Zuger Justiz bittet zur Kasse

Wenn’s rechtlich nicht geht, soll ein neues Gesetz her

Ungewohnte Szenen in der Stadt Zug: An der unbewilligten Anti-WEF-Kundgebung 2016 wurde ein Mann verhaftet und abgeführt.

(Bild: mbe.)

Die Organisatoren der ersten unbewilligten Demonstration in Zug sollen für die Polizeikosten zur Kasse gebeten werden. Doch ist das rechtlich überhaupt möglich, und wer will das? Sicher ist: Der Zuger Stadtrat hat diesen Auftrag nicht erteilt. Und der Zuger Regierungsrat Beat Villiger räumt ein, dass das Vorhaben auf wackligen Beinen stehen könnte.

Am Montagabend informierte die Zuger Polizei die Bevölkerung über den Grosseinsatz vom Samstag, 23. Januar. Rund 300 Polizisten waren im Einsatz, um Sach- und Personenschaden in der Stadt abzuwenden.

Das «Anti-WEF-Bündnis» hielt eine unbewilligte Kundgebung auf dem Bundesplatz in Zug ab. Die Polizei ging von einem Drittel gewaltbereiter Personen aus. Die Kosten für das polizeiliche Grossaufgebot wurden mit 260’000 Franken beziffert. Dazu kommen weitere Kosten der Staatsanwaltschaft, die noch nicht bekannt sind (zentral+ berichtete).

Organisatoren haftbar machen

Bezahlen sollen für diese Kosten die Demo-Organisatoren. Das erklärte am Montag Hugo Halter, stellvertretender Kommandant der Zuger Polizei (er ist ebenfalls CVP-Fraktionschef im Zuger Stadtparlament).

Die Info wurde am nächsten Tag nochmals bestätigt: Die unbewilligte Demonstration habe ein Grossaufgebot zur Folge gehabt, und die Behörden wollten nicht, dass hierfür die Steuerzahler aufzukommen hätten, sagte Judith Aklin, Sprecherin der Zuger Strafverfolgungsbehörden, gegenüber «20 Minuten».

Das sagt der Rechtsexperte

«Für die Abwälzung von Kosten für einen Polizeieinsatz bei politischen Demonstrationen braucht es eine klare gesetzliche Grundlage», sagt Professor Bernhard Rütsche, Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät an der Universität Luzern. Verschiedene Kantone hätten eine solche Grundlage, so auch Luzern.

Rütsche gibt zu bedenken: «Verpflichtungen zur Übernahme von Polizeikosten bei politischen Kundgebungen sind aus rechtsstaatlicher Sicht heikel, da sie Veranstalter davon abhalten können, von ihren Grundrechten auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit auf öffentlichem Grund Gebrauch zu machen.»

Laut einem Entscheid des Kantonsgerichts Luzern von 2013 brauchen Kostenübernahmeregelungen deshalb nicht nur eine klare gesetzliche Verankerung, sondern müssen auch verhältnismässig ausgestaltet sein. «Das Luzerner Polizeigesetz trägt dem Rechnung, indem es die Kostenübernahme pro Person auf höchstens 30'000 Franken begrenzt», so Bernhard Rütsche.

Laut Aklin sind die polizeilichen Ermittlungen noch im Gange. Ziel sei es, herauszufinden, wer die Demonstration organisiert habe. Es brauche jedoch Zeit, um zu klären, wer welche Rolle innehatte. Gemäss Judith Aklin wird die Polizei die Videoaufnahmen auswerten, welche an der Kundgebung gemacht wurden. Das könne einige Zeit dauern. «Doch über das Ergebnis werden wir informieren.»

«Wenn die Ermittlungen abgeschlossen sind, werden die Fälle der Staatsanwaltschaft überwiesen», sagt Aklin zu zentral+.

«Kein Auftrag des Stadtrats»

Der Zuger CVP-Stadtrat Urs Raschle ist verantwortlich für die Sicherheit in der Stadt Zug. Er sagt auf Anfrage: «Die Überwälzung der Kosten für den Polizeieinsatz wird wohl nicht ganz einfach.»

