Luzerner Verein «Lisa» über prekäre Lage

Strassenstrich in Luzern: Freier sind aggressiver geworden

Das Sexgewerbe wurde von der Corona-Krise besonders hart getroffen. (Symbolbild: Maru Lombardo/Unsplash) (Bild: Maru Lombardo/Unsplash)

Es ist keine einfache Zeit für die Sexarbeit: Auch fast ein Jahr nach dem Arbeitsverbot hadern viele Sexarbeiterinnen mit der Situation. Besonders zu schaffen machen ihnen die Freier – die entweder ganz ausbleiben oder aggressiver sind.

Seit der Corona-Pandemie ist es beim Geschäft «Sex gegen Geld» anders. Lange Zeit war das Geschäft stillgelegt: Sechs Monate lang schlummerten die Bordelle vor sich hin. Weil die Luzerner Regierung weiter gegangen war als der Bund und ein Prostitutionsverbot ausgesprochen hatte (zentralplus berichtete). Bereits während der ersten Welle im Frühling durften Sexarbeiterinnen nicht arbeiten und verdienten keinen Rappen.

Seit bald elf Monaten dürfen Sexarbeiter zwar wieder anschaffen. Doch die Freier haben sich verändert. Erst liessen sie sich von den Schutzkonzepten einschüchtern, da Sexarbeiterinnen unter anderem die Kontaktdaten der Kunden aufnehmen mussten (zentralplus berichtete). Andere wurden frustrierter und aggressiver und feilschten um die Preise von Dienstleistungen, wie eine Bordell-Betreiberin gegenüber zentralplus erzählte.

Bericht der ZHAW zeigt: Arbeitsverbot traf Sexarbeiterinnen massiv

Die Krise lastet immer noch schwer auf den Sexarbeiterinnen. Die Massnahmen im Kampf gegen das Virus haben ihre Arbeit massiv erschwert, insbesondere das Arbeitsverbot machte ihnen zu schaffen. Das zeigt eine Studie des Departements Soziale Arbeit der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). Die Massnahmen seien eher kontraproduktiv gewesen, halten die Forscherinnen fest. Sie haben 14 Experten und 11 Sexarbeiterinnen aus der Stadt Zürich interviewt.

Noch länger als der Kanton Luzern hat nämlich der Kanton Zürich ein Arbeitsverbot für Sexarbeiterinnen ausgesprochen. Wie die Forscher festhalten, litten diese unter dem finanziellen Druck – ihre Lebenslage verschärfte sich aber auch durch Verhaltensänderungen der Freier. Ein Grossteil der befragten Sexarbeiterinnen hat aufgrund der prekären Situation trotz Verbot weitergearbeitet.

«Durch das Arbeitsverbot hatten sie auch kaum Möglichkeiten, sich zu wehren, wenn ihnen Unrecht widerfahren war.»

Eliane Burkart, Verein «Lisa»

«Das Arbeitsverbot erhöhte ihre (gemeint sind Kunden) Verhandlungsmacht», heisst es im Schlussbericht. «Die interviewten Sexarbeiter*innen gaben an, mehr Nötigungs- und Betrugsversuchen ausgesetzt gewesen zu sein als vor der Pandemie. Dazu gehörte insbesondere das Drücken des Preises oder das Verweigern der Bezahlung nach erhaltener Leistung.» Auch Aggressionen und Gewalt haben zugenommen. Und Sexarbeiterinnen mussten – mangels Alternativen – auch Freier bedienen, die sie vor der Pandemie abgelehnt hätten. «Insgesamt wurde die Selbstbestimmung durch das Arbeitsverbot eingeschränkt», so die Forscherinnen der ZHAW.

Verein «Lisa» wehrte sich gegen das Arbeitsverbot

Diese Einschätzung teilt Eliane Burkart. Sie ist seit letztem Herbst gemeinsam mit Daniela Gisler Co-Geschäftsleiterin des Luzerner Vereins Lisa, der sich für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen von Sexarbeiterinnen einsetzt (zentralplus berichtete). Als die Regierung das Arbeitsverbot ausgesprochen hatte, schlug der Verein bereits Alarm. Mit dem Arbeitsverbot würden die in Not geratenen Sexarbeiter bloss in die Illegalität getrieben.

«Durch das Arbeitsverbot hatten sie auch kaum Möglichkeiten, sich zu wehren, wenn ihnen Unrecht widerfahren war», so Burkart. Etwa dann, wenn ein Kunde eine Dienstleistung in Anspruch genommen hatte und sich danach weigerte, dafür zu bezahlen. «Denn wenn sie sich bei der Polizei gemeldet hätten, hätten sie sogleich kundgetan, dass sie trotz Arbeitsverbot arbeiteten.»

Sexarbeit läuft nach Arbeitsverbot zögerlich an

Das Geschäft läuft auch jetzt, da fast alle Corona-Massnahmen und auch das Schutzkonzept in der Sexarbeit gefallen sind, weiterhin bescheiden. «Die Situation im Sexgewerbe ist nach wie vor sehr angespannt», sagt Burkart. «Viele Sexarbeitende berichteten über fehlende Kundschaft, das Fordern von sehr günstigen Dienstleistungen oder ohne Kondom.»

