Existenzängste bei Luzerner Marktfahrern – und Lob

«Wenn ich meinen Standplatz verliere, lande ich in der Sozialhilfe»

Kein Einkaufstourismus: Luzerner Wochenmarkt.

(Bild: Emanuel Ammon/AURA)

Nach einem jahrelangen juristischen Hickhack informierten die Behörden am Montagabend die Luzerner Marktfahrer darüber, wie ihre Standplätze zukünftig vergeben werden. Nun ist klar: Das neue System schürt bei vielen Marktfahrern Existenzängste – wird teilweise aber begrüsst.

Auch neue Marktteilnehmer müssen die Möglichkeit haben, am Luzerner Wochenmarkt teilzunehmen. Das entschied das Bundesgericht im 2012 – nun endlich reagiert die Stadt Luzern (zentralplus berichtete). Sie verspricht ein «offenes und diskriminierungsfreies Verfahren».

Doch mit dem offenen System sind alte Privilegien aufgehoben – das schürt Existenzängste. Bisher vergab die Stadt rund 80 Jahresbewilligungen. Wer bereits eine Bewilligung hatte, erhielt sie in der Regel für das folgende Jahr erneut. Am Montagabend wurden die Marktfahrer informiert über die neue Vergabe-Praxis.

Furcht ist gross

«Wenn ich meinen Standplatz verliere, lande ich in der Sozialhilfe», sagte eine Marktfahrerin zu zentralplus. Es sind einige Dutzend Personen, die an diesem Abend nach der Informationsveranstaltung aus dem Marianischen Saal an die Bahnhofstrasse unter dem dunklen Wolkenhimmel treten.

Bisherige Marktteilnehmer und neue Interessierte wurden über den Kriterienkatalog der Ausschreibung sowie das Gesuchsformular informiert. Die Medien waren nicht zugelassen, diese werden Tags darauf informiert. Man möchte sich Zeit lassen, die Betroffenen ungestört zu instruieren und deren Fragen zu beantworten, begründete die Stadt den Ausschluss der Journalisten.

«Ich muss über 90 Käsesorten aufführen.»

Käsehändler Robert Stadelmann

Wie sich zeigt, ist die Stimmung unter den Betroffenen gemischt. Auch wenn das neue System akzeptiert wird; gefallen tut es nicht allen: «Wir haben keine andere Wahl», meint etwa Ursula Meier, die seit 15 Jahren Blumen verkauft am Wochenmarkt. «Alle Marktfahrer haben Angst, aber es ist nun mal so.» Für viele Geschäftsleute, die einen Stand haben, ist er ein wichtiger Teil des Umsatzes.

Viel Aufwand mit neuem Formular

Wiederholt wurde nach der Veranstaltung Kritik geäussert an dem neuen Formular, denn es sei aufwendig, dieses auszufüllen: «Ich muss über 90 Käsesorten aufführen», meint etwa der Stadtluzerner Käsehändler Robert Stadelmann. Er ist seit über 24 Jahren am Markt, rund die Hälfte des Umsatzes generiere er am Wochenmarkt.

«Es ist oft harte Arbeit.»

Katharina Irma Schaller, Blumenhändlerin

Auch Sabine Sutter findet wenig Gefallen am Papierkrieg: «Ich frage mich, wie ich auf diesen Bewilligungsunterlagen mein kreatives Schaffen vermitteln kann.» Die Blumenverkäuferin ist bereits seit 15 Jahre mit einem Stand am Wochenmarkt präsent.

Der Luzerner Wochenmarkt soll seinen Charakter behalten.

Der Luzerner Wochenmarkt soll seinen Charakter behalten.

(Bild: Emanuel Ammon/AURA)

Arbeit wird romantisiert

Doch trotz Kritik zeigt man Verständnis gegenüber den Behörden: «Es wurde gut informiert», findet etwa Irma Katharina Schaller. Wenn es mit der Bewilligung klappt, wird sie bald 20 Jahre dabei sein. Viele, die sich für einen Marktstand interessierten, würden denken, die Arbeit auf dem Markt sei einfach schön.

«Das neue System ist nicht schlecht.»

Kevin Amrein, Eigenbrötler

Zuweilen werde ihre Arbeit romantisiert, meint Schaller. Zu Unrecht: «Es ist oft harte Arbeit. Vor allem wenn es über Wochen hinweg regnet und man bereits beim Aufstellen morgens um halb sieben nass ist.»

Es gab durchaus auch positive Stimmen unter den Marktfahrern: «Das neue System ist nicht schlecht», findet etwa Kevin Amrein, der mit seinem Vater Daniel Amrein als «Eigenbrötler» Brote verkauft (zentralplus berichtete). «Nun gibt es klare Kriterien bei der Vergabe», findet er. Die Stimmung unter den Anwesenden habe sich im Verlaufe des Abends verbessert. Je mehr Informationen man erhalten habe, desto entspannter seien die Zuhörer geworden, so Amrein.

Nicht an Änderung interessiert

An der Infoveranstaltung vor einem Jahr reagierten die Marktfahrer skeptisch auf die Neuigkeiten. Sie fürchteten, ihren Platz mit dem Systemwechsel auf das Jahr 2019 teilweise zu verlieren. Edy Spielhofer, damaliger Präsident der IG Luzerner Wochenmarkt, erinnerte die damaligen Vertreter der Stadt daran, dass die Marktfahrer nicht an Veränderungen interessiert seien. «Die Unsicherheit ist immer noch vorhanden. Die verschiedenen Betriebe sind auf gute Geschäfte auf dem Luzerner Wochenmarkt angewiesen.»

Vergabe startet am Dienstag

Neues Kernstück des offenen Verfahrens sind laut dem Stadtrat vier Kriterien: 1. Sortiment, 2. Herstellung und Verarbeitung, 3. Verkauf und Vertrieb der Produkte sowie 4. die Logistik am Wochenmarkt. Der Wochenmarkt findet an den gleichen Standorten zu denselben Marktzeiten statt und es wird auch weiterhin der gleiche Sortimentsmix wie heute angeboten.

Trotzdem: Es würden sich entsprechend qualifizierte neue Bewerber im Auswahlverfahren durchsetzen, so die Stadt. Ab 2019 seien deshalb Veränderungen am Markt möglich. Wer an der Ausschreibung teilnehmen möchte, kann dies vom 30. Mai bis 31. August 2017 tun.

Bundesgericht brachte Stein ins Rollen

Bisher konnten die Händler mit Jahresbewilligung damit rechnen, dass diese das darauffolgende Jahr erneuert wurde. Eine Marktfahrerin, die Backwaren und Schokolade feilbietet, hat dieses «System» durcheinandergebracht. Sie klagte wegen der Nichtverlängerung ihrer Temporärbewilligung und der Verweigerung einer Jahresbewilligung wegen Ungleichbehandlung vor dem Luzerner Verwaltungsgericht (heute Kantonsgericht).

Dieses, später auch gestützt vom Bundesgericht, hat der Marktfahrerin Recht gegeben. Es beurteilte die Praxis der Stadt, bei der Jahresbewilligung die bisherigen Händler zu bevorzugen, als nicht rechtskonform. Das Bundesgericht verlangt die jährliche Ausschreibung und Bewilligung nach sachlichen Kriterien.

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