50 Fragen an Emil Steinberger

«Wer auf der Bühne steht, braucht keine Drogen»

Emil Steinberger feiert seinen 90. Geburtstag. zentralplus hat ihn 2015 zum 50-Fragen-Interview getroffen. (Bild: jav)

Emil Steinberger wird 90 Jahre alt! Im 50-Fragen-Interview mit zentralplus verriet er, wie blöd er Spitzensport findet, weshalb Drucker ein Wunder sind und wie reich er ist. Aber auch, was er bereut.

Emil Steinberger braucht man nicht vorzustellen. Vor allem nicht in Luzern. Der Gründer der Luzerner Kleintheaters feiert an diesem Freitag nun seinen 90. Geburtstag.

zentralplus traf ihn im Oktober 2015 in seiner Wahlheimat Basel und erlebte einen verschmitzten, lebensfrohen Emil, aber auch einen über die Welt und die Menschen enttäuschten. Es kommt tatsächlich vor, dass 50 Fragen zu wenige sind.

zentralplus: 1. Wie spricht man Sie an?

Emil Steinberger: Es gibt alles: Emil, Herr Emil, Herr Steinberger, Caporal Schnyder im Welschland. Ist alles legal und richtig.

2. Herr Emil, wie alt fühlen Sie sich eigentlich?

Er lacht. So 65 bis 70.

3. Als Sie 30 waren, wie haben Sie sich vorgestellt, wie Sie mit 90 sein würden?

Keine Ahnung, ich habe mich nie gross mit der Zukunft und dem Alter beschäftigt.

4. Beatles oder Stones?

Ich muss sagen: Die Beatles gingen damals komplett an mir vorbei. Die habe ich völlig verpasst. Ich war so beschäftigt, hatte keine Zeit, um mich mit zeitgenössischen Bands zu unterhalten. Heute habe ich zu den Beatles eher den Zugang.

5. Sind Sie ein guter Tänzer?

Jo. Ich kann keinen wirklich guten Tango tanzen, dafür aber Walzer oder Foxtrott, auch mal etwas Ausgefalleneres. Ich tanze sehr gerne mit meiner Frau, auch gerne etwas fantasievoller. Mir gefällt daran, dass man spürt, wie es mit der Partnerin harmoniert.

6. Wie würde Ihre Frau Sie beschreiben?

Ich glaube, sie würde sagen: Streng in der Arbeit, aber bereit für Vergnügen.

«Glauben, ohne Beweismaterial?»

7. War früher wirklich alles besser?

Das Wort «früher» brauche ich selten. Aber ob es besser war – ich kann es nicht sagen. Klar, die Zeit heute ist grausam, Ich hätte nie gedacht, dass jemals eine solche Situation auf der Welt herrschen würde. Es ist wie vor 2'000 Jahren. Überall herrscht Krieg. Und das vor allem im Namen des Glaubens. Es ist unglaublich, dass der Mensch sich nicht weiterentwickelt. Er lernt nichts dazu.

8. Glauben Sie an Gott?

Gibt es die Frage auch anders? Das kann man fast nicht beantworten. Auch wenn man an Gott glaubt – was heisst das denn? Glauben, ohne Beweismaterial?

9. Die beste Erfindung, seit Sie leben?

Der Drucker. Das ist etwas Sensationelles. Mit 50 Stundenkilometern kommt die Farbe zur Düse heraus und in einer Hundertstelsekunde ist die Farbe trocken, richtig dosiert und gemischt. Jeder kann seine Fotos selbst ausdrucken. Können Sie sich das vorstellen, Madame? So praktisch, das war früher unvorstellbar. Und ein solcher Apparat kostet heute noch 60 Franken. Ein Drucker ist ein Wunder.

10. Die dümmste?

Er lacht in sich hinein, nimmt einen Schluck Wasser. Die dümmste Erfindung sind Autos mit 300 PS, die 300 Stundenkilometer fahren können. Das ist sinnlos und lächerlich. Es führt nur zu Exzessen und Unfällen. Auf normalen Strassen macht das keinen Sinn. Ich finde das übertrieben blöd. Und wenn sie dann mit den Autos, mit röhrendem Motor durch die Strassen fahren. Also ehrlich. So etwas Sinnloses. Da darf man auf keinen Fall hinschauen, sonst fühlen die sich noch bestätigt.

