Flucht vom anderen Ende der Welt

Wenn Australien keinen Spass mehr macht

Nach 45 Minuten kann unsere Mitarbeiterin nach einem langen Flug die Maschine verlassen – mit Abstand zum Vordermann. (Bild: Marjana Ensmenger)

Bis zum 16. März, an dem der Bundesrat die Notlage verkündet, spürt man in Australien wenig vom Corona-Virus. Das sollte sich rasch ändern. Eine unserer Mitarbeiterinnen erzählt, wie ihre Reise von Australien zurück in die Schweiz verlaufen ist.

Am 1. März fliege ich von Zürich nach Sydney in der Absicht, das faszinierende Land zu bereisen. Zu diesem Zeitpunkt gibt es erst einige bestätigte Ansteckungen mit dem Corona-Virus in der Schweiz. Damals ahnte ich nicht, dass ich die Reise nach Sydney wohl besser annulliert hätte.

Trotz den Vorzeichen entschloss ich mich aber dagegen. Am 2. März – gut 24 Stunden später – lande ich um 20 Uhr Ortszeit in Sydney. Der Zeitunterschied zwischen der Schweiz und Down Under beträgt zehn Stunden. Und diese Stunden sollten mich in den kommenden Tagen immer wieder auf die Probe stellen.

Als ich Gänsehaut kriege

Die ersten beiden Wochen verlaufen für mich geradezu paradiesisch. Ich bereise das Land so, wie man sich einen Australien-Trip vorstellt. Stehe vor dem Uluru, fahre auf der Great Ocean Road zu den zwölf Aposteln in der Nähe von Melbourne. Von den Veränderungen in Europa kriege ich zu diesem Zeitpunkt nur über meine Eltern, meinen Partner und diversen Push-Nachrichten etwas mit.

«Immer wieder sage ich leise vor mich hin: Bleib ruhig!»

Die Headlines gleichen sich in der Aufmachung: Italien versinkt in der Corona-Krise. Die Opferzahl ist innerhalb von 24 h auf über 1000 Personen angestiegen. Der Kanton Tessin schliesst die Grenze.

Am 16. März ruft der Bundesrat die «ausserordentliche Lage» aus. Die Pressekonferenz sehe ich wegen der Zeitverschiebung zwar nicht live. Trotzdem greife ich am nächsten Morgen als Erstes zum Smartphone und höre zu, was die Bundesräte zu sagen haben. Ich kriege Gänsehaut. Immer wieder sage ich leise vor mich hin: Bleib ruhig! Sie wissen, was sie tun und werden die Krankheit in den Griff kriegen.

Ein Wettlauf gegen die Zeit

Wie ernst es wirklich um die Menschen zu Hause steht, kann ich trotz zahlreichen Telefonaten nach Hause nicht einschätzen. Auch deshalb, weil ich in Australien von einem Camping-Platz zum nächsten reise. Täglich kontrolliert meine Reiseagentur, ob mein Rückflug vom 29. März noch planmässig stattfindet. Ja, das tut er, also kein Grund zur Sorge.

Oder doch? Immer wieder halte ich Rücksprache, frage, ob ich trotz der Krise bleiben soll. Die Agentur empfiehlt mir – entgegen den Einschätzungen des Bundesrats – dass ich in Australien bleiben soll. Weil die Ansteckungsgefahr am anderen Ende der Welt geringer sei. Also bleibe ich.

«Ich denke nur: Scheisse, jetzt hat es auch mich erwischt.»

Nachts um zwei Uhr erhalte ich die Hiobsbotschaft von meiner Reiseagentur: Etihad hat deinen Flug annulliert. Ich denke nur: Scheisse, jetzt hat es auch mich erwischt.

Ab diesem Zeitpunkt beginnen sich die Stunden an meinem Smartphone zu summieren. Immer wieder habe ich über Whatsapp Kontakt mit meiner Reisevertreterin, die alles unternimmt, mich vor einem möglichen Lockdown in Australien nach Hause zu bringen. Ich bin sogar bereit, 48 Stunden zu fliegen.

