Feiern im Abseits der Gesellschaft

Weihnachten auf der Gasse: So ist die Situation in Luzern

Valentin Beck ist seit Frühling 2021 Seelsorger des Vereins Kirchliche Gassenarbeit Luzern.

In Luzern gibt es Menschen, die als Randständige auch an Weihnachten alleine bleiben. Um für die Betroffenen die Zeit der Besinnung etwas herzlicher zu gestalten, lanciert der Verein Kirchliche Gassenarbeit Luzern verschiedene Aktionen. Doch auch die Bevölkerung hat die Möglichkeit, dazu beizutragen.

Weihnachten – das Fest der Liebe, der Gemeinschaft und der Besinnlichkeit. Zumindest sollte es das sein. Während der Grossteil der Luzerner Bevölkerung derzeit den letzten Geschenken nacheifert und noch schnell den Weihnachtsbraten vormariniert, gibt es auch viele Menschen, die das Fest nicht so feiern können, wie sie es vielleicht gerne würden.

Die Rede ist von Luzernerinnen, die im Graben zwischen gebrochenen Familien leben, sich unter der Armutsgrenze durchschlagen müssen und vielleicht an einer Suchtkrankheit leiden. Viele von ihnen haben von sich aus keinen festen Anker, an dem sie sich orientieren können. Auch in der Weihnachtszeit nicht. «Das ist für viele von unseren Leuten eine ganz schwierige Zeit gerade», erklärt der Seelsorger des Vereins Kirchliche Gassenarbeit Luzern Valentin Beck gegenüber zentralplus.

«Mit unseren Feiern möchten wir die Gemeinschaft der Menschen auf der Gasse stärken, ihnen das Gefühl von Zusammenhalt geben können – zumindest ein bisschen davon.»

Valentin Beck, Seelsorger Verein Kirchliche Gassenarbeit Luzern

Weihnachtliches Gefühl für auf der Strasse Lebende

Um den auf der Strasse oder am Rande der Gesellschaft lebenden Personen in Luzern die Weihnachtszeit etwas herzvoller zu gestalten, hat der Verein gleich mehrere Anlässe organisiert. «Wir haben bereits Mitte Dezember eine Weihnachtsfeier in unserer Institution ‹Paradiesgässli› im Luzerner Maihofquartier organisiert.»

Das «Paradiesgässli» bietet das ganze Jahr über ein breites Spektrum an Angeboten für suchtbetroffene Eltern, die unter der Armutsgrenze leben. Gerade auch Kindern, die in problematischen Familienverhältnissen aufwachsen, wird an diesem Ort geholfen.

Rund 30 Personen seien an jenem Nachmittag zu einer kleinen Feier und dem anschliessenden Zusammensein bei Tee und Guetzli erschienen. Genau das sei es, was so unglaublich wichtig ist für die Gäste des Vereins Kirchliche Gassenarbeit Luzern: «Mit unseren Feiern möchten wir die Gemeinschaft der Menschen aus den Gassen stärken, ihnen das Gefühl von Zusammenhalt geben können – zumindest ein bisschen davon.»

Wie die Sucht ausgrenzen kann

Aus diesem Grund findet an Heiligabend auch in der Gassenküche ein Event statt. «Auch hier gibt es ein Essen und ein kleines Ritual, das dieselben Zwecke stärken soll.» Beck ist überzeugt, dass hier einige Gäste eintreffen werden. Wenn auch nicht immer für lange Zeit. «Bei Suchtkranken ist es oft schwierig, eine lange Zeremonie durchzuführen, da sie irgendwann beginnen, unruhig zu werden. Aus diesem Grund sind die Feiern nach dem Essen meistens nicht länger als eine halbe Stunde.»

«Viele Menschen fühlen sich sehr verloren. Sie wissen häufig nicht, ob sie zu ihrer eigenen Familie nach Hause gehen dürfen oder sollen, da sie schlichtweg nicht mehr akzeptiert werden. Und auch zu uns finden den Weg nicht alle.»

Valentin Beck, Seelsorger Verein Kirchliche Gassenarbeit Luzern

Selbst niederschwellige Angebote wie jene der Kirchlichen Gassenarbeit Luzern nehmen aber bei Weitem nicht alle randständig lebenden Menschen an. «Viele Menschen fühlen sich sehr verloren. Sie wissen häufig nicht, ob sie zu ihrer eigenen Familie nach Hause gehen dürfen oder sollen, da sie schlichtweg nicht mehr akzeptiert werden. Und auch zu uns finden den Weg nicht alle.»