Raschle stellt aber auch fest: «Im Auftrag des Stadtrats an die Zuger Polizei war von einer Kostenüberwälzung keine Rede.» Der Auftrag an die Zuger Polizei habe gelautet, eine Platzdemonstration auf dem Bundesplatz zu erlauben, aber einen Umzug zu verhindern. Man befürchtete Sach- und Personenschäden. Raschle meint, der Ball liege jetzt bei den Zuger Justizbehörden. «Persönlich begrüsse ich die Idee mit der Verrechnung», sagt Urs Raschle.

Sicherheitskosten an EVZ-Matches gesunken

Raschle verweist zudem auf eine ähnliche Regelung bei den EVZ-Spielen. Die Gesetzesanpassung dafür sei im Kantonsrat sehr umstritten gewesen, kam aber durch. Seit 2012 muss der EVZ bei Ausschreitungen 60 Prozent der Sicherheitskosten übernehmen. Raschle: «Seither ist die Bosshard-Arena einer der sichersten Orte.» Die Sicherheitskosten seien massiv gesunken. «Der EVZ hat damals eines der härtesten Regimes der Schweiz eingeführt», erklärt der Stadtrat. Seither kommen nur noch wenige auswärtige Eishockey-Fans nach Zug an die Matches.

«Im Auftrag des Stadtrats an die Zuger Polizei war von einer Kostenüberwälzung keine Rede.»
Stadtrat Urs Raschle

Zuger Justiz will Kosten verrechnen

Judith Aklin präzisiert auf Anfrage von zentral+, die Überwälzung der Kosten sei eine Intention der Zuger Justizbehörden. Die Kundgebung sei die erste unbewilligte Demonstration in Zug gewesen und ist insofern Neuland.

Die Teilnahme an einer unbewilligten Demonstration ist eine Übertretung (eine kleine Straftat respektive Regelübertretung, sie wird meistens mit einer Busse bestraft). «Doch der Aufwand für das Grossaufgebot fällt auf die Steuerzahler zurück», sagt Aklin. Die geplante Überwälzung sei mit der kantonalen Sicherheitsdirektion als vorgesetzter Stelle natürlich abgesprochen.

Der kantonale Sicherheitsdirektor Beat Villiger (CVP) nahm ebenfalls Stellung zu Fragen von zentral+:

Beat Villiger

Beat Villiger

(Bild: zvg)

zentral+: Herr Villiger, begrüssen Sie die Weiterverrechnung der Polizeikosten an die Organisatoren der Anti-WEF-Demo?

Beat Villiger: Ja. Wir haben Gesetze, die einzuhalten sind. Jemand hat nun anonym zu einer Demonstration aufgerufen, die gemeldet werden und für die eine Bewilligung eingeholt werden müsste. Wenn Personen gegen Gesetze verstossen und dadurch in der Folge einen Polizeieinsatz provozieren, sind alle Möglichkeiten zu prüfen, damit sie ins Recht gefasst werden und für die verursachten Kosten aufkommen müssen.

zentral+: Ist das eine Eigeninitiative der Zuger Justiz oder hat der Kanton seine Einwilligung gegeben?

«Wenn die aktuellen Rechtsgrundlagen nicht genügen sollten, werde ich versuchen, eine ausreichende Gesetzesnorm zu schaffen.»
Regierungsrat Beat Villiger

Villiger: Als Sicherheitsdirektor will ich, dass die Polizei alle Möglichkeiten prüft, die Organisatoren und die Teilnehmenden an der unbewilligten Demonstration an den von ihnen verursachten Kosten zu beteiligen. Es kann ja wohl nicht sein, dass jeder Verein, wenn er einen Anlass organisiert, seine diesbezüglichen Verpflichtungen zu erfüllen und Kosten zu tragen hat, anonyme Organisierende aber für ihr gesetzeswidriges Verhalten ohne Kostenbeteiligung davonkommen. In meinem Rechtsempfinden ist dies sehr störend.

zentral+: Wäre das denn eine Premiere in Zug?

Villiger: Dazu kann ich nichts sagen. Ich weiss nur, dass der stark überwiegende Teil der Zuger Bevölkerung nicht für solche Kosten aufkommen will.

zentral+: Wie schätzen Sie die Chancen ein, dass das Geld tatsächlich eingetrieben werden kann?

Villiger: Wenn die aktuellen Rechtsgrundlagen nicht genügen sollten, werde ich versuchen, eine ausreichende Gesetzesnorm zu schaffen.

