Zug: Unterwegs mit der Feuerwehr fürs soziale Leben

Warum die Spitex unverzichtbar ist – und doch im Stich gelassen wird

Eine von vielen Spitex-Dienstleistungen: Hilfe beim Ankleiden und Ausziehen. (Bild: zvg)

Sie bewahrt Leute vor dem Pflegeheim und spart den Einwohnergemeinden eine Menge Geld: die Spitex. zentralplus ging im Kanton Zug mit den Fachleuten für ambulante Pflege auf Tour  – und lernte, wie wichtig die Organisation ist und wo der Schuh drückt.

Es fühlt sich ein bisschen an wie das Briefing von Piloten vor einem Flug. Am Donnerstagabend studieren Pflegefachleute der Spitex-Regionalstelle Zug-Walchwil ihren bevorstehenden Einsatz. Sie gehen Berge von Akten durch, konsultieren Berichte und notieren sich Einzelheiten zu den Klienten, die sie in den kommenden Stunden sehen werden.

Auch Chiara Treute ist ins Studium versunken. Wenig später schnappt sie sich ein Diensthandy, einen Laptop und steigt in der Dämmerung des hereinbrechenden Winterabends in einen der über ein Dutzend Dienstwagen.

Ein Sterbender folgt auf eine vergnügte Rentnerin

Treute ist Pflegefachperson mit höherer Berufsbildung und bei der Spitex fürs Qualitätsmanagement zuständig. Einmal pro Monat übernimmt sie eine Spätschicht, um den Kontakt zu den Klienten nicht zu verlieren.

Und die sind höchst unterschiedlich: Als erstes erwartet uns eine fröhliche alte Dame, die medizinisch versorgt wird und bei der die Blutzuckerwerte kontrolliert werden. Dann ist ein Schmerzpatient an der Reihe, der im Sterben liegt. Anschliessend besucht Treute eine Klientin, die manchmal aggressiv wird.

Jimi Hendrix und Janis Joplin an den Wänden

Und zum Abschluss treffen wir eine ältere Dame mit einem Jimi-Hendrix-Poster und Bildern von Janis Joplin an den Wänden. Die Seniorin, die zufrieden und aufgestellt wirkt, hat eine Drogenvergangenheit hinter sich und ist ebenfalls auf Hilfe angewiesen.

«Für einige sind wir das soziale Umfeld.»

Chiara Treute, Spitex

«Demenz ist bei vielen Klienten ein grosses Thema», sagt Treute. «Und dieses wird immer wichtiger.» Ihre Klienten an diesem Abend haben alle noch ein soziales Umfeld – Kinder, Partner oder auch private Betreuer – ausser eben die Dame mit dem Hendrix-Poster. «Für sie sind wir das soziale Umfeld», sagt Treute.

Private Dienste boomen

Die Spitex Kanton Zug ist ein privater Verein, der für die Einwohnergemeinden auf Non-Profit-Basis arbeitet – und deshalb auch keine Kunden ablehnen kann. Aber es ist beileibe nicht der einzige Pflegedienst, dem wir an diesem Abend begegnen.

Bei zwei Klienten treffen wir auch auf Pflegerinnen von privaten Diensten. «Sind mehrere Dienste involviert, dann sind wir im Lead», sagt Treute. Dann kontrollieren die Spitex im Auftrag der Krankenkassen die Dienstleistungen der privaten profitorientierten Anbieter.

Nicht alle Touren der Spitex sind so abwechslungsreich, wie jene der spezialisierten Fachkraft Chiara Treute. Denn die Spitex bietet auch Haushaltshilfe an, Betreuung, einfache Wundpflege – und einen Mahlzeitendienst, der das Essen aus dem Zuger Kantonsspital an die Klienten ausliefert und es vor Ort gart.

Die Spitex Kanton Zug liefert auch Frischmahlzeiten aus. (Bild: zvg)

Es gibt eine Abteilung für palliative Pflege, einen eigenen Nachdienst – ja sogar eine eigene psychiatrische Abteilung, welche die Pflegenden unterstützt. In vier Regionalstellen arbeiten total rund 260 Leute, helfen rund ums Jahr Menschen jeden Alters im eigenen Zuhause bei Krankheit, Unfall, Behinderung, Mutterschaft, Überlastungssituationen oder nachlassenden Kräften.

Bund streicht ambulanter Pflege Geld

Sie ermöglichen den Betroffenen, bis ins hohe Alter Lebensqualität zu Hause zu erleben – und sparen den elf Zuger Einwohnergemeinden eine Stange Geld. Denn Pflegebedürftige in Heimen zu versorgen, benötigt zwar weniger Organisationsaufwand als die ambulante Versorgung, ist aber um einiges teurer.

«Das ganze System ist viel zu kompliziert und gehört reformiert.»

Martin Pfister (CVP), Zuger Gesundheitsdirektor

Also würde man erwarten, dass die Spitex-Leistungen vom Staat stärker gefördert werden. Das ist aber mitnichten so. Der Bund hat der ambulanten Pflege nämlich jüngst 3,6 Prozent der Mittel gestrichen und entrichtet stattdessen der stationären Pflege – also den Pflegeheimen – um 6,7 Prozent höhere Beiträge. Grund sind revidierte Berechnungen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung, die nach den Erkenntnissen des Bundes für die Spitex für einige Jahre lang zu hoch lagen.

Zuger Gemeinden kneifen

Also wurde korrigiert – wohl mit dem Kalkül, dass die Einwohnergemeinden, welche die Pflege als sogenannte «Restfinanzierer» bezahlen, den Spitex-Diensten den Fehlbetrag ausgleichen. Schliesslich ist es günstiger, die Pflegebedürftigen via Spitex ambulant zu versorgen, statt sie in stationären Einrichtungen zu beherbergen.

Nun, im Kanton Zug verspürten die Einwohnergemeinden keine Lust, dem Kalkül des Bundes zu entsprechen – sie weigern sich, die Finanzierungslücke zu füllen. Die Spitex muss daher jetzt einfach sparen.

Spitex-Mitarbeiterin im Einsatz. (Bild: zvg)

Martin Pfister (CVP), der Zuger Gesundheitsdirektor, ärgert sich über die Aktion des Bundes. «Die Stossrichtung ist falsch», sagt er. Und eigentlich wäre es sowieso verfehlt, den finanziellen Druck von einem Leistungserbringer auf den andern zu verlagern. «Das ganze System ist viel zu kompliziert und gehört grundsätzlich reformiert», so Pfister. Doch ihm sind die Hände gebunden, weil die Pflege in die Zuständigkeit der Gemeinden fällt und der Kanton nichts damit zu tun hat.

Die Spitex-Mitarbeitenden arbeiten unbesehen der Politbürokratie aufopferungsvoll für ihre Kunden. Chiara Treute nimmt nun Kurs auf das Zuger Herti-Quartier. Anschliessend setzt sie zu einer längeren Autofahrt an – denn die Spitex Zug-Walchwil betreut auch Klienten auf den abgelegenen Gehöften des Zuger- und Walchwilerbergs. «Eigentlich mag ich diese Fahrten zum Abschluss des Abends», sagt die Fachfrau. Auch wenn sie damit noch lange nicht Feierabend hat. Das Diensthandy wird sie nach Hause begleiten, wo sie noch einige Stunden auf Pikett abrufbar bleibt.

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