Zuger ist Leiter des nationalen Projekts

Viamia: Warum du als 40-Jährige zur Berufsberatung solltest

Urs Brütsch aus Zug ist der Projektleiter eines Berufsberatungs-Instruments, das nun in der ganzen Schweiz verwendet wird. (Bild: zvg)

Fühlst du dich wohl im Job, stehst gerne auf und kommst zufrieden von der Arbeit heim? Vielleicht ist es trotzdem Zeit für eine Berufsberatung. Denn wer weiss, ob dein Job in zwanzig Jahren noch existiert. Der Bund hat dieses Problem erkannt und ein entsprechendes Programm ins Leben gerufen. Zuvorderst mit dabei: der Zuger Urs Brütsch.

Als 15-Jähriger die KV-Lehre machen, um dann 50 Jahre lang in der gleichen Firma zu arbeiten, bis man pensioniert wird? Was früher durchaus üblich war, ist heute höchst selten noch der Fall. Die Berufswelt verändert sich stetig, Technologien führen dazu, dass gewisse Berufe überflüssig werden. Darum ist Flexibilität gefragt, Weiterbildungen gehören zum guten Ton und in jeden passablen Lebenslauf.

Die Arbeitswelt ist in den letzten Jahrzehnten zwar interessanter geworden, aber eben auch komplexer. Eine Garantie, dass der eigene Job in zwanzig Jahren noch existiert, gibt es nicht.

Dieses Jahr startete ein vom Bundesrat lanciertes Pilotprojekt, das sich genau mit dieser Problematik befasst. «Viamia» ist eine berufliche Standortbestimmung und Beratung, welche sich explizit an Über-40-Jährige richtet. An vorderster Front dieses Projekts: Der Zuger Urs Brütsch, seines Zeichens Amtsleiter der Zuger Berufsberatung.

Mitnichten altes Eisen

Ein Berufsberatungs-Projekt, das sich explizit an über 40-Jährige richtet? Das klingt, als würde man dann bereits zum alten Eisen gehören und zu einer Altersgruppe, die besonderen Support braucht. Das treffe mitnichten zu, betont Brütsch. «Wir wollten bewusst ein präventives Instrument schaffen. Ist man mit 50 Jahren von Arbeitslosigkeit betroffen, kann es je nach Branche hart werden, einen Job zu bekommen. Wir wollten hingegen bewusst Menschen ansprechen, die noch voll im Arbeitsleben stehen und Lust haben, sich aus eigener Motivation heraus weiterzuentwickeln.»

«Evaluationen zeigen, dass drei Viertel der Teilnehmenden unter 50 Jahre alt ist. Das ist ein erster Erfolg.»

Urs Brütsch, Projektleiter von Viamia

Viamia läuft erst seit diesem Jahr, bisher haben aber bereits 1'800 Personen im Rahmen des Projekts eine Standortbestimmung durchlaufen. «Evaluationen zeigen, dass drei Viertel von ihnen unter 50 Jahre alt ist. Das ist für uns bereits ein erster Erfolg, bedeutet dies doch, dass wir die Zielgruppe ansprechen, die wir möchten», so der Projektleiter.

Dennoch gibt es auch unerwartete Erkenntnisse aus der ersten Phase. «Die Massnahme hat Personen mit einer Lehre ohne viel Weiterbildung im Fokus. Doch stellte sich heraus, dass zwei Drittel einen höheren Abschluss mitbringen. Vierzig Prozent der Teilnehmer waren an einer Hochschule», so Brütsch. «Bildungsnahe Menschen melden sich demnach eher bei uns.»

Als Grund, warum das so sein könnte, vermutet der Zuger Folgendes: «Möglicherweise trauen sich Bildungsnahe eher zu, reagieren zu können, sollte die Standortbestimmung etwas Kritisches ergeben. Wer mit Ach und Krach eine Berufslehre absolviert hat, scheut sich vielleicht davor, sich weiterzubilden», sagt er. «Es kann aber auch gut sein, dass viele Maurer oder Schreiner glauben, dass es ihre Jobs auch in zwanzig Jahren noch in dieser Form brauche.»

Verschwindende Branchen als Warnlichter

Was meint Brütsch, wenn er betreffend der Ergebnisse von «etwas Kritischem» spricht? «Bei der Standortbestimmung werden drei Facetten angeschaut. Zuerst sieht man sich die Berufsbiografie, also den CV, an. Was hat die Person bereits gemacht und wo liegen ihre Kompetenzen? Dazu kommt ein Fragebogen, bei dem es um Karriere-Ressourcen geht. Wie gut kennt man den Arbeitsmarkt? Wie gut ist man im Netzwerken?» Last but not least gehe es bei der Bestimmung auch um die ganze Branche, in der sich die Person bewege. Welche Funktion nimmt jemand dort ein? Wie könnte sich die besagte Branche in den nächsten Jahren entwickeln?

