Archäologen müssen sich im Wauwilermoos beeilen

Wenn die Kelten dem Bauherrn in die Quere kommen

Handarbeit, bevor die Bagger auffahren: archäologische Grabung in Egolzwil.

(Bild: jwy)

Wo vor über 2000 Jahren die Kelten hausten, entstehen in Egolzwil bald sechs Wohnungen. Die Zeit drängt, darum sichern die Archäologen momentan alles, was ihnen unter die Finger kommt. Über einen ungeduldigen Bauherrn und eine euphorische Gemeinde.

Direkt an der Bahnstrecke in Egolzwil, mitten in einer Neubau-Siedlung, wird gegraben. Das Fundament ist metertief freigelegt, Arbeiter hantieren mit Werkzeug. Doch da sind keine Bauarbeiter am Werk, sondern Archäologen – sie füllen Erde in Kessel, zeichnen, dokumentieren. Mittendrin strahlt Ebbe Nielsen, stellvertretender Luzerner Kantonsarchäologe. «Das ist ausserordentlich spannend und wird noch für Diskussionen sorgen.»

Die Gemeinden Wauwil und Egolzwil sind beliebte und wachsende Wohngemeinden, aber sie bergen im Boden eine reiche Vergangenheit, wie etwa das Pfahlbauerdorf beweist. Und nun auch noch die Kelten. Immer wieder gab es Indizien dafür, aber erst jetzt konnte man bei Sondierungen diesen Sommer Siedlungsspuren nachweisen.

Jede Spur ist interessant

Also wurde eiligst ein Grabungsteam aufgeboten, die Baukräne und Bagger mussten vorerst warten. Dafür wurden Zelte aufgebaut und die Grabungstechniker machten sich mit Handwerkszeug im Boden zu schaffen. Schicht für Schicht wird auf der 100 Quadratmeter grossen Grabungsfläche die Erde abgetragen und in hunderte Kessel abgefüllt für die spätere Analyse.

Statt wie erwartet auf Gräber ist man auf eine abgebrannte Siedlung aus dem frühen 1. Jahrhundert vor Christus gestossen. Ein vier Meter breiter Weg zieht sich sichtbar durch die Überreste eines abgebrannten Hauses, zudem wurden Funde gesichert: Keramikscherben, Tierknochen und eine Bronze-Fibel – eine Art Sicherheitsnadel für Kleider. Anhand dieser Funde können die Archäologen die Siedlung genauer datieren.

«Wären die Römer nicht gekommen, hätte sich hier eine keltische Hochkultur entwickelt», glaubt Nielsen. Vieles ist noch spekulativ, mehr Gewissheit wird die Nachbearbeitung bringen, man hofft auf weitere Funde wie Getreidereste. Im Moment geht es darum, ähnlich wie an einem Tatort alle Spuren zu sichern, bevor es zu spät ist. «Jede Spur, die mit dem damaligen Alltag zu tun hatte, ist interessant», sagt Nielsen.

Der Egolzwiler Gemeindeammann Josef Mathi (links), der stellvertretende Luzerner Kantonsarchäologe Ebbe Nielsen (Mitte) sowie Schulverwalter Willi Geiser.

Der Egolzwiler Gemeindeammann Josef Mathis (links), der stellvertretende Luzerner Kantonsarchäologe Ebbe Nielsen (Mitte) sowie Schulverwalter Willi Geiser.

(Bild: jwy)

Bauherr muss sich gedulden

Die Zeit drängt, die Deadline ist am 5. November, dann wird hier ein Baukran aufgestellt. Denn die ehemalige Siedlung auf einer Anhöhe, am Rande des damaligen Wauwilersees, ist auch heute noch begehrt. Statt Keltenhütten stehen hier bald drei Doppeleinfamilienhäuser: sonnige Lage, Panoramaterrasse, Doppelgarage. Preis: 740’000 Franken pro Wohnung.

