Das bewegende Leben der Ursula Jones

«Wenn die Klassikstars auftauchten, musste Hans Erni antraben»

Ursula Jones-Strebi findet kaum mal Zeit, um sich hinzusetzen und nichts zu tun. (Bild: jwy)

Ursula Jones-Strebi hat eine Mission: neue Talente aufspüren und fördern. Die 84-jährige Luzernerin lebt seit 60 Jahren in London und wurde dort von der Queen geadelt. Und doch ist sie mit der Luzerner Kultur immer noch eng verbunden. Dem Sinfonieorchester verhilft sie jetzt zu einer Premiere.

Ursula Jones-Strebi empfängt uns in ihrer Luzerner Dépendance. Ihr Zimmer ist nur wenige Quadratmeter gross, aber es ist Teil einer reich geschmückten, üppig dekorierten und ziemlich verrückten Wohnung, gleich neben dem Stadttheater. Bevor wir uns setzen, ist ein Rundgang Pflicht: Teppiche, Sessel, Tapeten mit opulenten Mustern, Motiven und Farben.

Es ist die Wohnung des Dekorateurs und Innenarchitekten Beat Studer, der sie nach seinen Vorstellungen eingerichtet hat. Im Parterre des Hauses nebenan führt er seit bald 30 Jahren sein Intérieur-Geschäft – auch dort hat Ursula Jones schon Konzerte organisiert. Und so sind wir schon mittendrin in der Thematik. Doch eins nach dem anderen, es gibt viel zu erzählen.

Ursula Jones ist eine kleine, sehr aufgeweckte Frau. Sie ist mit ihren 84 Jahren noch ungeheuer aktiv und neugierig. Sie beginnt zu erzählen – und entschuldigt sich sogleich, dass sie so viel rede.

Ein Leben mit der Musik

Es muss die Musik sein, die sie so jung gehalten hat, ihr unermüdlicher Einsatz für junge Musiktalente. Ihre Mission: Sie fördert mit einer Stiftung junge Orchester und Musiktalente – eröffnet ihnen in London wie auch in Luzern neue Chancen. Für diesen Einsatz erhielt sie an beiden Orten eine Auszeichnung: von der Queen in London einen «Order of the British Empire» und vom Stapi in Luzern die Ehrennadel.

Nun stellt sie mit dem Luzerner Sinfonieorchester die neue Reihe «Rising Stars» auf die Beine. Internationale Klassiktalente treten mit dem Orchester im KKL auf, am 13. März ist Premiere.

Die Mutter arbeitete, damit Hans Erni nach Paris konnte

Schon in ihrem Luzerner Elternhaus gingen Klassikstars von Weltrang ein und aus: Wilhelm Furtwängler, Herbert von Karajan oder Arthur Rubinstein.

Jones hatte prominente Eltern: Mutter Maria Strebi-Erni war die älteste Schwester von Hans Erni – «eine sehr respektierte Frau», sagt Ursula Jones. Sie sei schon früh arbeiten gegangen, sodass ihre Brüder ins Ausland konnten – Hans Erni nach Paris. Sicherlich hat die Mentalität der Mutter auch auf die Tochter abgefärbt.

«Ich sass in der gleichen Loge wie Arturo Toscanini, ich war ganz scheu und traute mich nicht zu reden.»

Ursula Jones-Strebi

Der Vater, Walter Strebi, war Anwalt, später Luzerner Stadtrat für die Liberalen und Präsident der Musikfestwochen, wie das Lucerne Festival früher hiess.

Die Familie zog oft um: Bireggstrasse, Bellerive, Löwendenkmal, Schwanenplatz, Kastanienbaum. Beim Löwendenkmal hatten sie ein Haus mit einem riesigen Garten, wo während der Festwochen die Mozart-Serenaden stattfanden. Die Musiker gingen bei Strebis ein und aus, und «Onkel Hans» musste antraben und sie für die Gästebücher zeichnen. Ursula Jones steht auf und holt die Bücher mit den Skizzen.

