Luzernerin fragt nach – und landet in Cham

Wenn Firmen mit deinen Daten Geld verdienen

Wer unerwünschte adressierte Werbung im Briefkasten findet, ist womöglich in einer Datenbank gespeichert. (Symbolbild: Unsplash/The Blowup) (Bild: Symbolbild: Unsplash/The Blowup)

Als ihr immer mehr ungefragte Bettelbriefe ins Haus flattern, geht eine Luzernerin der Sache näher auf den Grund. Sie stösst auf ein Unternehmen in Cham, das ihre Adresse «vermietet» hat. Das ist vielleicht lästig, aber legal. Gleichwohl gibt es Wege, um unerwünschte Post zu vermeiden.

Susi Peyer* gehört zu den Menschen, die hin und wieder für einen guten Zweck spenden. Dass deswegen gelegentlich Bettelbriefe in ihrer Post landen, überrascht die Luzernerin darum nicht. Doch ihr fällt auf: Es werden immer mehr. Dabei steht ihre Adresse weder im Telefonbuch noch hat sie sich bei einer der Organisationen engagiert oder gemeldet.

Sie fragt sich: Wieso erhalte ich – ungefragt – plötzlich so viele Zusendungen?

Dabei geht es ihr nicht nur um das viele Altpapier, das die Umwelt belastet und ihr Arbeit beschert. «Ich hatte langsam den Verdacht, dass es ein geheimes Adressverzeichnis gibt von spendenfreudigen Leuten wie mir», sagt die 44-Jährige.

Eine erstaunlich ehrliche Antwort

Was dann geschah, überraschte sie und warf zugleich neue Fragen auf. Susi Peyer meldete sich per Mail bei jener Tierschutzorganisation, die ihr einen Jahreskalender schickte. Die Antwort folgte nur wenige Stunden später und brachte Licht in die Sache.

«Die Adressen haben wir von AZ Direct AG einmalig für diesen Spendenaufruf gemietet», schrieb ihr die Tierschutz-NGO. Das Ziel sei es, dadurch Neuspender zu gewinnen.

Die Antwort verblüffte die Luzernerin. «Da macht ein Unternehmen mit meinen privaten Daten als Rohstoff Geld – ohne dass ich davon weiss.» 

Diese sogenannte Miete von Adressen gehört zum Angebot der Firma AZ Direct AG mit Sitz in Cham, die sich auf datengestütztes Marketing spezialisiert hat. «Die Organisationen erhalten gegen Entgelt Zugriff auf die Adressdaten und verwenden diese – je nach Vereinbarung – für ein einzelnes oder mehrere Mailings», erklärt Lucien Jucker vom Konsumentenschutz. Das sei ein sehr verbreitetes Mittel für NGO, um neue Unterstützerinnen zu finden. Das bestätigt auch die Zuger Firma AZ Direct AG, die unterschiedlichste Nichtprofitorganisationen zu ihren Kunden zählt und über 50 Mitarbeiter beschäftigt.

«In unserer Datenbank sammeln und verwalten wir Daten aus öffentlich zugänglichen Quellen sowie aus Quellen mit Erlaubnis zur freien Nutzung.»

Daniel Hellstern, AZ Direct AG

Wie weit das zielgerichtete Marketing geht, zeigt ein Blick in den Webshop der Zuger Firma. Potenzielle Käufer können wie in einem Katalog zig Eigenschaften – etwa die Zahl der Kinder, die Ausbildung oder die Höhe des Einkommens – ankreuzen, um passgenau die vielversprechendsten Kunden zu finden.

Auch vordefinierte Zielgruppen sind im Angebot: Beispielsweise die «jungen Wilden», denen Ausgang und Ferien wichtig sind oder sogenannte «Lohas» – konsumfreudige und kaufkräftige Menschen mit dem Drang zu nachhaltigen Produkten – oder Besitzer von Katzen und Hunden, die auf «attraktive Angebote und Dienstleistungen rund um das Thema Haustierhaltung» warten.

Über 150 Merkmale gibt es laut Angaben der Firma, die mit über 7 Millionen Privatadressen für ihre Dienste wirbt. Je detaillierter die Daten, umso kostspieliger wird es tendenziell. Wer etwa spendenfreudige Menschen aus dem Bereich Tierfreunde will, kommt auf ein Potenzial von knapp 280'000 Adressen und einen Preis von rund 83'000 Franken für die einmalige Nutzung. Sprich: zirka 30 Rappen pro Adresse.

Quellen bleiben Geschäftsgeheimnis

Doch wie kommt ein Unternehmen wie AZ Direct AG zu all diesen Informationen? Oder, anders gefragt: Wie landet man als Konsument in ihrer Datenbank? «Wie diese Daten genau gesammelt werden, können wir nicht sagen», heisst es beim Konsumentenschutz. Vermutlich würden sie aus mehreren Quellen zusammengeführt. 

Als Konsument stimmt man womöglich über die Teilnahme an Gratiswettbewerben oder durch den Abschluss von Zeitschriftenabos der Weitergabe seiner Adresse zu, oft unbewusst. Die AZ Direct gehört zu Bertelsmann und zu diesem Konzern gehört auch der Zeitschriftenverlag Gruner + Jahr, der unter anderem «GEO», «Brigitte» und «Schöner Wohnen» herausgibt.

«Die Firma muss Auskunft geben.»

Lucien Jucker, Konsumentenschutz

Das Unternehmen lässt sich nicht detailliert in die Karten blicken. «In unserer Datenbank AZ Data World sammeln und verwalten wir Daten aus öffentlich zugänglichen Quellen sowie aus Quellen mit Erlaubnis zur freien Nutzung», sagt Daniel Hellstern von der AZ Direct AG auf Anfrage. Nebst Adressen enthalte ihre Datenbank weitere nichtsensible Informationen, die für Werbezwecke und Marktanalysen genutzt würden.

