Der Korken knallt – der Spaten bleibt im Schrank

«Was nützt uns die Tangente?»

Der Korken knallt, die Politik jubelt: Ganz links Kantonsratspräsident Moritz Schmid, Gemeinderat Paul Langenegger, Stadtrat André Wicki, Baudirektor Urs Hürlimann, Ingenieur Urs Lehmann.

(Bild: fam)

Vom Berg auf die Autobahn in zwanzig Minuten. Oder so. Und: Viel weniger Verkehr in Zug und Baar. Was die Tangente alles können will, und wo’s jetzt losgeht mit dem Bau: All das hat man am Mittwoch am «virtuellen Spatenstich» erfahren.

Endlich klappt was. Der Stadttunnelschock ist noch nicht ganz verdaut. Bei der Umfahrung Cham-Hünenberg rechnet man noch mit jahrelangen Verhandlungen mit rund 100 Einsprechern. Aber hier, auf der Wiese zwischen Baar und Zug, hier kann der Kanton Zug endlich eines seiner drei grossen Verkehrsprojekte umsetzen: Die Tangente Zug/Baar (zentralplus berichtete).

Und damit auch: «Den ersten Zuger Tunnel», sagt Baudirektor Urs Hürlimann. Kompensation? Nein: Lärmschutzmassnahme. Im Juli fangen die ersten Arbeiten an, 2021 soll über die Strasse «verfügt werden können», sagt Hürlimann – konkret sollen dann 30 Prozent weniger Autos über die Ägeristrasse nach Zug hineinbrettern, 60 Prozent weniger durch die Baarer Ägeristrasse, 30 Prozent weniger durch die Baarer Marktgasse, 50 Prozent weniger über die schon frisch verstopfte neue Nordstrasse zwischen Autobahn und Zug.

Zum «virtuellen Spatenstich» (Hürlimann) am Mittwoch kamen nicht nur Medien, auch Kantonsräte waren da, der Baarer und der Zuger Bauchef, Paul Langenegger und André Wicki. «Den Bagger holen wir aber schon noch nach», sagt Langenegger beim Anstossen. «Keine Angst», sagt Hürlimann. Der Korken knallt, der Startschuss fällt, der Spaten bleibt im Schrank.

Mitten durch die Wiese, aber «gut kaschiert»

Die Tangente hat eine lebhafte Geschichte. 2009 hatte die Zuger Bevölkerung Ja gesagt zur Strasse, die oberhalb Baars von der Ägeristrasse abzweigt, sich durch den allerersten Zuger Tunnel stürzen und dann durch die grüne Ebene zwischen Baar und Zug schneiden wird, allerdings gut kaschiert, beruhigt der Kantonsingenieur Urs Lehmann: «Wir setzen vor allem auf Lärmschutzwälle, nicht nur gegen die Siedlungsgebiete hin, sondern auch hin zum Landwirtschaftsland. Damit Leute, die sich in diesen Räumen bewegen, die Anlage nicht störend wahrnehmen.»

«Die Siedlungslinien, da bin ich überzeugt, sind der Bevölkerung sakrosankt.»

Urs Hürlimann, Baudirektor

Die Anlage, das ist ein Jahrzehnteprojekt, 201 Millionen Franken schwer. Finanzierbar trotz Sparpaket. Weil: Das Konto «Spezialfinanzierung Strassenbau» wurde extra dafür gut gefüllt. Ummantelt von Massnahmen für Mensch und Umwelt. Was nach Primarschulfach klingt, bedeutet in echt: Neue Velowege entlang der Bäche, aufgewertete Wasserläufe für Fische und Überschwemmungssicherheit, Lärmschutzwände an den neuralgischen Punkten.

Siedlungslinien «sakrosankt»

Mehr Strasse heisse auch mehr Autos, skandierte damals die Linke, das Baarer Rigistrassenquartier probte den Aufstand erfolgreich (zentralplus berichtete), es wurden auch Stimmen laut, die sich mehr erhofft hätten: Der heutige Regierungsrat Martin Pfister forderte damals, die Gemeinde Baar müsse mehr aus der Tangente machen, gleich den ganzen Dorfkern aufwerten. «So ist es leider nicht viel mehr als eine neue Strasse», sagte Pfister damals gegenüber zentralplus. Aber der Widerstand gegen das Projekt ist schon fast vergessen, schon so lange ist die Volksabstimmung her.

Dabei ist die Strasse mitten über die grüne Wiese eigentlich untypisch für die gesellschaftliche Stimmung im engen Kanton Zug. «Die Siedlungslinien, da bin ich überzeugt, sind der Bevölkerung sakrosankt», sagt Baudirektor Urs Hürlimann. Aber das bedeute Verdichtung, und damit: mehr Verkehr.

Viele Zugänge in die Quartiere: Die Tangente schafft neue Möglichkeiten, den Verkehr aus Zug ab- und zuzuführen.

Viele Zugänge in die Quartiere: Die Tangente schafft neue Möglichkeiten, den Verkehr aus Zug ab- und zuzuführen.