Onkel Hans hat sie alle gezeichnet: Ursula Jones blättert in den Gästebüchern ihrer Eltern. (Bild: jwy)

Onkel Hans hat sie alle gezeichnet: Ursula Jones blättert in den Gästebüchern ihrer Eltern. (Bild: jwy)

Die Frage ist berechtigt: Wäre Luzern ohne Familie Strebi die Musikstadt von heute? Ursula Jones winkt ab – nie würde sie das behaupten. «Wir haben mitgeholfen, das schon.» Und sie erzählt lieber, wie sie mit ihrem Vater, einem Amateurgeiger, am Sonntagmorgen am Klavier «La Donna è mobile» gespielt hat. Und ihre Mutter wollte schlafen. Sie erzählt es mit kindlicher Freude und fängt an zu singen.

Aus einem Semester wurden 60 Jahre

Drei Talente mit dem Luzerner Sinfonieorchester

Für das Konzert «Rising Stars», das zum ersten Mal stattfindet, erhalten drei junge, internationale Solisten die Chance, mit dem LSO im Konzertsaal des KKL aufzutreten: Sonntag, 13. März, 18 Uhr 30.

Die Auswahl fand zusammen mit Ursula Jones statt. Als Solisten treten auf: Peter Moore (UK, Posaune), Le Yu (China, Marimba), Christian Budu (Brasilien, Klavier). Leitung: Carlos Miguel Prieto (Mexiko).

Den Chinesen Le Yu hat Ursula Jones in Manchester kennen gelernt, und sie war total «overwhelmed». Er war bereits einmal in Luzern an den Kammermusiktagen. «Weil aber der Marianische Saal falsch gebucht und nicht mehr frei war, hat er im Rosengart-Museum gespielt. Das war toll: ein Marimba-Spieler unter den Picassos!», so Ursula Jones.

Den Posaunisten Peter Moore kennt sie, seit er mit zwölf Jahren den «BBC Young Musician»-Preis gewann, der jüngste Gewinner bisher. Mit 18 Jahren wurde er als bisher Jüngster Mitglied beim London Symphony Orchestra, inzwischen ist er 20.

Christian Budu schliesslich wurde ihr von LSO-Intendant Numa Bischof empfohlen: Er hat 2013 den Clara-Haskil-Preis gewonnen, einen grossen Klavier-Wettbewerb.

Und dann eben London: Der englische Trompeter Philip Jones war der Grund, wieso sie nicht nur ein Semester, sondern ein Leben lang blieb. Und er war auch der Grund, weshalb sie um ihr Erbe gebracht wurde; dazu später.

Angefangen hatte das England-Abenteuer 1954. Das renommierte Londoner Philharmonia Orchestra war in Luzern zu Gast. Die 22-jährige Ursula Strebi nutzte die Chance und knüpfte Kontakt für einen sechsmonatigen Sprachaufenthalt im Büro des Orchesters.

Sie begleitete das Orchester und den Dirigenten Karajan in die Mailänder Scala. «Ich stand mit meinem Köfferchen in Arth Goldau und stieg in den Zug, in dem das Orchester von Zürich kam. Später sass ich in der gleichen Loge wie Arturo Toscanini, ich war ganz schüchtern und traute mich nicht zu reden», sagt sie und lacht verschmitzt.

Nach sechs Monaten in London wurde ihr der Posten als Orchestersekretärin offeriert. Und so lernte sie auch den Trompeter Philip Jones kennen, ihren späteren Mann, der im Januar 2000 starb.

Sie managte fünf Orchester

Später wurde sie Managerin eines jungen Kammerorchesters, des damaligen Goldsbrough Orchestra. «Ich wollte das Orchester ins Ausland bringen, auch nach Luzern, aber niemand konnte den Namen Goldsbrough aussprechen» – also wurde daraus das English Chamber Orchestra.» Heute ist es eines der meistgereisten Orchester der Welt. Sie förderte grosse Namen: etwa Daniel Barenboim als Dirigent und Solist, der es zu Weltruhm brachte, und sie arbeitete eng mit Benjamin Britten zusammen.

Ursula Jones stellte Orchester für Filme und Musicals zusammen – Anfang der 60er-Jahre für «West Side Story», das nach London kam. Ein grosser Erfolg, es lief letztlich drei Jahre. «Das gab meinem Leben eine neue Wendung; eine Zeit lang hatte ich fünf Orchester, die ich managte. Mit Bargeld reiste ich an Freitagabenden von einem zum anderen, um die Musiker auszuzahlen», erzählt sie.

