Besuch auf der Baustelle des Zuger Altstadtlokals

Von wegen Riegelhaus: Die alte «Taube» und ihre Bausünden

Dan Semrad blickt kritischen Auges auf die falsche Riegelfassade.

(Bild: wia)

Wo einst die «Taube» zu Speis und Trank lud, wird heute eifrig umgebaut. An der Unteraltstadt 26 in Zug entstehen neue Wohnungen und ein Restaurant. Für den Architekten ist es ein spannendes Projekt. Obwohl oder vielleicht gerade weil das Haus laut dem Experten in einem schlechten Zustand ist.

Früher, da sah man das mit dem Erhalt geschichtsträchtiger Gebäude nicht ganz so eng. Da wurden antike Balken eingesägt und historische Mauern eingerissen. Alte Massivholzböden überdeckte man mit Linoleum und im schlimmsten Fall mit Teppich.

Wenn nun alte Häuser renoviert werden, kommen solche Bausünden wieder zum Vorschein. Wie gerade aktuell an der Unteraltstadt 26. Das Gebäude, in dem das Restaurant «Taube» bis vor vier Jahren wirtete, wird derzeit im grossen Stil umgebaut. Wir treffen den zuständigen Architekten Dan Semrad vor dem Riegelhaus. Das denken wir zumindest.

Eine Bausünde aus den Siebzigern. Was aussieht wie Riegel sind eigentlich nur dünne Holzplatten.

Eine Bausünde aus den Siebzigern. Was aussieht wie Riegel, sind eigentlich nur dünne Holzplatten.

(Bild: wia)

Das architektonische Viertelwissen trügt uns

Denn wie uns Semrad gleich erklärt, sei es ein Trugschluss, hier von einem Riegelhaus zu sprechen. Wie jetzt? Da liegen doch rostrote Balken kreuz und quer in der Fassade. Unser architektonisches Viertelwissen und die paar Besuche in elsässischen Bilderbuchstädten werden uns doch wohl nicht getrogen haben? Oh doch, findet Semrad. Und reicht uns einen Bauhelm, bevor wir diesen Scheinriegel mal von Näherem betrachten.

«Bautechnisch ist das nix.»

Dan Semrad, Zuger Architekt

Wir treten ans eingerüstete Haus heran, in dem die Bauarbeiter gerade den Rohausbau erledigen. Und nun merken wir, was Semrad gemeint hat. Das sind keine tragenden Balken, welche der Fassade ihr hübsches Gesicht geben, das sind nur aufgenagelte, dünne Bretter. Und die wurden zudem überhaupt nicht schön verarbeitet. Einige Bretter stehen vor, ausserdem ist selbst für Laien ersichtlich, dass es sich um billiges Holz handelt. «Diese Fassade wurde wohl in den 70ern gebaut», erkärt Semrad.

«Bautechnisch ist das nix.» Deshalb ist für ihn klar: «Das wollen wir nun zurückbauen in den Originalzustand.» Eine schlichte Fassade mit Naturstein- und Holzumfassungen an den Fenstern werde es geben. Ähnlich also, wie sie vor etwa 200 Jahren vorzufinden gewesen sei, ergänzt der Architekt.

Aus der Bausünde wird etwas Schönes

Wenn Semrad von dieser Fassade erzählt, umspielt ein Lächeln sein Gesicht. Es freue ihn, aus einer Bausünde etwas Schönes zu machen, sagt er. «Das ist eine tolle Aufgabe.» Überhaupt habe er mit dem Umbau des Hauses ein interessantes Projekt inne. Dies, obwohl das Gebäude in einem ziemlich schlechten Zustand sei. Das wollen wir genauer sehen. Der Bauhelm sitzt, wir treten eingezogenen Hauptes ins Innere. Ein breites Fenster beim Eingang zeugt noch von der Zeit, als hier eine Bäckerei mit Backstube wirtschaftete.

Balken aus dem 14. Jahrhundert: Sie dürfen bleiben, werden jedoch noch ordentlich geputzt.

Balken aus dem 14. Jahrhundert: Sie dürfen bleiben, werden jedoch noch ordentlich geputzt.

(Bild: wia)

Über uns finden wir eine dunkle Balkenstruktur, die zwischendurch von wüsten Stahlträgern ersetzt wurde. «Diese Balken datieren laut Forschungsergebnissen etwa aus dem 14. Jahrhundert», erklärt Semrad. Aha. Aber hübsch sind sie ja nicht gerade. Schmutzig sind sie und weiss gesprenkelt. «Sie werden noch gereinigt und gepflegt, bevor das Restaurant eröffnet wird.»

 «Die Baubewilligung für das Restaurant bekamen wir problemlos. Keine einzige Einsprache ging bei uns ein.»

Dan Semrad, Zuger Architekt

Ursprünglich geplant gewesen wäre hier eine Teestube, wofür man die Baubewilligung bereits eingeholt hatte. Erst später entschied man sich, doch wieder ein Restaurant im Haus zu eröffnen. «Und auch dafür bekamen wir die Baubewilligung problemlos. Keine einzige Einsprache ging bei uns ein», erklärt Semrad.

