Luzerner Eltern erzählen

Wenn die Kinder flügge sind – spüren Eltern die Leere zu Hause

Man weiss es und doch kann es einen treffen: Wenn die Kinder ausziehen. (Symbolbild: Juliane Liebermann/Unsplash)

Die Kinder ziehen aus, es wird im Elternhaus ruhiger. Manche Eltern trauern so sehr, dass sie eine Leere in sich spüren. Expertinnen sagen diesem Phänomen «Empty-Nest-Syndrom». Eine Mutter und ein Vater aus Luzern erzählen, wie sie damit umgegangen sind.

Die pink gestrichenen Wände und der pinke Traumfänger hinter Anna und Alexander lassen vermuten, dass das einmal ein Mädchenzimmer war. In der Ecke steht ein weisser Stuhl aus Stahl, darauf thront ein grosser Plüsch-Pandabär.

Vor zwei Jahren verliess ihre Tochter das Haus, mit 25 Jahren zog sie in ihre erste eigene Wohnung. Die Familie – die einst zu viert am Tisch ass – hat sich verkleinert. Jetzt sind da nur noch Anna und Alexander.

«Es ist schon komisch», sagt Alexander. «Wenn man ins Zimmer der Tochter kommt und da ist niemand mehr. Das Haus wurde mit den Umzügen unserer beiden Töchter leerer – und es wurde ruhiger.»

Lernen, loszulassen

Es sei ein Auf und Ab, sagt Anna. Manchmal tue es wieder mehr weh, dann komme sie ganz gut damit zurecht. «Es ist ja auch schön, als Mutter zu sehen, wie die Töchter ihr Leben packen.»

«Das Haus wurde mit den Umzügen unserer beiden Töchter leerer und es wurde ruhiger.»

Aber diese Leere und der Schmerz, wenn die Kinder flügge sind... In den 60er-Jahren fanden amerikanische Soziologen einen Begriff dafür: das Empty-Nest-Syndrom. Dieses setze nach dem Auszug des letzten Kindes ein und dauere anderthalb bis zwei Jahre. Typisch ist es, wenn sich Eltern alleine fühlen, sie empfinden Trauer und Schmerz.

Ein langer Prozess

Andere präzisierten das Phänomen weiter. Beispielsweise Georgios Papastefanou. Er spricht vom «Pre-Empty-Nest», wenn der Ablösungsprozess zu Hause beginnt. Das «Partial-Empty-Nest» setzt ein, wenn die Kinder in der Nähe studieren und am Wochenende nach Hause kommen, und das «Post-Empty-Nest», wenn die Kinder dann ganz ausgezogen sind. 

«Kinder lösen sich ja nicht von heute auf morgen von ihren Eltern, das ist ein jahrelanger Prozess», weiss auch Anna. So erzählt Alexander, wie die Kinder in der Primarschule noch mittags fürs Essen nach Hause kamen. Im Gymnasium waren sie dann ganztags ausser Haus, so auch während des Studiums und dem ersten Job. Und als sie dann älter wurden, waren sie an den Wochenenden unterwegs. Bis sie dann ganz weg waren. «Man weiss ja als Eltern auch, dass die Kinder eines Tages älter werden und ihre eigenen vier Wände haben wollen.»

Für den Vater war es schwerer

«Für ihn war es wohl bei der zweiten Tochter noch ein wenig schwieriger», sagt Anna und zeigt auf ihren Mann. Damals halfen sie ihrem Kind beim Umzug. Sie sahen, wie die Umzugskartons aus dem Haus ins Auto und in die neue Wohnung getragen wurden. «Als wir dann spätabends von ihrer Wohnung nach Hause fuhren, sprachen wir kein Wort. Und wir tranken zu Hause auch kein Glas Wein.» Den trinke Anna nicht, wenn es ihr nicht so gut gehe.

«Vom einen auf den anderen Tag war das Bett dann weg.»

Bei der ersten Tochter sei es gar noch ein wenig schwerer gewesen. Weil diese ihren Umzug alleine in die Hand nehmen wollte. Die Eltern wussten zwar, dass sie eine Wohnung gefunden hat. Irgendwie waren sie dann aber doch überrumpelt. «Vom einen auf den anderen Tag war das Bett dann weg.»

Nach dem Umzug sind sie den Kindern noch näher

Was einst vielleicht nervte, kann einem Jahre später fehlen. Früher lagen benutzte Teller auf dem Tisch, neben dem Spülbecken in der Küche. Schuhe standen im Gang. Nasse Handtücher auf dem Sofa. Alexander erzählt, dass sie den Kühlschrank die ersten Monate zu sehr füllten. Es war mehr da, als sie hätten essen können. Erst etwa 30 Einkäufe und ein halbes Jahr später haben sie auch das im Griff.

Anna und Alexander sagen heute, dass sie ihren Kindern heute noch viel näher seien als früher. «Man begegnet sich nach dem Auszug auf einer anderen Ebene wieder. Unsere Töchter lassen uns viel mehr an ihrem Leben teilhaben, sind kommunikativer.»

Und Alexander ergänzt: «Es ist umso schöner zu sehen, welche Werte unsere Kinder von ihrem Elternhaus mitgenommen haben.» Das Zimmer wird auch künftig pink bleiben. «Denn es ist das Zimmer unserer Tochter.»

Hinweis: In einem zweiten Bericht kommende Woche befragt zentralplus einen Psychotherapeuten zum Thema Empty-Nest-Syndrom.

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Michel von der Schwand
    Michel von der Schwand, 29.03.2021, 14:19 Uhr

    Ich nenne das «Helikopter-Syndrom» oder auch «Pamper-Syndrom».

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