«In den Freierforen freut man sich über den Krieg in der Ukraine, denn er wird eine neue Welle von jungen Ukrainerinnen in die deutschen Bordelle schwappen lassen.»

Huschke Mau, gegenüber der «Zeit»

Deswegen seien momentan noch weniger Sexarbeiterinnen hier als noch vor der Pandemie. «Unter diesen Umständen wollen und können viele nicht hier arbeiten.» Erst seit drei, vier Wochen treffe sie auf dem Strassenstrich, aber auch in Indoor-Betrieben wieder vermehrt Sexarbeiterinnen an. «Deswegen gehen wir davon aus, dass die Kundschaft zögerlich zurückkommt.»

Erwerbsersatz fällt weg – das belastet viele

Der finanzielle Druck sei bei vielen nach wie vor sehr gross. Und demzufolge auch ihre Prioritäten der Zeiteinteilung. «Wir merken sogar, dass zum Teil auch unser Mittagstisch und unsere Deutschkurse schlechter besucht wurden. Für viele war es keine Priorität mehr, Deutsch zu lernen, weil sie keinen potenziellen Kunden verpassen wollten.»

Mit den neuesten Lockerungen haben Sexarbeiter nun auch keinen Anspruch mehr auf Erwerbsersatz. «Das hat bei vielen massiven Druck ausgelöst. Sie kriegen keinen Erwerbsersatz mehr – wissen aber auch nicht, ob und wie ihr Geschäft weiterläuft. Viele sind deswegen verunsichert und besorgt.»

Ukraine-Krieg löst Unsicherheit aus

Auch der Krieg in der Ukraine wühlt Sexarbeiterinnen auf. Viele von ihnen kommen aus Osteuropa, aus Rumänien, Bulgarien und Ungarn – Ländern, die der Ukraine sehr nahe sind. «Der Krieg löst viel Unbehagen und Fragen aus. Viele haben Angst, dass der Krieg in andere Länder überschwappen wird.»

«Wo Not ist, da gibt es leider auch Menschen, die versuchen, diese Not auszunutzen.»

Eliane Burkart

Medienberichten zufolge sollen an der polnischen Grenze bereits Zuhälter warten, die geflüchtete ukrainische Frauen ansprechen. Das Risiko, dass diese Frauen in der Hoffnung auf schnelles Geld, um ihrer Notlage zu entkommen, Opfer von Zwangsprostitution werden, ist laut Expertinnen gross.

Huschke Mau, die selbst zehn Jahre lang als Prostituierte tätig war und der Meinung ist, dass freiwillige Prostitution ein Mythos sei, sagte kürzlich gegenüber der «Zeit»: «In den Freierforen freut man sich über den Krieg in der Ukraine, denn er wird eine neue Welle von jungen Ukrainerinnen in die deutschen Bordelle schwappen lassen.»

Freier äussern sich teilweise herablassend in Foren

Worte, die einen schockieren. Burkart ordnet ein: «So wie die Sexarbeitenden eine wahnsinnig diverse Gruppe bilden und jeder und jede von ihnen eine persönliche Geschichte und Entscheidung mitbringt, warum er oder sie in der Sexarbeit tätig ist, so haben auch die Kunden unterschiedliche Hintergründe und Motivationen, eine solche Dienstleistung in Anspruch zu nehmen.»

Während die einen schlicht das Bedürfnis nach Austausch, Intimität und Nähe mit einem anderen Menschen hätten, gebe es auch solche, «denen es um Macht geht und die sich so herablassend äussern in Freierforen». «Und wiederum andere deklarieren es als Hilfestellung und sehen sich als Retter, wenn sie Menschen in einer Notlage finanziell unterstützen – als Gegenleistung für eine sexuelle Dienstleistung.»

So oder so: «Wo Not ist, da gibt es leider auch Menschen, die versuchen, diese Not auszunutzen», sagt Burkart. Umso wichtiger sei es, die Hintergründe eines Menschen zu differenzieren, warum dieser in der Sexarbeit tätig ist. Ob es aus eigener Entscheidung dazu kam oder ob Drittpersonen im Spiel sind, die davon profitieren wollen. Und im Falle der geflüchteten Frauen: «Da müssen wir als Gesellschaft schauen, welche Hilfestellungen es braucht, wie wir sie unterstützen können und wie sie zu dieser Unterstützung kommen.»

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Armando
    Armando, 15.03.2022, 20:23 Uhr

    Keine «Sexarbeiterin» ist gezwungen, dieser «Arbeit» nachzugehen. Es ist die Hoffnung auf viel schnelles Geld, die sie in die Prostitution treibt. Sie sind zu bequem, sich eine andere Arbeit zu suchen und diese auch zu erledigen. Viele Frauen aus Osteuropa arbeiten als Putzfrau oder Haushälterin, aber da winkt eben das schnelle leicht verdiente Geld nicht.

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