Den Seelsorger stimmt der Gedanke an Personen, die auch während der Weihnachtszeit keine Ruhe und kein Vertrauen finden, nachdenklich. Vor allem, da das Jahr 2021 generell kein Jahr mit überwiegend positiven Erfahrungen war.

Gassenarbeit Luzern betrauert zahlreiche Todesfälle

«Wir hatten sehr viele Todesfälle von Menschen, die unser Angebot in Anspruch nahmen. So gab es im Schnitt alle drei Wochen eine Abdankungsfeier bei uns in der Gassenküche, an dem den Verstorbenen gedenkt wurde.» Viele auf der Strasse oder in Sucht lebende Menschen haben einen schlechten Gesundheitszustand, der bei einigen von ihnen im vergangenen Jahr noch schlechter wurde und schliesslich zum Tod führten (zentralplus berichtete). Beck stellt klar: «Dahinter steht keine Corona-Sterbewelle, sondern meist drogenkonsumbedingte körperliche Schäden.»

Stichwort Corona: Fehlende Kontakte im öffentlichen Raum, wie auch die physische Distanzierung in der Bevölkerung machten das Jahr für viele auf der Strasse lebenden Menschen noch schwieriger. «Tatsächlich war es auch der Fall, dass viele Passantinnen kein Bargeld dabei hatten, da durch die Pandemie der Trend, bargeldlos zu bezahlen, nochmals stieg», führt Beck aus.

«Letztlich geht es auch um die Herzlichkeit, die man gegenüber Menschen ausstrahlt, die ein etwas anderes Leben als die meisten von uns führen müssen. Und wenn es auch nur einmal ein warmer Weihnachtsgruss auf Augenhöhe ist.»

Valentin Beck, Seelsorger Verein Kirchliche Gassenarbeit Luzern

Dennoch gab es auch im zweiten Corona-Jahr erfreuliche, rührende Momente: «Beispielsweise die Spendenzahlen, die wir zählen durften, sind weiterhin hoch und sehr wertvoll. Das freut uns und unsere Leute natürlich sehr. Auch das Gratisessen im Jahr 2020, finanziert durch die Behörden, wurde sehr geschätzt. Und schliesslich ist es auch die Solidarität der Leute untereinander, die immer wieder berührend ist: So wurden immer wieder Schlafplätze untereinander angeboten, wenn jemand einen festen Wohnsitz gefunden hat. Man half sich untereinander aus.»

Das Wohl aller ist die Pflicht aller

Es ist aber nicht auch zuletzt die Aufgabe der gesamten Gesellschaft, für das Wohl aller zu sorgen. Was kann ein Luzerner also tun, um den Menschen auf den Gassen eine lichtvollere Zeit zu gestalten? «Es gibt verschiedene Möglichkeiten zu spenden. Auch durch den Kauf einer Gasseziitig kann man obdachlosen Menschen einen kleinen finanziellen Zustupf mit auf den Weg geben. Letztlich geht es auch um die Herzlichkeit, die man gegenüber Menschen ausstrahlt, die ein etwas anderes Leben als die meisten von uns führen müssen. Und wenn es auch nur einmal ein warmer Weihnachtsgruss auf Augenhöhe ist.»

Weihnachten steht vor der Tür, die Bevölkerung scheint für einen Moment näher zusammenzurücken. Ein Gefühl, das in Zeiten wie diesen von grosser Relevanz ist. Die Liebenswürdigkeit gegenüber den Mitmenschen geht über die Familiengrenzen hinaus. Sie gilt für die gesamte Gesellschaft. Auch für jene Personen, die selbst während des Fests der Liebe oft unsichtbar bleiben und im Abseits stehen.

Über die Gassenarbeit Luzern

Der Verein Kirchliche Gassenarbeit Luzern unterstützt mit seinen 50 Mitarbeiterinnen über 700 sucht- und armutsbetroffene Menschen in den Betrieben «Gassechuchi», «Schalter 20» und «Paradiesgässli» aufsuchende Sozialarbeit und Seelsorge. Ebenso sind die «Gasseziitig» und das Catering Mundwerk Angebote der Gassenarbeit. Die Seelsorge begleitet sucht- und armutsbetroffene Menschen bei Todesfällen, in Krisensituationen oder bei Sinnfragen.

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