Weitergehende Fragen lässt die Firma unbeantwortet. Ihr Interesse, an die Öffentlichkeit zu treten, ist offensichtlich gering. Den «Unternehmensrichtlinien folgend» gehe man «nicht vertieft auf Medienanfragen ein», so die Antwort.

Lästiges, aber legales Geschäft

Daniel Hellstern versichert aber: Man halte die gesetzlichen Vorgaben strikt ein, ebenso den Ehrenkodex des Branchenverbandes. Die Datensammlung sei vorschriftsgemäss beim EDÖB, dem eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten, angemeldet.

Dass die Firma nicht gegen Regeln verstösst, bestätigt auch Lucien Jucker vom Konsumentenschutz. «So lange die AZ Direct AG sich an die geltenden Datenschutzbestimmungen hält, ist das Geschäftsmodell legal.»

Denn nach dem Bundesgesetz über den Datenschutz ist die Verwendung der Adresse zu Werbezwecken grundsätzlich zulässig, wenn die betroffene Person die Verwendung für Werbezwecke nicht untersagt hat.

«Ich finde es stossend, dass ich einen Aufwand betreiben muss, um ein Geschäft mit meinen Daten zu verhindern.»

Susi Peyer

Allerdings gibt es die Möglichkeit, die eigenen Daten sperren zu lassen. Am einfachsten geht das mit der sogenannten Robinsonliste, in der man sich eintragen lassen kann. Die dem Direktmarketingverband angeschlossenen Firmen würden sich erfahrungsgemäss an diese Vorgaben halten, heisst es beim eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten. Dort bestätigt man auch, dass das Thema nicht nur Susi Peyer beschäftigt: «Wir erhalten regelmässig Anfragen in diesem Zusammenhang.»

Wer wissen will, ob er oder sie in einer Datenbank aufgeführt wird, kann sich zudem an die zuständigen Unternehmen wenden. «Die Firma muss Auskunft geben», sagt Lucien Jucker von Konsumentenschutz. Auch über die Herkunft der Daten.

Das bedrückende Gefühl bleibt

Informationen verlangt hat auch Susi Peyer. Sie hat bei der Firma in Cham angerufen. Ein Mitarbeiter der AZ Direct AG habe sich für das Gespräch lange Zeit genommen, sagt sie, und ihr versichert, dass die Daten allesamt auf legalem Weg gesammelt worden seien.

Was die Firma über sie weiss und woher sie es weiss, das hat sie am Telefon allerdings nicht erfahren. Um diese Auskunft zu erhalten, müsse sie per Post einen Antrag stellen und eine Ausweiskopie beilegen. Obwohl die Firma ihre Adresse ja offensichtlich kennt.

«Ich finde es stossend, dass ich einen Aufwand betreiben muss, um ein Geschäft mit meinen Daten zu verhindern», sagt sie. Gleichwohl werde sie wohl Einsicht und eine Sperrung verlangen. Damit künftig nicht mehr stapelweise ungefragt Post in ihrem Briefkasten landet.

Das unheimliche Gefühl, dass Fremde viele und vielleicht sehr persönliche Informationen über sie sammeln, sei allerdings geblieben, sagt Susi Peyer. «Obwohl es legal ist, bleibt es für mich ein moralisch fragwürdiges Geschäft.» 

* Name geändert.

Wie du deine Daten schützen kannst

Wer keine adressierte Werbung wünscht, kann sich in die sogenannte Robinsonliste eintragen lassen. Mitglieder des Schweizer Dialogmarketing Verbands nutzen die dort eingetragenen Adressen nicht. Auch das Zuger Unternehmen AZ Direct ist Mitglied des Verbands.

Ebenso kann man gestützt auf Artikel 8 des Datenschutzgesetzes ein Auskunftsrecht geltend machen. Die betroffenen Firmen müssen also auf Anfrage sagen, ob man in ihrer Datenbank aufgeführt ist und woher die Informationen stammen.

Hier findest du einen Musterbrief für ein Auskunfts- und Löschungsbegehren des eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten.

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Michel von der Schwand
    Michel von der Schwand, 15.03.2021, 13:04 Uhr

    Auf welchem so gennanten legalen Weg die AZ Direct AG ihre Daten bezieht, ist tatsächlich etwas schleierhaft. Branchenkenner könnten da schon genauer Auskunft geben. Dennoch steht die Vermutung im Raum, dass hier zum Teil ein regelrechter Datenaustausch – vermutlich getarnt als Datenabgleich – mit den unterschiedlichsten Unternehmen stattfindet. Krankenversicherer und andere Versicherer sind Kunde bei der AZ Direct AG, genauso wie karitative Organisationen. Zudem empfehle ich dringenst, weder an der LUGA noch an anderen Gewerbeausstellungen an Wettbewerben mitzumachen. Gerade Krankenversicherer sind die so genannten Adress-Fetischisten und sammeln diese Adressen. Daraus erfolgen dann die lästigen Werbeanrufe. Das gleiche Spiel funktioniert mit den Spendern. Spende einmal für eine Tierschutzorganisation und du bekommst Werbung vom Fressnapf etc.
    Deshalb Adresse auf Robinsonliste eintragen und mit den Musterbriefen sofort solche Sender anschreiben. Ebenfalls Call-Center-Filter bei swisscom einschalten (Kann man mit dem swisscom-login, sofern Swisscom-Kunde) machen. Falls man dazu nicht in der Lage ist, den Kundendienst anrufen. Da wird dir geholfen.

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