11. Wie gut kennen Sie sich mit der neusten Technik aus? Oder bei den sozialen Medien?

Ich habe ein Smartphone. Für Facebook zum Beispiel fehlt mir meist die Zeit. Ich lebe mehr oder weniger ohne diese sozialen Medien.

12. Was verschlägt Ihnen die Sprache?

Wenn die Post wieder neue Einschränkungen einführt. Abbau und Veränderungen, die keinen Sinn machen – es geht ihnen nur um Gewinne, um den Menschen schon lange nicht mehr. Dabei ist es kein Unternehmen, welches Gewinn machen müsste. Es ist unverständlich und ärgerlich. Das beschäftigt mich sehr.

13. Wann haben Sie das letzte Mal geweint?

Vor Freude zuletzt beim Fernsehen. Wenn Leute wahnsinnig glücklich sind. Dann kann ich mich so richtig mitfreuen. Dann übernimmt es mich fast.

14. Was stört Sie an sich selbst?

Er überlegt lange. Dass ich nie gelernt habe, ein eigenes, gutes System für die Organisation im Büro zu haben. Eine solche Handhabe müsste man doch in einer Ausbildung lernen.

Wir werden unterbrochen, eine Gruppe Welsche macht eine Runde Komplimente. «Continuez de nous faire rire. Merci. Merci, Caporal Schnyder, au revoir. Bravo, Merci. Au revoir.» Und fort sind sie.

15. Was macht einen guten Komiker aus?

Er muss die Zuschauer berühren, sie im Herzen treffen. Und er muss Erinnerungen wachrufen können.

16. Wer ist ein guter Komiker?

Ich teile nicht ein, beurteile nicht. Aber ich war gerade erst bei Massimo Rocchi und er war sensationell. Wirklich ganz toll.

17. Wie lustig finden Sie sich selbst?

Er giggelt. Grad gestern habe ich eine tolle E-Mail von einem ehemaligen Chefredaktor der Basler Nachrichten erhalten. Da hat meine Frau gesagt: Glaubst du jetzt endlich, dass es gut ist, was du machst? Er lacht. Das muss sie mir sagen. Ich bin mir selbst nicht so sicher. Ich kann es vom Echo ableiten, welches ich von den Leuten erhalte. Oder ich sehe es daran, wie schnell Vorstellungen ausverkauft sind. Stans zum Beispiel, innert zwei Tagen, Luzern innerhalb kürzester Zeit. Das ist schon ...

18. Ist das noch speziell für Sie? Komisch?

Er überlegt. Nein, nicht komisch. Ich mache mir nichts draus. Das habe ich nie. Es ist schön, dass es funktioniert. Das ist mein Satz dazu: Es ist schön, dass es funktioniert.

19. Wer ist unabsichtlich lustig?

Mörgeli.

20. Zeichnen Sie uns doch bitte Ihr Lieblingstier.

21. Wo in Luzern waren Sie schon ewig nicht mehr?

Zum Beispiel in der Pauluskirche. Die war früher fast wie meine zweite Wohnung – ich war Ministrant dort.

22. Wie nahe stehen Sie dem Kleintheater heute?

Nicht mehr so nahe. Es ist weiter weg geglitten.

23. Weshalb?

Ich passe scheinbar mit meiner Darstellungsart nicht mehr in die Programm-Philosophie der Leitung. Man bot mir eine Matinée an oder eine Gesprächsrunde, aber keine Vorstellung meines jetzigen Programms. Ich bin wohl zu alt. Jä nu.

24. Warum Basel und nicht Luzern?

Als ich aus New York zurückkam, wollte ich mich nicht in das alte Nest zurücksetzen. Wir wollten etwas Distanz. Deshalb Montreux. Da konnte man arbeiten, das war die totale Ruhe. Und Basel gefiel uns immer. Die Offenheit und die Leute. Als Beispiel: Wir Luzerner sagen «Jo». Die Basler hingegen sagen «Jä». Er lacht. Und schon liegt etwas mehr drin. Ich höre sie einfach auch sehr gerne reden. Und nach New York und Montreux war es auch sehr schön, wieder in der Muttersprache kommunizieren zu können.

