Müri treffen.»

«Die CVP verzeichnet generell einen Abwärtstrend. Auch die SVP ist nicht in Hochform.»

Olivier Dolder, Luzerner Politologe

Müri wiederum zeigt sich optimistisch. Man kennt ihn. Er habe nach wie vor Freude am Politisieren, bringe viel Erfahrung mit. «Zudem war ich kürzlich in den Medien als Nr. 1 im Parlamentarier-Rating von Luzern, mit der besten Vernetzung», rühmt sich Müri selbst. In der Tat schnitt er von den Luzernern am besten ab. Er landete in einem Ranking der «Sonntagszeitung» auf dem 46. Platz. «Netzwerke muss man in Bern aufbauen, wie auch die Autobahnausfahrt Emmen Nord. Und da ist Erfahrung unbezahlbar», so Müri.

Auch Grüne-Nationalrat Töngi ist voller Zuversicht, dass das links-grüne Lager bei den diesjährigen Wahlen gute Karten haben wird. «Vieles deutet darauf hin, dass die Wählerinnen und Wähler aus der Herbstwahl eine Klimawahl machen. In diesem Sinne wackelt der Sitz der Grünen nicht.»

Junge und Ü70 sitzen in den Parlamenten zu wenig

Ida Glanzmann (CVP) sitzt seit zwölf Jahren in der Grossen Kammer. Für die 60-Jährige kam es nicht infrage, den Platz für eine jüngere Parteikollegin zu räumen. «Es sollen nicht nur 20-Jährige im Parlament sitzen, sondern auch Politikerinnen in meinem Alter.»

Denn in den Parlamenten sind nicht nur etwa die Jungen unterrepräsentiert – sondern auch Politiker im Rentenalter. So schrieb der «Tagesanzeiger» dieses Jahr, dass die über 70-Jährigen gemessen an ihrem Anteil an der Bevölkerung zu wenig im Parlament vertreten sind. So auch die 18- bis 35-Jährigen. Die 65- bis 69-Jährigen hingegen seien «deutlich übervertreten».

Amtszeitbeschränkungen und Alterslimiten sind in der Schweiz selten der Fall. Staatliche Vorschriften brauche es nicht, wie Dolder findet: «Ich habe Sympathien für Amtszeitbeschränkungen. Ich finde aber, dass zurzeit keine Notwendigkeit besteht, dazu staatliche Regeln zu erlassen.»

Wenn es Regeln gibt, dann werden sie von kantonalen Parteien aufgestellt. So schreibt die CVP des Kantons Luzern in ihren Statuten, dass die Amtszeit von Behördenmitgliedern in der Regel auf vier Legislaturperioden beschränkt ist. Davon möchte Glanzmann Gebrauch machen, wie sie sagt.

Einen «idealen Zeitpunkt» für den Rücktritt gebe es nicht, sind die Luzerner Nationalrätinnen und Nationalräte durchs Band überzeugt. Um effektiv mitzugestalten, brauche es grosses Wissen, gute Dossierkenntnisse und eine gute Vernetzung, sagt etwa Leo Müller (CVP). «Um das zu erarbeiten, braucht es etwas Zeit und es ist nicht sinnvoll, nach Erarbeitung dieser Position die Arbeit aufzugeben.»

Von links nach rechts: Felix Müri (SVP), Ida Glanzmann (CVP) und Leo Müller (CVP).
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