Transsexualität: Fremd im eigenen Körper

Wenn aus dem Mädchen ein Mann wird

Pasquale Elmigers Verwandlung vom Mädchen zum Mann (Collage: Melinda Blättler)

Innen Mann und aussen Frau: Pasquale Elmiger fühlte sich als Mädchen im falschen Körper geboren – und darin gefangen. Vor fünf Jahren begann er den langen Weg der Geschlechtsangleichung. Wir haben den jungen Mann getroffen.

Als Pasquale Elmiger in die Pubertät kam «passierte einfach das Falsche», so der 26-jährige. Statt Stimmbruch und Bart bekam er Brüste und die Menstruation. In dieser Zeit habe er, der einmal Isabel hiess, sich «abgeschossen», viel gekifft, und sich geritzt. Er empfand seinen weiblichen Körper als falsch und fühlte sich eigentlich als Mann. Darüber gesprochen hat er nie. «Ich habe mich geschämt. Mein Körper war ein wandelndes Gefängnis», sagt er heute.

Es fiel im wie Schuppen von den Augen, als er mit 18 zum ersten Mal von Transsexualität hörte: «Ich las ein Buch von einem Betroffenen und wusste, das ist genau so einer wie ich», erinnert er sich. Das «Outing» bei der Familie und bei Freunden folgte bald darauf – überraschend war dies nicht: «Für die meisten war ich sowieso mehr ein Kollege als eine Kollegin», erklärt Elmiger, der immer noch die gleichen Freunde hat wie damals. Schlimm sei es in der Schulzeit gewesen: «Kinder verstehen nicht, was sie mit ihrem Mobbing anrichten», sagt er. 

Der schwere Weg zur Leichtigkeit

Für Elmiger war ab sofort klar, dass auch er ein Mann werden wollte. Der Weg dahin sollte kein einfacher werden, zumal die Angleichung zum Mann viel aufwendiger ist, als jene zur Frau. Und die Krankenkasse wollte eine Geschlechtsanpassung erst nicht vor seinem 25igsten Lebensjahr unterstützen. Sie zahlen zudem nur, wenn Betroffene vorher in psychiatrischer oder psychotherapeutischer Behandlung waren. Elmiger verbrachte insgesamt über eineinhalb Jahre in der Psychiatrie St. Urban, wo er «mit Medikamenten vollgepumpt und ruhig gestellt wurde», wie er sagt. Schliesslich entschied ein Gremium von 10 Fachpersonen der Universitätsklinik Basel, dass sein Leidensdruck durch die Transsexualität enorm war und sich dieser nur durch eine Operation lindern liesse.

«Als Mann bin ich irgendwie kälter geworden.»

Die Verwandlung begann im Juni 2010 mit einer Hormonbehandlung. Bis an sein Lebensende wird er alle drei Monate «einen Schuss Männlichkeit» in Form von dickflüssigem Testosteron gespritzt bekommen. «Die ersten drei Wochen rutscht das Hirn dann eine Etage tiefer», lacht Elmiger, der sowieso viel lacht, wenn er erzählt – auch wenn ihm nicht zum Lachen zu Mute war. «Man hat viel mehr Lust auf Sex, auch wenn man es gar nicht will. Die Männer können nichts dafür, dass sind wirklich die Hormone», schmunzelt er. Die männlichen Hormone wirkten sich auch auf sein Wesen aus: «Manche Gefühle empfinde ich nicht mehr. Als Mann bin ich irgendwie kälter geworden», stellt er fest. Die Hormone beeinflussen auch die Stimme, die Körperbehaarung und das Muskelwachstum.

«Man hat viel mehr Lust auf Sex – auch wenn man es gar nicht will.»

Eineinhalb Jahre später folgte die Brustoperation und in einer weiteren Operation wurden dann Gebärmutter, Eierstöcke und Scheide entfernt. Nach diesem Eingriff erlebte Elmiger «eine Art Wechseljahre», die Schlafstörungen, Essstörungen und Depressionen mit sich brachten. Die Operation hatte aber auch gute Begleiterscheinungen: Elmiger konnte sich nun endlich als Mann eintragen lassen. Fragt man ihn heute nach seinem Mädchennamen  zuckt er regelrecht zusammen. «Ich mag den Namen nicht mehr hören», sagt er. Pasquale wäre er von seinen Eltern genannt worden, wäre er als Junge auf die Welt gekommen. 

«Eine Wurst» für die Männlichkeit

Die Penisoperation gilt als kompliziertester Eingriff in der plastischen Chirurgie. Bei Elmiger dehnten mit Wasser gefüllte Silikonsäcke die Haut am Oberschenkel, die nach einem halben Jahr unter der Leiste hochgezogen und zu einem Penis modelliert wurde. Die Nerven wurden drangelassen, was zur Folge hat, dass er den Penis nun am Bein spürt, wo die Haut herkam. Das Gehirn müsse erst noch «umschalten», erklärt er. «Jetzt ist es noch eine Wurst», so Elmiger. Die Eichel und die Hoden würden erst noch geformt. «Es ist aber jetzt schon ein schönes Gefühl, etwas in der Hose zu haben», lacht er. Auch mit der Grösse ist er zufrieden, wobei das Sexuelle nie im Vordergrund stand. Der Eingriff verlief nicht ohne Komplikationen, die Harnröhre muss er nochmals operieren. Dann kann Elmiger auch «ganz normal» auf einem Männer WC das Pissoir benutzen, ohne das er angepöbelt wird.

Der nächste Schritt ist, in den künstlichen Penis ein Implantat einzuarbeiten, mit dem er sich für den Geschlechtsverkehr aufpumpen lässt. Seine Klitoris ist durch die Hormone gewachsen und wird danach unter den Penis verschoben. Durch die Reibung kann er später auch zum Orgasmus kommen.

Transsexualität «krass im Wandel»

Transsexualität ist zwar immer noch exotisch, sei allerdings «krass im Wandel», findet Elmiger. Es gibt auch Transgendergruppen in der Zentralschweiz. Teilweise seien ihm die Leute dort aber «zu viel». Es gehe dort oft nur um das Sexuelle oder um Vergleiche: «Niemand kann es dem anderen gönnen, wenn er in seinem Wandlungsprozess schon weiter ist», bedauert Elmiger.

Optimistisch in die Zukunft

Elmiger selbst ist seit fünf Jahren in einer Beziehung. «Ich bewundere meine Freundin dafür, dass sie mit mir durch diese Zeit geht», sagt Elmiger. Er blickt optimistisch in die Zukunft: «Ich versuche in allem etwas Positives zu sehen. Durch den Wandlungsprozess bin ich reifer geworden und habe das Leben mehr schätzen gelernt», sagt er. Dass er selbst keine Kinder mehr bekommen kann, findet er schade, hätte es aber als Frau sowieso nie getan. Bis in zehn Jahren wünscht er sich allerdings schon selber Kinder. Dass er mal eine Frau war, bringt auch Vorteile. «Ich weiss genau, wie Frauen ticken», sagt er lachend. In Zukunft würde er gerne im Pflegebereich arbeiten, da er selbst so viel Pflege gebraucht habe und wisse, worauf es da ankomme.

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