«Diese drei Elemente führen zu einer Gesamtbeurteilung. Sind viele Ressourcen vorhanden, ist das gut und es besteht kein akuter Handlungsbedarf. Andernfalls werden zusammen Lösungen gesucht und Handlungsempfehlungen entwickelt», so der Amtsleiter. Manchmal seien das kleinere Änderungen, welche die Person selber in die Hand nehmen könne. Gehe es um grössere berufliche Veränderungen, können Folgeberatungen mit Zielsetzungen vereinbart werden.

Urs Brütsch, Leiter des Berufsinformationszentrums und Projektleiter von Viamia. (Bild: zvg)

40 Millionen Franken vom Bund

Die Kosten über 40 Millionen Franken für das vierjährige, bald gesamtschweizerische Projekt, werden vom Bund übernommen. Im kommenden Jahr soll Viamia in 25 Kantonen eingeführt werden. Dass Urs Brütsch als Leiter dieses Projekts fungiert, ist indes kein Zufall.

«Wir haben dieses Instrument bereits vor einigen Jahren im Rahmen der Kampagne ‹Alter hat Potenzial› entwickelt. Gemeinsam mit V-Zug-Angestellten und in Begleitung der Universität Bern evaluierten wir dieses», erzählt der Projektleiter. «Als der Bundesrat 2019 Massnahmen beschloss, um die Berufschancen älterer Arbeitskräfte zu erhöhen, konnten wir dieses tolle, bereits fixfertige Instrument zücken», so Brütsch. Dass er stolz ist auf diese Errungenschaft, ist ihm anzuhören. «Es ist das erste Mal, dass man sich in der Berufsberatung kantonsübergreifend auf dasselbe Instrument stützt.»

Das habe anfangs hier und dort auch zu Ungereimtheiten geführt. «Gerade die Westschweizer arbeiten ganz anders als die Deutschschweizer Kantone. Dort ist das Personal viel stärker psychologisch geschult. Die Bereiche Arbeitsmarkt und Wirtschaftstrends sind ihnen dagegen fremder.» Doch auch in der Romandie habe man sich mittlerweile angefreundet mit Viamia. Erneut flammt Stolz in Brütschs Stimme auf, als er erzählt: «Alle, die sich über Viamia beraten lassen, füllen während und nach dem Prozess mehrere Evaluationen aus und vergeben Noten. Wir haben bisher eine 5,4 erhalten von 6, was mich sehr freut. Ausserdem würden 99 Prozent der Teilnehmenden dieses Instrument weiterempfehlen.»

Erste Erfolge wurden schon verzeichnet

Einer, der das Instrument Viamia bereits getestet hat, ist Elias Husistein. «Schon länger habe ich das Bedürfnis verspürt, mich beruflich zu verändern. Dies, obwohl ich meinen Job als Leiter eines Kundendiensts grundsätzlich gern mache.» Konkret wurden die Visionen, die der 42-Jährige bezüglich möglicher beruflicher Perspektiven hatte, jedoch nie. «Meine Frau stiess auf Viamia und ohne zu zögern habe ich dort eine Standortbestimmung gemacht.»

Husistein erzählt weiter: «In einer ersten Besprechung ging es primär darum, herauszufinden, wo ich heute beruflich stehe und wie mein Lebenslauf bisher ausgesehen hat. In Hinblick auf die zweite Beratung musste ich einige Hausaufgaben erledigen.» Will heissen: Er sammelte Inserate, die ihn ansprachen und befasste sich stärker mit seiner eigenen Persönlichkeit.

«Das zweite Gespräch war fokussierter, anhand der Auswertungen meiner Hausaufgaben wurde bald klarer, in welche Richtung es weitergehen könnte», sagt er. «In meinem Fall heisst das konkret, dass ich mich in Richtung Key Account Management entwickeln will. Ich mag die Arbeit mit Menschen und möchte für diese sowie für die Firma etwas erreichen.»

Eine anspruchsvolle Zeit

Im Rahmen von Viamia wurde eruiert, wie Husistein dieses Ziel erreichen kann, worauf er sich für die Verkaufsleiterausbildung entschied. «Vor drei Wochen habe ich angefangen. Die Schule neben Familie und Arbeit zu absolvieren, ist anspruchsvoll. Doch ist es auch toll, etwas Neues zu machen. Selbst wenn das bedeutet, dass ich jeden Tag am Lernen bin.» Immerhin sei die Dauer mit rund einem Jahr absehbar.

Was für Husistein wichtig war beim Prozess der Neuorientierung: «Ich setzte meinen Arbeitgeber darüber ins Bild, dass ich mich weiterentwickeln will. Er hat auf meine Offenheit sehr gut reagiert. Wer weiss, vielleicht ergibt sich in derselben Firma eine neue Lösung!»

Am Mittwoch, 22. September, findet um 19.15 Uhr ein Webinar zu Viamia statt. Anmelden kann man sich hier.

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