Luzern und Basel verrechnen Polizeikosten, Zürich nicht

zentral+ hat grössere Schweizer Städte angefragt, ob sie die Polizeikosten für politische Demonstrationen ebenfalls auf die Veranstalter überwälzen. Luzern und Basel verrechnen diese unter bestimmten Umständen, die Stadt Zürich nicht. Auch nicht bei unbewilligten Demonstrationen.

Luzern: Luzern überwälzte bisher keine Polizeikosten. Seit 1. Januar 2016 ist das neue kantonale Polizeigesetz in Kraft, das sehr umstritten war (zentral+ berichtete). Danach können Veranstalter neu zur Kostenübernahme verpflichtet werden, wenn es zu Gewalt gegen Personen oder Sachen gekommen ist. Oder wenn eine Veranstaltung über keine Bewilligung verfügt. Und wenn der Veranstalter «vorsätzlich» oder «grobfahrlässig» gegen Bewilligungsauflagen verstossen hat. «Bei friedlichen Demonstrationen wird auf die Rechnungsstellung verzichtet», sagt Erwin Rast vom Justiz- und Sicherheitsdepartement des Kantons Luzern.

Das neue Luzerner Polizeigesetz sieht ausserdem eine Aufteilung der Kosten des Polizeieinsatzes zwischen Veranstalter (höchstens 40 Prozent der Kosten) und den an der Gewaltausübung beteiligten Personen (60 Prozent) vor. Wegen eines Gerichtsurteils von 2013 hat man ausserdem einen Maximalbetrag eingebaut. Wegen der Verhältnismässigkeit darf die Kostenübernahme pro Person höchstens 30’000 Franken betragen.

Bei Sportveranstaltungen verrechnet Luzern die Leistungen, je nachdem ob kommerzieller oder ideeller Zweck der Veranstaltung, der Luzerner Polizei. Kommt es zu gewalttätigen Aussschreitungen, können sowohl Veranstalter als als auch Einzelpersonen zu einer Kostenübernahme verpflichtet werden.

Zürich: Die Stadt Zürich verrechnet bei bewilligten Demonstrationen keine Kosten an den Veranstalter. «Bei unbewilligten Demos stellt sich das Polizeidepartement auf folgenden Standpunkt: Polizeiarbeit ist eine hoheitliche Staatsaufgabe, die mit Steuern finanziert wird», sagt Matthias Ninck, Kommunikationsleiter des Polizeidepartements der Stadt Zürich. Als Grundsatz seien Stadtpolizeieinsätze auf Stadtgebiet nicht zu verrechnen. In den letzten neun Jahren wurden laut Ninck nur wenige Einsätze verrechnet, zwei wegen falscher Bombendrohung und ein paar Suchaufträge für Gegenstände in der Limmat.

Bei Sportveranstaltungen wie Fusssballspielen, die einen ausserordentlichen Polizeieinsatz nötig machen, gehören die ersten 200 Stunden zur Grundversorgung, danach trägt der Club die Hälfte der Kosten.

Basel: Bei Demonstrationen oder anderen Veranstaltungen, bei denen Straftaten bei der Staatsanwaltschaft angezeigt werden, meldet die Kantonspolizei die Einsatzkosten an die Staatsanwaltschaft mit dem Ziel, sie einem oder mehreren Verursachern zuweisen zu können.
«Sowohl der Staat als auch Private können Sachbeschädigungen anzeigen und eingetretene Vermögensschäden bei identifizierter Täterschaft als Privatkläger geltend machen», schreibt Martin R. Schütz, Mediensprecher des Justiz- und Sicherheitsdepartements des Kantons Basel-Stadt.

Für Sportveranstaltungen im Kanton Basel-Stadt gilt seit 2010 eine separate Vereinbarung.

Bern: In der Stadt Bern sind laut Beat Gnägi von der Kantonspolizei Bern sicherheitspolizeiliche Einsätze, worunter auch Veranstaltungen wie Kundgebungen oder Sportanlässe fallen, über einen sogenannten Ressourcenvertrag geregelt. Somit werden diese Einsätze von der Stadt Bern pauschal bezahlt.

Was meinen Sie dazu? Soll der Kanton Zug an den Organisatoren der unbewilligten Anti-WEF-Demo ein Exempel statuieren? Oder sind Polizeieinsätze eine Aufgabe des Staates, der seine Bürger vor Gewalt beschützen muss? Schicken Sie uns Ihren Kommentar.

