Luzern: Stadtrat kritisiert Projekt der Helvetia

Wegen Mehrverkehr: Sentihof-Tiefgarage steht auf der Kippe

Eine der grössten Blockrandbebauungen der Stadt Luzern: der Sentihof. Hinten ersichtlich ist die Spur der Gütschbahn.

(Bild: zVg)

Das Parkhaus Musegg ist versenkt – jetzt knöpfen sich SP, Grüne und VCS das nächste vor: Aus Angst vor Mehrverkehr wehren sie sich gegen eine geplante 80-plätzige Tiefgarage in der Grossüberbauung Sentihof. Auch der Stadtrat ist kritisch – was bei der Grundeigentümerin für Unverständnis sorgt.

Seit April 2016 wird die grosse Wohnsiedlung Sentihof zwischen Reuss, Gütsch- und Baselstrasse renoviert. Die rund 300 Mieter erhalten neue Küchen und Bäder, bis November 2017 sollten diese Arbeiten abgeschlossen sein. Damit kommt die Helvetia Versicherung als Eigentümerin gut voran.

Mit der letzten Etappe aber harzt es. Denn die Versicherung möchte von September 2017 bis Mai 2018 unter dem begrünten Innenhof eine Tiefgarage mit 78 Parkplätzen realisieren. In diesem Zusammenhang könnten 10 der 52 bestehenden offenen Parkplätze aufgehoben werden. Mit den restlichen 42 Parkplätzen, den 78 neuen sowie den 23 bestehenden Garagen würden neu folglich 143 Parkplätze zur Verfügung stehen (wir berichteten).

Doch alles deutet darauf hin, dass die Stadt dafür keine Baubewilligung erteilt. Das geht aus der Antwort des Stadtrates auf einen Vorstoss von SP und Grünen hervor. Der Stadtrat befürchtet aufgrund der zusätzlichen Parkplätze Mehrverkehr im eh schon staugeplagten Quartier.

Querschnitt durch die geplante Tiefgarage unter dem Sentihof.

Querschnitt durch die geplante Tiefgarage unter dem Sentihof.

(Bild: Helvetia Versicherung)

Reglement erlaubt Verbot von Parkplätzen

Der Stadtrat stützt sich in seiner Argumentation auf mehrere Pfeiler. Zum einen auf das vom Volk 2012 angenommene Mobilitätsreglement. Dieses verlangt, dass der Autoverkehr auf dem Stand von 2010 plafoniert werden muss. Mehrverkehr soll mit dem öffentlichen Verkehr, dem Velo- sowie Fussgängerverkehr bewältigt werden. Je weniger Parkplätze, umso weniger Autofahrten – so kann das Verkehrsaufkommen laut Stadtrat gesteuert werden.

Zum anderen beruft sich der Stadtrat auf das aus dem Jahr 1986 stammende Parkplatzreglement. Dieses definiert, in welchen Zonen wie viele Parkplätze realisiert werden dürfen – maximal wie auch minimal. Von spezieller Bedeutung ist Artikel 11. Dieser befugt den Stadtrat, die Anzahl Parkplätze über das Minimum hinaus zu reduzieren oder die Erstellung ganz zu untersagen. Möglich ist dies, wenn die Realisierung unter anderem gegen verkehrstechnische oder raumplanerische Gesichtspunkte verstösst.

25 Autos mehr zu Stosszeiten

Die Erweiterung von heute 75 auf neu 143 Parkplätze beim Sentihof liegt laut Stadtrat zwar im bewilligungsfähigen Bereich – gemäss Parkplatzreglement wären maximal sogar bis zu 230 Parkplätze möglich.

Fast 300 Wohnungen in 17 Häusern

Der Sentihof prägt seit über sechzig Jahren das Stadtbild von Luzern. Zwischen dem Gütschhügel und der Reuss gelegen, umfasst die Überbauung 17 Häuser mit 293 Wohnungen, zehn Ladenlokale und einen Kindergarten. Herzstück des Sentihofs ist der grosszügige, begrünte Innenhof. Die 1954 erstellte Anlage des Luzerner Architekten Heinrich Auf der Mauer ist im Bauinventar der kantonalen Denkmalpflege als schützenswert eingestuft.