Doktorat mit 60

Auch ihr Mann wurde immer erfolgreicher, Ursula Jones wurde seine Managerin fürs Philip Jones Brass Ensemble: An seiner Seite reiste sie durch die Welt. Philip Jones spielte in den renommiertesten Orchestern Englands, etwa im Royal Philharmonic oder im BBC Symphony. Sein Philip Jones Brass Ensemble – «im Orchestergraben im Royal Opera House langweilte er sich» – schlug in den 70er-Jahren international ein. «Es brauchte viele Jahre, bis es akzeptiert war, dass man Kammermusik auf Blechbläsern spielen kann.»

Nur einmal trat die Musik in den Hintergrund: Ursula Jones interessierte sich für die Archäologie von Mexiko und Guatemala. Wenn sie mit dem Orchester in diesen Ländern war, nutzte sie die freien Tage, um Ausgrabungsstätten zu besuchen. So beschloss sie, Archäologie zu studieren. Wie die Übersetzerin Ursula Jones mit 50 nochmals Studentin wurde und mit 60 doktorierte – es wäre eine eigene Geschichte.

Die Mutter wurde 107-jährig

Ohne die Stiftung von ihren Eltern wäre ihr Engagement für junge Musiker nicht möglich. Ihre Mutter starb vor zwei Jahren 107-jährig. Das elterliche Vermögen ging in die Maria-und-Walter-Strebi-Erni-Stiftung über. «Meine Eltern waren nicht gerade glücklich, dass ich einen Engländer geheiratet hatte», sagt sie – geerbt hat sie deshalb nichts.

«Es ist immer so viel los. Ich habe nie Zeit, einfach mal einen Abend zu Hause zu bleiben.»

Ursula Jones ist Präsidentin der Stiftung. «Damit soll es für lange Zeit möglich sein, Kultur in Luzern zu unterstützen, wie es meine Eltern wollten», sagt sie. Darum hat sie jetzt die Möglichkeit, Konzerte wie das «Rising Stars» mit dem LSO im KKL durchzuführen. Zwei der drei Talente, die am 13. März zu hören sind, sind ihre Vorschläge (siehe Box). «Ich hoffe, dass wir diese Reihe weiterführen können.» Und sie ergänzt mit ihrem frischen Lachen: «Bei LSO denke ich immer ans London Symphony Orchestra.»

Es ist immer viel los

Etwa zweimal im Monat kommt sie nach Luzern – sie sitzt auch im Stiftungsrat des Lucerne Festivals. «Es ist immer so viel los», sagt sie. Am Tag nach unserem Gespräch besucht sie eine Premiere im Luzerner Theater – und am Abend ein Konzert im Neubad. Und vor dem Gespräch war sie den ganzen Tag in Basel: «Bei meiner jüngsten Tante aus der Erni-Familie, sie wird 102.»

«Ich bin immer erstaunt, wie viel Gutes in Luzern stattfindet, ich habe nie Zeit, einfach mal einen Abend zu Hause zu bleiben. Auch in London nicht, es ist so viel los», sagt sie. Da könnte sich mancher junge Stubenhocker eine Scheibe abschneiden.

Eine Stunde Gespräch ist wie im Flug vorbei – man könnte ihr noch lange zuhören. Ursula Jones sagt: «Jetzt habe ich ein bisschen viel geredet …»

Die Familie Strebi

Ursula Jones-Strebi trägt das englische «Jones» und das luzernische «Strebi» im Namen. Sie ist Tochter der Luzerner Kulturmäzenen Maria und Walter Strebi, die eng mit Luzern und der Kultur verbunden waren. Ihr Vater war liberaler Luzerner Stadtrat und Mitbegründer der Musikfestwochen (heute Lucerne Festival). Ihre Mutter, Maria Strebi-Erni, war die älteste Schwester von Hans Erni.

1954 zog die 22-jährige Ursula Strebi für ein Sprachsemester nach London. Sie blieb dort und heiratete den Trompeter Philip Jones, der im Jahr 2000 starb. Noch heute lebt sie mitten in London, inzwischen seit über 60 Jahren. Sie führt die Maria-und-Walter-Strebi-Erni-Stiftung ihrer Eltern, mit der sie junge Musiktalente fördert. Daneben ist sie im Stiftungsrat des Lucerne Festival.

Königin Elisabeth verlieh ihr 2010 für ihre «Services in Music» den Orden of the British Empire. 2014 bekam sie die Ehrennadel, die höchste Auszeichnung der Stadt Luzern – wie bereits 1980 ihr Vater.

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