Skulpturen und nacktes Fleisch am Zugersee

Wenn Baulärm die Leute entzückt

Gleich wird’s laut: Holzbildhauer Daniel Züsli startet die Motorsäge und bearbeitet einen Holzkopf. Sehr zur Freude der Chamer Bevölkerung.

(Bild: pbu)

Im Hirsgarten in Cham ist zurzeit nichts mit Idylle. Drei Gestalten treiben dort ihr Unwesen und veranstalten dabei einen Höllenlärm. Die Bevölkerung hat daran allerdings nichts auszusetzen. Im Gegenteil: Sie lassen dafür gar halbnackte Tänzerinnen links liegen.

Schon von Weitem sind Hammerschläge und das Dröhnen einer Motorsäge zu hören. Im Hirsgarten in Cham werden aber nicht etwa Bäume gefällt oder ein neues Gebäude errichtet. Hier sind Bildhauer am Werk. Seit gut einer Woche werkeln die Steinbildhauer Doris und Thomas Huber sowie der Holzbildhauer Daniel Züsli an ihren Skulpturen. Direkt am See haben sie ihren temporären Arbeitsplatz bezogen, um der Zuger Bevölkerung ihr Handwerk näherzubringen (zentralplus berichtete).

Und das scheint hervorragend zu klappen. «Wir haben nicht nur viele Besucher», sagt Thomas Huber. «Die Mehrheit zeigt sich zudem auch sehr interessiert», fügt er an, während er seinen Steinblock mit Hammer und Meissel bearbeitet. «Es gibt kaum jemanden, der beim Vorbeigehen nicht kurz innehält und einen genaueren Blick darauf wirft, was wir hier so treiben.» Blickfänger gibt es jedenfalls genug. Und damit sind weder die Badegäste noch die beiden leicht bekleideten jungen Damen gemeint, die gleich nebenan ihre Kunststücke an einer mobilen Pole-Stange vorführen.

Sonnenbaden bei Motorenlärm

Züsli und die Hubers haben nämlich nicht nur Rohlinge zum Bearbeiten da, sondern bevölkern den Hirsgarten gleich mit einer Armee von Exponaten aus ihrem Fundus. Eine lebensgrosse Holzfigur aus den Asterix-Comics wacht mit missmutigem Gesichtsausdruck über den Park. Daneben finden sich kleine und grössere Steinköpfe – die einen ausdruckslos in die Ferne schweifend, andere mit mürrischen Gesichtern.

Ein Steinkopf der Hubers schaut sich das Treiben im Hirsgarten ausdruckslos an.

Ein Steinkopf der Hubers schaut sich das Treiben im Hirsgarten ausdruckslos an.

(Bild: pbu)

Abgesehen davon hätten die Bildhauer noch keine böse Blicke geerntet. Dies, obwohl Züslis Motorsäge einen Höllenkrach verursacht, während sich Badegäste gleich nebenan auf dem Rasen fläzen. «Ich hätte auch ganz auf die Säge verzichten können», sagt Züsli. «Mit Messern alleine wäre ich aber nicht halb so schnell vorwärtsgekommen.» Er sei indes bedacht darauf, das motorisierte Hilfsmittel frühmorgens und über die Mittagszeit ruhen zu lassen.

Der Gemeinderat als Bierbote

Mit etwas weniger Krach und mehr Rhythmus rackert sich das Geschwisterpaar Huber an einem Steinblock ab. Noch ist nicht genau zu erkennen, wohin das führen soll. «Das wird eine dicke Frau mit Schwimmflügeln», erklärt Thomas Huber. Die beschränkte Zeit lasse schlicht nicht zu, die Dame schlanker zu meisseln. Jedenfalls stelle er sich jetzt schon die Frage, ob sie dereinst schwimmen wird. «Falls nicht, dann wissen wir ja, wo der Fehler liegt – und machen das nächste Mal grössere Schwimmflügel.»

Eine dicke Frau mit Schwimmflügeln. Was denn sonst?

Eine dicke Frau mit Schwimmflügeln. Was denn sonst?

(Bild: pbu)

Etwas pragmatischer geht es bei Holzbildhauer Züsli zu und her. Er hat sich zum Ziel gesetzt, eine Sitzbank in Form eines Dreiecks zu gestalten. Die einzelnen Balken stecken dabei in den Mündern von drei Köpfen, die das ganze Konstrukt tragen. Oder wie Züsli sich ausdrückt: «Ich stopfe ihnen mit Holzlatten das Maul.» Wenn es nach ihm geht, dürfte das fertige Produkt gerne noch einige Wochen im Park stehen bleiben.

Die Voraussetzungen dafür sind nicht schlecht. Die drei Bildhauer stehen nämlich in der Gunst des Chamer Gemeinderates. Dieser hat ihnen nicht nur ohne grosses Aufsehen erlaubt, die öffentliche Aktion durchzuführen, sondern werde sich überdies auch gleich noch als Getränkelieferant betätigten. «Gerade eben hat mich ein Mitglied des Gemeinderates angerufen und gefragt, ob wir morgen Nachmittag hier anzutreffen wären», erzählt Thomas Huber. «Man möchte uns ein Bier vorbeibringen.»

Der Holzskulptur von Daniel Züsli wird gerade «das Maul gestopft».

Der Holzskulptur von Daniel Züsli wird gerade «das Maul gestopft».

(Bild: pbu)

Betatschen erlaubt

«Die Menschen interessieren sich wieder vermehrt für das Archaische», sagt der Holzbildhauer, während er die Motorsäge zur Seite legt und sich einige Späne aus den Haaren streicht. «Das Traditionelle ist hoch im Kurs. Das sieht man zum Beispiel am Publikumsaufmarsch an Schwingfesten.» Das komme ihnen zugute – und zwar auch ohne kleinkarierte Hemden, wie Züsli betont.

Doris Huber gefällt, dass die Menschen keine falsche Scheu an den Tag legten. «Es freut uns, wenn die Leute uns nicht bloss aus der Ferne beobachten, sondern sich nahe herantrauen und die Werke mit ihren Händen berühren.» Einige gingen noch weiter. Ein paar Kinder haben sich den von den Hubers abgemeisselten Steinschutt geschnappt und daraus selbst ein kleines Kunstwerk geschaffen. «Eine Burg», erklärt Doris Huber. «Inklusive einiger Grasbüschel als Nahrung für die Käfer.» Der Bildhauer, der Frühförderer.

Ein Kunstwerk aus Abfallprodukten. Im Vordergrund die von Kinderhand gebaute Steinburg.

Ein Kunstwerk aus Abfallprodukten. Im Vordergrund die von Kinderhand gebaute Steinburg.

(Bild: pbu)

Solche Begegnungen würden oftmals als Gesprächseinstieg fungieren, aus denen sich zwischendurch gar mehr entwickle, erzählt Steinbildhauer Huber. Wie zur Demonstration tritt in diesem Moment eine Frau an Daniel Züsli heran und möchte mehr über seine Holzkonstruktion wissen. Die Unterhaltung endet in einer Auftragsarbeit – gefolgt von einem breiten Grinsen in Züslis Gesicht.

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