Ein Selbstversuch: Leiden bei Traumwetter

Warum immer mehr Luzerner an der Seeüberquerung teilnehmen

Neuer Rekord: 531 Schwimmerinnen und Schwimmer traten zur 9. Luzerner Seeüberquerung an. (Bild: Christoph Arnet)

Zum neunten Mal schwammen Hunderte von Leute über die Luzerner Seebucht. Weil es stetig mehr werden und die Startplätze immer schneller ausgebucht sind, wollte zentralplus in einem Selbstversuch herausfinden, was den speziellen Reiz der Veranstaltung ausmacht – und hat reüssiert.

18 Tage lang ging es letztes Jahr, bis die 500 Startplätze für die Luzerner Seeüberquerung zwischen Strandbad Lido und Tribschen ausgebucht waren. Heuer dauerte es nur ganze vier Tage – obwohl erstmals 600 Leute zugelassen wurden. Möglich wurde dies, weil die Stand-up-Paddler erstmals nicht quer über die Seebucht paddelten, sondern auf einer neuen Route Richtung Meggenhorn aufbrachen.

«Wir haben uns ein wenig schwergetan mit dem Entscheid, das Teilnehmerfeld zu erweitern, sagt Marc Audeoud. Er leitet zusammen mit Hans Peter Lüthi das Organisationskomitee für den grössten Wassersportanlass auf dem Vierwaldstättersee. «Viele Leute schätzen den immer noch familiären Rahmen, in dem die Seeüberquerung stattfindet», sagt er.

Kursschiffe haben Vorrang

Kein Vergleich zu jener in der Stadt Zürich, wo vor einigen Wochen 8'400 Schwimmer über den See geschleust wurden – im wahrsten Sinn des Wortes. Um die Kursschifffahrt nicht zu behindern, wird in Zürich die Masse jeweils in mehreren Gruppen auf die Strecke geschickt – manchmal droht Stau und Schwimmer müssen warten. «Das könnte ich mir in Luzern überhaupt nicht vorstellen», so Audeoud. «Schliesslich ist die Seeüberquerung nicht nur ein Breitensportanlass, sondern auch ein Wettrennen.»

Für einen Feierabendschwimmer mit Schmerbauch klingt der letzte Satz einschüchternd. Ebenso beängstigend sind die vielen durchtrainierten Körper bei den anderen Schwimmern. Und die T-Shirts mit der Aufschrift «Triathlon» oder «Aquathlon», die vor der Sicherheitseinweisung abgestreift werden.

Zeitlimit macht Sorgen

Im Strandbad Lido wird am Sonntagmorgen den Teilnehmern eingeprägt, bei zu grosser Erschöpfung zu rufen oder aufs Wasser zu klatschen – wer zu langsam ist, wird aus dem Rennen genommen, damit die Kursschiffe passieren können. Die Zeitlimite von 45 Minuten für die 1,1 Kilometer macht manchen Bauchweh. «Doch in den letzten Jahren musste ich nie jemanden aus dem Wasser holen», beruhigt SLRG-Einsatzchef Roger Beuret die Menge der wartenden Schwimmer.

Es folgt das obligatorische Aufwärmen. Um Kräfte zu sparen, halten wir uns dabei zurück. Dann wird die Badekappe aufgesetzt, der Zeitmesschip am Fuss festgezurrt, die Schwimmbrille über die Augen gezogen und der Kamera-Drohne, die über dem Lido schwebt, zugewinkt.

Zu langsam

Nun gehts los: Hunderte von Schwimmern preschen über den Strand und stürzen sich ins Wasser. Dieses ist gut 20 Grad warm. Eigentlich eine angenehme Temperatur, dennoch ist man um die Badekappe froh, die den Kopf ein wenig vor dem Auskühlen schützt.

Der Beginn der Seeüberquerung ist pures Leiden: Um dem Gedränge zu entfliehen, spurten wir, was das Zeug hält. Doch wir sind zu langsam, bald sind nur noch wenige Dutzend Schwimmer hinter uns. Zwei Frauen um die dreissig überqueren die Seebucht mit entspanntem Brustschwimmen. Sie einzuholen setzen wir uns zum Ziel – scheitern aber jämmerlich.

Der perfekte Morgen

Als wir die grünorange Boje in der Mitte der Strecke passieren, heult drohend das Horn eines Dampfschiffes vom Bahnhof her. Hinter uns kriecht ein langes Kursschiff in Richtung Kreuztrichter. Panik kommt auf.

Weil dies nichts nützt, der Schnellste ohnehin im Ziel ist und die meisten der ambitionierten Hobbyschwimmer nur noch stecknadelgrosse Punkte vor uns im Wasser sind, schalten wir in den Genussmodus. Nun grüsst das grandiose Alpenpanorama am Weissewäschemorgen, der Firn des Titlis gleisst in der Sonne, im sauberen Wasser spiegelt sich das Grün des Bireggwaldes.

Leider strapaziös

Es wäre das pure Vergnügen, wenn es nicht so anstrengend wäre. Doch irgendwann entdecken wir, wie sich das unangenehme Japsen reduzieren lässt. Crawlen, damit es voran geht, aber mit möglichst wenig Beinarbeit – so reicht der Schnauf länger.

Sorgfältig wachen Dutzende von Kajaks und Boote über die 531 Schwimmer. (Bild: Christoph Arnet)

Gegen das Tribschenhorn hin ist der See seicht. Wasserpflanzen erscheinen im  Sichtfeld. Eine Wasserschnecke treibt vorbei. Mit letzten Kräften erreichen wir das Strandbad Tribschen.

Applaus auch für die Letzten

Als wir benommen den Strand hinauftaumeln, klatschen die Leute. Nicht mitleidig, wie man es als 197. im Klassement erwarten könnte,  sondern mit freundlicher Anerkennung. Sie werden es auch noch bei den letzten der 531 angetretenen Schwimmern tun.

Was also macht den Reiz der Seeüberquerung aus? Die Möglichkeit in sicherem Rahmen und zu einem preiswerten Startgeld einmal den See zu überqueren, an dem man wohnt, hatte uns die Speakerin Danja Spichtig vor dem Start gesagt.

Besser Leben

Doch das greift zu kurz. Es ist die Fürsorge der 56 Leute, welche die Schwimmer in Kajaks und Booten über den See geleiten, die ehrliche Freundlichkeit und das Engagement der Helfer, welche den Erschöpften das Gepäck aushändigen und sie mit Bouillon und Verpflegung versorgen.

Die Landschaft und das Teilnehmerfeld, das aus 12- bis 69-Jährigen besteht, aus Einheimischen, von denen viele einander kennen, aber auch aus einigen Weithergereisten, wie dem Sieger aus Texas William Sampson, tragen dazu bei, dass die Luzerner Seeüberquerung ein gutes Stück Lebensqualität bedeutet.

Nächste Stufe

Im Kanton Luzern gibt es noch drei andere Seeüberquerungen. In Nottwil am Sempachersee ist eine über zwei Kilometer lang. Jene zwischen Weggis und der Untermatt gar drei Kilometer. Dafür müssten wir intensiv trainieren. Doch unser Einsatz in Luzern reicht bis auf weiteres vollauf – wir kommen im nächsten Jahr gern wieder.

Die Bildergalerie des Fotografen Christoph Arnet zur 9. Luzerner Seeüberquerung:

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