Die alte Siedlung kommt dem Bauherrn ungelegen, er möchte mit den sechs Wohnungen loslegen. Die Hälfte ist bereits verkauft, die Baubewilligung liegt vor. Es handelt sich um die letzten freien Parzellen auf dem Areal. «Beim Kauf hatten wir noch nicht gewusst, dass es sich um eine archäologische Zone handelt», sagt Lulzim Dervisoski, einer der beiden Teilhaber der Ebikoner SHL-Designimmobilien, die hier baut. Erst später hat er davon erfahren, als er die Wohnungen schon ausgeschrieben hatte.

Auch der Bauherr findet es wichtig, dass die Geschichte für die Nachwelt dokumentiert wird, die Zusammenarbeit sei gut, und er war schon dreimal auf der Grabung – aber Zeit ist nun mal Geld, und Unsicherheit Gift für einen Unternehmer. «Man weiss halt nicht, was noch kommt», sagt er. Und dass die Grabung nicht schon bei früheren Bauprojekten in der Nachbarschaft stattgefunden hat, sondern erst jetzt, habe ihn überrascht, weil man ja von der Siedlung wusste.

Sonnige Terrassen statt keltische Siedlung: So wie auf dieser Visualisierung wird es in Egolzwil einst aussehen.

Sonnige Terrassen statt keltische Siedlung: So wie auf dieser Visualisierung wird es in Egolzwil einst aussehen.

(Bild: zvg)

Besser als ein Baustopp

«Den Termin werden wir einhalten», verspricht Archäologe Ebbe Nielsen, der sich Verhandlungen mit Bauherren gewohnt ist. Er ist überzeugt, dass die befristete Grabung dem Bauherrn letztlich auch Planungssicherheit gebe. Denn würde man erst während des Baus auf menschliche Spuren stossen, hätte das womöglich einen abrupten Baustopp zur Folge.

Auch bei der Gemeinde Egolzwil steht man voll hinter der archäologischen Vergangenheitsbewältigung. Aus Erfahrung bewegt man sich stets zwischen Vergangenheit und Zukunft, Bewahren und Wachstum. Der Gemeindeammann Josef Mathis weiss, dass die reiche Geschichte im Boden schon viele Bauherren ins Bibbern brachte. «Da hat zuhause wohl schon mancher geflucht», sagt er und lacht. «Wir müssen einfach offen kommunizieren, mit dem Baustart im November haben wir einen guten Kompromiss gefunden.»

Es ist die Krux der Kantonsarchäologie, dass sie erst graben kann, wenn irgendwo gebaut wird. Die Finanzen sind knapp, nur etwa zehn Prozent der Baustellen könne man kantonsweit untersuchen, so Archäologe Nielsen. «Aber das Wauwilermoos hat europaweite Bedeutung, wenn wir hier etwas verpassen, wäre das natürlich peinlich.» Gerade die Keltenzeit ist im Kanton Luzern schlecht dokumentiert, und abgebrannte Siedlungen deuten auf eine spannende geschichtliche Phase hin.

Die Luzerner Kantonsarchäologie bei der Arbeit.

Die Luzerner Kantonsarchäologie bei der Arbeit.

(Bild: jwy)

Vergangenheit ist auch Standortförderung

Die Gemeindevertreter wissen um die Bedeutung im Boden. «Ein Ort mit Geschichte ist doch attraktiv», sagt Willi Geiser, Schulverwalter und Leiter der örtlichen Kulturförderung. Er gerät ins Schwärmen: «Wir müssen die Vergangenheit sichtbar machen, darum geht’s, das ist letztlich auch Standortförderung.»

Geiser denkt schon weiter: Im Herbst 2019 soll im Schulhaus eine permanente Ausstellung zur Geschichte von Egolzwil eröffnen. «Wir wollen die Kultur erfassen, visualisieren und fördern», sagt er. Interaktive Elemente sollen die Vergangenheit näherbringen, aber auch Original-Artefakte.

Geiser rechnet mit Kosten um die 200’000 Franken, dazu muss die Bevölkerung noch Ja sagen. Aber er ist zuversichtlich: «Die Egolzwiler sind sich der Geschichte bewusst und sehr offen», sagt er. Davon könnte sich auch mancher Bauherr noch eine Scheibe abschneiden.

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