Dennoch beruft sich der Stadtrat in seiner Antwort auf den Artikel 11 und scheint nicht gewillt, die Tiefgarage zu erlauben. Begründung: Die heute als autoarm geltende Sentihof-Überbauung befinde sich an zentraler Lage in der Stadt, 10 Minuten Fussweg vom Bahnhof entfernt und gut angeschlossen an den Busverkehr. Dies ermögliche ein Leben ohne Auto.

Der Bau der Tiefgarage würde laut Stadtrat zu 250 zusätzlichen Fahrten pro Tag führen. Etwa 25 davon würden in den Spitzenstunden anfallen. Das würde den Verkehr auf der Gütschstrasse um 2 und auf der Militärstrasse um 4 Prozent erhöhen. Dazu sagt Daniel Rudin, Bereichsleiter Mobilität bei der Stadt: «Eine Verkehrszunahme um 4 Prozent ist im Bereich eines stark ausgelasteten Knotens relativ viel.»

«Es ist schade, wenn uns solche Hindernisse in den Weg gelegt werden.»

Hansjörg Ryser, Medienchef Helvetia Versicherung

Weiter argumentiert der Stadtrat: «Aufgrund der Tatsache, dass gegenwärtig nur eine geringe Nachfrage nach Parkkarten für das Dauerparkieren auf öffentlichem Grund aus dem Gebiet Sentihof besteht, steht der Stadtrat dem vorgesehenen Parkplatzausbau kritisch gegenüber. Es stellt sich die Frage, weshalb im Sentihof bei gleichbleibendem Wohnraumangebot zusätzliche Parkplätze notwendig sein sollten.»

Und der Stadtrat stellt auch gleich in Aussicht, dass er aufgrund der Verkehrsprobleme künftig vermehrt auf den Artikel 11 des Parkplatzreglements zurückgreifen werde. Er ziehe es nach Möglichkeit aber vor, im Rahmen von Gestaltungs- und Bebauungsplänen tiefere Parkplatzzahlen vorzuschreiben und somit autoarme Siedlungen zu fördern. 

Der Sentihof um 1930 (links) und heute.

Der Sentihof um 1930 (links) und heute.

(Bild: Helvetia Versicherung)

Weniger Suchverkehr dank mehr Parkplätzen?

Hansjörg Ryser ist Medienchef der Helvetia Versicherung. Er hält an der Notwendigkeit der Tiefgarage fest. Begründung:

  • Die geltenden Vorschriften, insbesondere das Parkplatzreglement der Stadt, würden allesamt erfüllt und eingehalten.
  • Auch mit der Tiefgarage sei die Parkplatzquote «ausserordentlich tief».
  • Die Parkplätze würden nur an Sentihof-Mieter vermietet – nicht an Externe.
  • Helvetia leiste damit einen Beitrag zu weniger Suchverkehr im Quartier. Ryser erklärt: «Da die Attraktivität der Wohnungen im Sentihof durch die Renovation gesteigert wird und weil aufgrund der Mieterstruktur mit einem Generationenwechsel zu rechnen ist, dürfte der Autobestand der Mieter im Sentihof steigen.» Da sei es besser, die Parkplätze selbst anzubieten, so dass die Mieter nicht aufs Quartier ausweichen müssten.
  • «Könnte das Parkhaus nicht realisiert werden, würde die Attraktivität und damit auch der Wert der Liegenschaft gemindert.» Hier lässt Ryser durchblicken, dass die Einnahmen aus den Parkplätzen wichtig seien, um auch künftig günstigen Wohnraum anzubieten.

Daumen hoch oder runter? Der Stadtrat wird die Helvetia Versicherung laut Baudirektorin Manuela Jost bis spätestens Ende Januar  informieren. Alle Gespräche seien geführt worden. Welche Haltung der Stadtrat hat und ob er seine kritische Haltung aufgrund der Argumente der Helvetia revidiert, bleibt bis dann also offen.