25. Das Beste an New York?

Was uns entgegenkommt, ist der europäische Anstrich. Im Landesinneren der USA könnte ich nie leben. New York ist nach allen Seiten offen, im Puls. Und man hört immer: «No Problem».

«Ich habe mehr Angst um die Welt, weniger um mich.»

26. Was bereuen Sie in Ihrem Leben?

Dass es nach 20 Jahren mit meiner ersten Frau zu einer Scheidung kam. Das ist eine Tolgge in meinem Reinheft. Ist auch egal, wer welche Fehler gemacht hat. Aber dass wir es nicht hingekriegt haben. Dass man es damals nicht ausbügeln konnte, das bereue ich.

27. Ihr schlimmster Auftritt?

Circa vor 40 Jahren. Er schmunzelt. Es war bei einer Landfrauenvereinigung. Und es gab keinen einzigen Lacher während des ganzen Programms. Das vergesse ich nie mehr. Ich sollte 45 Minuten spielen, aber nach 35 war ich durch, weil es keine Lachpausen gab. Da kam die Organisatorin ganz aufgelöst und fragte, ob ich denn schon fertig sei. Als ich bejahte, war sie wirklich überrascht. Jesses, jetzt müsse sie der Kassiererin beibringen, dass ich dafür 150 Franken erhalten solle.

28. Wovor haben Sie Angst?

Ich habe momentan mehr Angst um die Welt, weniger um mich.

29. Hatten Sie mal einen Dreier?

In der Schule – als Note? Oder Wein?

30. Nein, sexuell.

Ach so. Er lacht. Nein.

31. Bier oder Wein?

Von beidem kein Fan. Ich trinke selten Alkohol.

32. Haben Sie Drogen ausprobiert?

Nein.

33. Gar nichts?

Ich habe einmal in der RS eine Zigarette geraucht. Im Schiessstand. Es war eisig kalt und alle haben geraucht. Da dachte ich, das wärmt vielleicht. Ich habe aber sehr schnell vergessen, überhaupt daran zu ziehen.

34. Wollen Sie es mal ausprobieren?

Nein. Brauche ich nicht. Ich habe genug Fantasie. Die Leute tun das doch vor allem aus Langeweile. Deshalb bin ich dafür, Kreativität, Theater, Kunst mehr zu schulen. Ich sage: Jeder, der einmal auf der Bühne stand, der braucht sowas nicht mehr.

35. Macht Applaus süchtig?

Hmmm... Süchtig? Nein. Ich konnte auch gut ohne leben. Als ich 1987 aufhörte, war das ok. Es ist etwas Schönes, aber ich brauche es nicht.

36. Wie halten Sie es mit dem Sport?

Null. Ich will mir doch nicht beim Marathonlaufen die Gelenke zerstören, dass ich dann mit 60 nicht mehr Treppen laufen kann. Er lacht.

37. Schauen Sie Sport?

Nein. Ganz selten mal, wenn der FCL spielt. Aber die Leute im Spitzensport, was die sich mental und körperlich antun. Da frage ich mich oft: Spinnen die? Und das wird immer mehr gefördert, auch vom Staat. Und das, obwohl man weiss, was da mit Menschen passiert. Sie zerstören sich selbst, nur um ein Hundertstel schneller zu sein als jemand anderes. Und das wird dann belohnt. Das ist völlig paradox. Ehrgeiz ist schön und gut, aber im gesunden Rahmen.

38. Das Gefährlichste, das Sie je getan haben?

Das war wahrscheinlich im Militär, als ich mich aus dem fünften Stock abseilen musste. Ja, das war es wohl.

39. Haben Sie Macken?

Er überlegt lange. Dann beginnt er wild mit dem Gesicht zu zucken und bricht in Gelächter aus. Macken, Macken. Ich überlege gerade, ob meine Frau mir manchmal etwas vorhält. Aber nein. Ich glaube nicht.

«Ich bin vernünftig reich.»

40. Wären Sie Politiker – was würde auf Ihrem Wahlplakat stehen?

Menschlich, vernünftig handeln.