Für mich beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit. Mehrere Fluggesellschaften stellen den Betrieb komplett ein. Auch meine Fluggesellschaft streicht mir den Flug, ohne eine Lösung für mich bereit zu halten. Die Rückreise entlarvt sich als riesiges Problem.

Ich bleibe dauergestresst

Alleine zwei Tage verstreichen, bis wir eine Antwort von der Fluggesellschaft bezüglich eines möglichen Rückfluges erhalten. In der Zwischenzeit sind auch die Preise enorm gestiegen. Erst am 22. März findet mein Reisebüro einen freien Platz. Am 24. März fliege ich abends um 21.45 Uhr nach Hause.

Was mit meinem Geld für den abgesagten Rückflug passiert, steht in den Sternen. Die Fluggesellschaften kämpfen grad mit anderen Problemen. Doch trotz neuem Rückflug-Datum bleibe ich dauergestresst. Fortan quält mich die immer gleiche Frage: Was, wenn mein Rückflug wieder abgesagt wird und ich in Australien feststecke?

«Anders als in den ersten beiden Wochen haben die Stunden aufgehört dahinzurasen.»

Am 23. März fliege ich von der Feriendestination «Surfers Paradise» an der Ostküste nach Sydney. Am Flughafen stehen überall Desinfektionsmittel, Schutzmasken – auch auf das Social Distancing wird man auf mehreren Plakaten hingewiesen. Anders als in den ersten beiden Wochen haben die Stunden aufgehört dahinzurasen.

Stewardessen tragen Schutzmasken

Einen Tag später geht die Reise von meinem Hotel weiter zum Flughafen in Sydney. Die Sicherheitsvorkehrungen sind hier noch stärker. Bei der Security-Kontrolle werden Menschen ermahnt, sich anderen Personen nicht mehr als auf zwei Meter zu nähern.

Die Stewardessen auf dem Langstreckenflug tragen genauso Schutzmasken wie die Mehrheit der Reisenden. Ich gehöre nicht dazu, weil ich in den Läden keine Schutzmasken mehr gefunden habe. Alleine drei Stunden dauert es in Sydney, bis ich mein Gepäck abgeben kann. Obwohl ich vorher online eingecheckt habe.

«Was in den kommenden Minuten auf mich zukommen wird, werde ich wohl mein ganzes Leben nie vergessen.»

24 Stunden später um 12.45 Uhr spüre ich den lang ersehnten Schweizer Boden unter meinen Füssen. Was in den kommenden Minuten auf mich zukommen wird, werde ich wohl mein ganzes Leben nie vergessen. Über eine Durchsage wird uns mitgeteilt, dass lediglich 20 Personen das Flugzeug gleichzeitig verlassen dürfen. Bis ich an der Reihe bin, vergehen 45 Minuten.

Mit ernsten Blicken verwarnt

Im Flughafenareal stehen alle paar Meter Polizisten. Sie bitten uns, in Einerkolonne hintereinander her zu gehen. Bei Nicht-Beachten des Abstandes von zwei Metern werden wir von den Polizisten mit ernsten Blicken verwarnt.

Am Arrival Terminal, dort wo normalerweise ganze Familien auf die Heimgekehrten warten, darf lediglich ein Angehöriger stehen. Der Rest muss ausserhalb des Flughafens warten. Obwohl ich meine Eltern ein paar Tage zuvor gefragt habe, ob mich jemand abholt, verwerfen wir dieses Vorhaben wieder. Der Grund: Ich stelle ein zu hohes Risiko für meine Eltern dar. Trotzdem bin ich froh, endlich wieder zu Hause zu sein.

In der Zwischenzeit haben Sie in Australien die Grenzen zwischen den Bundesstaaten geschlossen. Ich tröste mich mit dem Gedanken, dass ich noch mit einem blauen Auge davongekommen bin.

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