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4 Kommentare
  • Profilfoto von Hans Satt
    Hans Satt, 28.01.2016, 17:54 Uhr

    Das klingt ja sehr nach Willkür: «Wenn die aktuellen Rechtsgrundlagen nicht genügen sollten, werde ich versuchen, eine ausreichende Gesetzesnorm zu schaffen.» ??
    Wo soll das nur hinführen…

    Das ganze Gerede um Kostenübernahme könnte aber auch einen anderen Grund haben. Vielleicht sollen auch nur die besorgten Bürger beruhigt werden, dass sie nicht diesen völlig überrissenen Polizeieinsatz mit ihren Steuergeldern bezahlen müssen. So muss die Polizei sich schlussendlich viel weniger rechtfertigen. Wenn in einem Jahr die «Ergebnisse» der Ermittlungen da sind, interessiert das Thema eh niemanden mehr.

    Und wenn dann tatsächlich Organisatoren ermittelt werden, werden die wohl eh nicht so viel Geld haben, somit müssen die die Kosten «absitzen», was dann nur noch mehr Kosten für den Staat bedeuten. Dumme Idee, in jedem Fall, ausser um den besorgten Bürger zu beruhigen.

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  • Profilfoto von Hans Peter Roth
    Hans Peter Roth, 28.01.2016, 15:37 Uhr

    Korrektur: … oder der Einsatz von polizeilichen agents provocateurs, welche sich vermummt … (sollte es richtig heissen

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  • Profilfoto von Hans Peter Roth
    Hans Peter Roth, 28.01.2016, 15:33 Uhr

    Die Kostenbeteiligung der Demonstranten für die Polizeieinsätze ist eine unausgegorene Bieridee, welche rechtlich auf wackligen Beinen steht. Zudem würde damit das Demonstrationsrecht ausgehöhlt. Keine Einzelperson, keine Organisation würde sich mehr getrauen, ein Demonstrationsgesuch einzureichen. Die Polizei könnte dann in eigenen Ermessen den Gefährdungsgrad der bewilligten Demo einschätzen und die entsprechende Anzahl von Polizisten aufbieten. Niemand kann bei einer Demo garantieren, dass es zu keiner Ausschreitung oder Sachbeschädigung kommt. Dazu genügt eine kleine Gruppe, die sich nicht an die Abmachung der Demo-Organisatoren hält oder ein Angriff von Rechtsradikalen auf die Demo (vielfach toleriert durch die Polizei) oder der Einsatz von polizeilichen , welche sich vermummt unter die Demonstranten mischen. Der entstehende Tumult wäre dann Grund, die Demo-Verantwortlichen mit riesigen finanziellen Forderungen in den Ruin zu treiben. Die Folge davon wäre, dass es nur noch unbewilligte Demonstrationen gibt, welche wiederum der Polizei Grund bietet, möglichst viele Personen festzunehmen und diesen die Kosten aufzubürden. Fazit: Eine solche Regelung hebelt schlussendlich das Demonstrationsrecht aus, was aber vielen Spiessbürgern eh schnuppe ist, weil ihnen ein autoritärer Staat mehr am steinernen Herzen liegt als ein Rechtsstaat.

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  • Profilfoto von Peter Bossi
    Peter Bossi, 28.01.2016, 11:43 Uhr

    > Judith Aklin präzisiert auf Anfrage von zentral+, die Überwälzung der Kosten sei eine Intention der Zuger Justizbehörden. Die Kundgebung sei die erste unbewilligte Demonstration in Zug gewesen und ist insofern Neuland.

    Das es sich hier um die erste unbewilligte Demonstration in Zug handelt ist faktisch falsch. Zwischen 2000 und 2004 kam es mehrere Male zu unbewilligten Demonstrationen bei denen es auch zu grossen Polizeieinsätzen kommt. So wurde damals das Zeughaus auch im Anschluss an eine unbewilligte Demonstration besetzt.

    http://switzerland.indymedia.org/de/2009/07/70407.shtml

    Ich habe kein Zeitungsarchiv zur Hand, deshalb ist Indymedia die einzige Quelle, aber diese Aussage muss korrigiert werden. Falsche Beahuptungen sind für eine politische Diskussion Gift.

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