(Bild: zvg)

Der Startschuss fällt bei zwei kleineren Teilprojekten, der Fussgängerbrücke an der Inwilerstrasse und der Brücke Margel. Für die beiden grossen Baulose Tal und Berg, wie der Tech-Slang die Projektteile bezeichnet, müssen erst noch Vergabeverfahren begonnen werden. Der Gesamtprojektleiter Bruno Christen rechnet alleine dafür mit mindestens einem halben Jahr. «Dass wir 2017 mit dem Bau des Tunnels und der Strassen beginnen können, ist ein Best-Case-Szenario», sagt er. Rechtliche Hürden stehen aber keine mehr im Weg. Es kann losgehen.

«Was nützt uns die Tangente?»

Der Stadtzuger Bauchef André Wicki spricht Klartext über das Projekt: «Was nützt uns die Tangente? Man sieht es ganz klar, was sie nützt: Grosse Verkehrsreduktion mitten in der Stadt. Wir freuen uns aufs Einezwänzgi.» Ist das auch ein Pflaster für die Niederlage beim Stadttunnel? Neue Hoffnung für einen Weg nach der Sackgasse? «Naja, wir haben von Anfang an gesagt, dass es keinen Plan B zum Stadttunnel gibt – nach Süden hin wird die Stadt nun ein Nadelöhr bleiben. Was wir machen werden, ist der Umbau des Postplatzes, damit der obere Teil parkplatzfrei wird, und die Neugestaltung des Bundesplatzes.»

«Schon in den Sechzigerjahren war eine Verbindung ein Thema, sie führte damals durch den Hof meines Vaters.»

Paul Langenegger, Gemeinderat Baar

Dass die Tangente die Stadt entlasten würde, habe man schon vorher gewusst. Also gibt es zwar keine Denkblockaden, aber auch keine neuen Ideen für die Verkehrsentwicklung in der Stadt? «Wir können kleine Dinge machen, um den Status Quo zu verbessern», sagt Wicki. «Aber wenn wir die technische Entwicklung betrachten, dann bin ich guter Hoffnung für die Stadt: Apps wie Uber oder neue Möglichkeiten zum Mitfahren bei Privatpersonen etwa. Wenn wir nur schon die Fahrzeugbelegung von 1,1 Personen auf 1,5 Personen erhöhen können, haben wir einen Drittel weniger Verkehr in der Stadt.»

Alter Traum vom Strassenbauen

Die Tangente ist kein Traum von neuer Technik, sie ist ein alter Traum vom Strassenbauen: von der besseren Verbindung zwischen Berg und Tal. «Ich möchte noch etwas weiter ausholen», sagt Paul Langenegger, Bauchef von Baar. «Schon in den Sechzigerjahren war eine Verbindung ein Thema, sie führte damals durch den Hof meines Vaters. Der hatte schlaflose Nächte deswegen», sagt Langenegger, «er hing sehr an seinem Hof.» Bis ihn ein Regierungsrat beruhigt habe: «Er würde das nicht mehr erleben, und seine Kinder würden schon alt sein, wenn diese Strasse kommt.»

Jetzt kommt sie, führt aber nicht durchs Land von Langeneggers Vater. Führt durchs Land eines anderen Bauern, der offenbar ebenfalls schlaflose Nächte hatte, oder zumindest Angst, sich zu melden – da er trotz vieler Versuche der Verwaltung für Verhandlungen nicht mehr aufgefunden werden konnte, wurde er schlussendlich vom Kanton teilweise enteignet, wie die «Neue Zuger Zeitung» damals berichtete. Langenegger ist zwar nicht verantwortlich, sagt aber mit Bedauern: «Es ist schade, dass er sich nicht gemeldet hat, da sein Land schon sehr stark betroffen ist. Wir hätten bestimmt eine bessere Lösung finden können, wenn er sich gewehrt hätte.» Allerdings profitiere auch er von einigen der Massnahmen im Rahmen der Bauarbeiten.

Baudirektor Urs Hürlimann hat die Aufgabe zum Tangentenbau geerbt, zusammen mit der Umfahrung Cham-Hünenberg (UCH) und dem ungelösten Problem der Zuger Südseite. Er wirkt optimistisch. «Wir müssen in Interessenräumen denken, nicht mehr nur innerhalb der Kantonsgrenzen», sagt Hürlimann. Die Tangente soll die Interessenräume Berg und Tal zusammenbringen, die UCH die Erschliessung des boomenden Rontals ermöglichen. Der erste Schritt im kantonalen Verkehrs-Hattrick ist also gemacht. Die Dame vom Hausdienst lässt den Korken knallen – behält ihn allerdings zur Sicherheit in der Hand. Das passt zum Startschuss dieses Projekts. Es geht jetzt zwar los. Aber es geht auch noch eine Weile. Und es wird wohl noch viel zu kämpfen geben, bis auch die anderen Projekte starten können.

Übers grüne Land: Die Tangente Zug / Baar soll sich verträglichins Gelände einbetten, sagt der Kantonsingenieur.

Übers grüne Land: Die Tangente Zug / Baar soll sich verträglichins Gelände einbetten, sagt der Kantonsingenieur.

(Bild: Archiv)

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