Wie Helvetia auf ein Nein reagieren würde, lässt Mediensprecher Ryser offen. Man sei zuversichtlich. Zum Schluss kann sich Ryser eine kritische Bemerkung aber doch nicht verkneifen: «Die Helvetia Versicherung versucht überall in der Schweiz, günstigen Wohnraum zu schaffen. Es ist schade, wenn uns solche Hindernisse in den Weg gelegt werden.» Selbstverständlich aber respektiere man die demokratischen Prozesse und Entscheide.

Unter diesem Innenhof möchte die Helvetia Versicherung eine Tiefgarage bauen.

Unter diesem Innenhof möchte die Helvetia-Versicherung eine Tiefgarage bauen.

(Bild: zVg)

Parkplätze als Goldgrube?

Was an der Antwort des Stadtrates noch erstaunt, ist folgende Aussage: Investoren würden vermehrt vom Bau von grossen Einstellhallen absehen. Denn diese seien oft sehr teuer in der Erstellung. Dabei ging Otto Normalbürger bislang davon aus, dass man sich in der Stadt mit Parkplätzen eine goldene Nase verdienen kann. Siehe Parkhaus Musegg. Baudirektorin Manuela Jost sagt dazu: «Wir stellen fest, dass Bauherren in diesem Bereich vorsichtiger geworden sind. Dies mitunter, weil die Realisation wegen des nicht einfachen Untergrundes in Luzern oft teuer ist.»

«Auch an Samstagnachmittagen stehen in der Stadt rund 400 freie Parkplätze zur Verfügung.»

Daniel Rudin, Verkehrsexperte Stadt Luzern

Der städtische Verkehrsexperte Daniel Rudin ergänzt: «Die Rentabilität hängt stark von der Lage und der Nachfrage nach Parkraum ab.» Im Zentrumsbereich finden sich laut Rudin wochentags immer rund 800 freie Parkplätze in Parkhäusern. Die grösste Auslastung bestehe am Samstagnachmittag. «Dann stehen rund 400 freie Parkplätze zur Verfügung. Diese Zahlen zeigen, dass auch im Zentrumsbereich noch Kapazitätsreserven vorhanden sind und für neue Parkplätze nicht einfach automatisch eine Nachfrage vorhanden ist.»

«Schutzbehauptung zwecks Renditeoptimierung»

Seitens SP, Grünen und VCS hält man von der Begründung der Helvetia Versicherung herzlich wenig. SP-Fraktionschef Nico van der Heiden sagt: «Die Aussage der Helvetia, dass dank der Tiefgarage ein Beitrag zur Verkehrsberuhigung im Quartier geleistet werden kann, ist schlicht falsch. Gerade junge Leute in Städten haben immer seltener ein eigenes Auto. Das besagen alle Studien.» Zudem gebe es rund um den Sentihof so gut wie keine öffentlichen Parkplätze, auf die die Sentihofbewohner ausweichen könnten. «Die Aussage der Helvetia ist eine Schutzbehauptung zwecks Renditeoptimierung. Denn mit Parkplätzen könnte die Versicherung die Rendite deutlich erhöhen.»

Ähnlich sieht es Christian Hochstrasser von den Grünen: «Ob man ein Auto hat oder nicht, hat wenig mit Generationenfragen oder höheren Mieten zu tun. Autoarme Siedlungen selbst führen aber gerade auch zu attraktiven Wohnquartieren. Hingegen führt das Schaffen von zusätzlichen Parkplätzen sicher zu einem Anreiz, ein Auto zu besitzen und zu benutzen.» Zudem bestehe ja auch die Möglichkeit, das nicht ausgelastete Parkhaus Altstadt zu benutzen. «Es gibt also keine zwingenden Gründe für die zusätzlichen Parkplätze im Sentihof.»

Sollte der Stadtrat die Tiefgarage bewilligen, hätte die Politik nichts mehr zu melden. Der Verkehrsclub der Schweiz (VCS) jedoch schon. Denn dieser hat gegen das Projekt Einsprache erhoben. Begründung: Der Ausbau sein unnötig und entspreche nicht der Nachfrage. VCS-Luzern-Präsident und Grünen-Kantonsrat Michael Töngi sagt: «Ob wir bei einem Ja des Stadtrates die Einsprache weiterziehen würden, müssten wir zuerst analysieren.»

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