41. Das ist aber etwas sehr schwammig.

Jä, ich glaube, die Sehnsucht ist gross nach Menschlichkeit. Wenn ich beobachte, was die Politiker teilweise wieder entscheiden, da frage ich mich: Sind die so labil? Warum lassen die sich derart von irgendwelchen Interessengruppen instrumentalisieren? Es ist ja auch brutal, was da an Geldern im Spiel ist.

42. Sind Sie eigentlich reich?

Ich? Ich bin so situiert, dass ich mit Sicherheiten alt werden kann. Nun. Vernünftig. Vernünftig reich. Lacht.

43. Was steht bei Ihnen auf dem Nachttisch?

Ein Buch: Die Welt in hundert Jahren. Ein ziemlicher Schinken aus einem Antiquariat. Und ein Buch über Saul Steinberg, einen Cartoonisten. Der Wecker steht unterm Bett, das Ticken stört mich sonst in der Nacht. Er lacht.

44. Ihr Lieblingsfilm?

Ich mag die tschechischen Filme vor der Wende. Miloš Forman, Jirì Menzel zum Beispiel.

45. Ihre beste Grimasse

46. Wie funktioniert der Humor der Schweizer?

Schwierig zu sagen. Ich glaube nicht, dass sich Humor gross nach Nationen unterscheidet. Die Leute lachen in Deutschland und Österreich an denselben Stellen wie die Deutschschweizer und die Welschen. Allgemein sind die Deutschschweizer aber ein sehr aktives Publikum, sehr dankbar und bereit zum Mitgehen, Mitlachen. Aber ich glaube, die altbekannten, nationalen Unterschiede im Humor sind oft nur Vorurteile.

47. Werden Sie oft mit Dimitri verwechselt?

Manchmal. Nicht oft, oder ich nehme es vielleicht nicht immer wahr. Aber ich kann es mir durchaus vorstellen, je nachdem, wie meine Haare gerade liegen oder stehen. Eine Frau hat mir einmal erzählt, sie habe das ganze Zimmer mit Bildern von mir vollgehängt. Als ich nachfragte, stellte sich aber heraus: Dort hängt eigentlich Dimitri.

«Für das Kleintheater haben wir damals zehn Jahre gekämpft.»

48. Die Helden Ihrer Kindheit?

Charlie Chaplin zum Beispiel oder Grock. Zirkusclowns fand ich grossartig, ich habe sie vergöttert. Ich erinnere mich gut an die Arena Pilatus auf dem Sempacherplatz – die besten Clowns, die ich in meinem Leben gesehen habe. Das war sensationell, ist mir richtig eingefahren. Es war circa 1948, ein Open-Air-Zirkus. Da hatte ich ein Abonnement für. Er stockt kurz und beginnt zu grinsen. Also – ich war einfach immer da, und wenn der Kassier kam, schnell weg. 

49. Hatten Sie jemals einen Plan B?

Ich hatte eigentlich gar nie einen Plan. Ich habe mich gleiten lassen. Wenn etwas Spannendes auftauchte, nahm ich es an, etwas anderes wurde weniger wichtig, verschwand. So ging es eigentlich immer organisch voran und ineinander über. Es ergab sich einfach.

50. Aber Sie mussten auch mal für Dinge kämpfen?

Natürlich. Für das Kleintheater haben wir damals auch zehn Jahre gekämpft. Es brauchte viel Durchhaltewillen und am Anfang auch immer einiges an Mut.

Hinweis: Das Interview ist erstmals im Oktober 2015 auf zentralplus erschienen. Aus gegebenem Anlass haben wir den Bericht nochmals aus unserem Archiv geholt. Der Einstieg wurde dementsprechend angepasst.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Emil Steinberger
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1 Kommentar
  • Profilfoto von Hanswurst
    Hanswurst, 08.01.2023, 12:16 Uhr

    Bezüglich Frage 23 erkenne ich eine verwerfliche Respektlosigkeit gegenüber dem Kämpfer für das Kleintheater, ohne dessen Einsatz die heutigen Profiteur:innen dieser geschätzten Kulturstätte wohl einen anderen Job suchen müssten.

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