Eher Jakobsmuscheln denn Schnipo

Wir stehen also hinter der Eingangstüre bereits im geplanten Gastbetrieb. Semrad zeigt uns die entsprechenden Visualisierungen. Holz, Glaswände, viel Grau. Das ehemalige Schaufenster sorgt für Lichteinfluss. Das sieht aber schick aus. Mehr nach Jakobsmuscheln denn nach Schnipo. Der Architekt präzisiert: «Hier soll man gut essen können, aber auch nicht allzu teuer. Das Restaurant, das wir uns für dieses Lokal wünschen, dürfte sich wohl auf demselben Niveau wie der Rathauskeller bewegen.» Das klingt bereits sehr konkret. Ist denn schon klar, wer das Restaurant führen wird? «Nein. Es ist uns enorm wichtig, dass es gute Leute sind. Deshalb lassen wir uns mit der Auswahl entsprechend Zeit.»

So schick soll die ehemalige Taube einmal werden.

So schick soll die ehemalige «Taube» einmal werden.

(Bild: zVg)

Hand in Hand mit der Denkmalpflege

Während uns Semrad unter ohrenbetäubendem Bohrmaschinenlärm in den Keller lotst, erklärt er: «Hier unten kommen die Küche und das Säli des Restaurants hin.» Noch ist es etwas düster im Untergeschoss. Das werde sich jedoch ändern, erklärt der Architekt und weist auf das seeseitige Fenster, dessen Läden derzeit geschlossen sind.

Semrad freut sich über den baldigen Seeblick und auch über die Bruchsteinmauer, die teilweise bis ins 14. Jahrhundert zurückdatiert. «Anfangs hiess es, diese Wand entspreche den feuerschutztechnischen Voraussetzungen nicht und müsse daher verändert werden. Wir konnten jedoch mit der Denkmalpflege eine gute Lösung finden», sagt er.

Überhaupt sei die Zusammenarbeit mit den Bauforschern sehr gut gewesen, ergänzt der Architekt. Weil das historische Haus so viel Unerwartetes zutage gebracht hat, hat die Zuger Denkmalpflege das Haus während eines ganzen Jahres erforscht (zentralplus berichtete). Seit März erst gehen die Bauarbeiten voran.

Die Instruktionen an die Bauarbeiter sind an eine geschichtsträchtige Wand gehängt worden.

Die Instruktionen an die Bauarbeiter sind an eine geschichtsträchtige Wand gehängt worden.

(Bild: wia)

Holz statt Beton ist die Devise

Flugs sind wir aus dem Kellergeschoss draussen und erklimmen seeseitig die oberen Stockwerke des Hauses via Baugerüste. Stufe um Stufe der Aussicht entgegen. In den einzelnen Obergeschossen werden je zwei Wohnungen eingebaut.

Wir treten in den ersten Stock ein. Dorthin, wo sich bis vor vier Jahren ein Teil der Gaststube «zur Taube» befand. Semrad deutet auf die neuen, massiven Holzplatten hin, die zwischen den alten Balken liegen. «Wir versuchen, hier drin viel mit Holz zu arbeiten. Nicht zuletzt deshalb, weil ein reiner Betonboden wohl zu schwer wäre für das Haus.» Doch das sei nicht der einzige Grund. «Gerade die Schallisolierung über dem Restaurant ist wichtig. Und dieser geschichtete Buchenholzboden dämpft die Geräusche enorm gut.»

Aus drei Häusern mach eins

Besonders im ersten Stock fällt auf, wie unterschiedlich das Haus ausgebaut ist. Auf der Seeseite hängt eine hölzerne Paneldecke, die wohl aus dem vorletzten Jahrhundert stammt. Zudem ist hier die Bruchsteinmauer gut sichtbar. Auf der Seite der Gasse hingegen durchlaufen schwere Dachbalken die Decke und auch die Wände sind von Riegeln durchzogen.

Es sieht aus, als seien hier einst mehrere Häuser gewesen. «Das stimmt. Wir gehen davon aus, dass das früher drei separate Häuser waren. Zwei schmale gegen den See und ein breiteres in Richtung Gasse», bestätigt Semrad.

Was nicht passt wird passend gemacht. Früher war man nicht so zimperlich wie heute: War ein Balken im Weg, wurde der einfach weggesägt.

Was nicht passt, wird passend gemacht. Früher war man nicht so zimperlich wie heute: War ein Balken im Weg, wurde der einfach weggesägt.

(Bild: wia)

Immer wieder trifft man im Haus auf eingesägte Balken sowie behelfsmässige, hässliche Stützen. Der Architekt erklärt: «An solchen Beispielen merkt man, wie unsorgfältig die Bewohner früher mit diesem Bau umgegangen sind.» Bis zu zehn Zentimeter Höhe habe man teilweise gewinnen können, einfach, indem man Boden um Boden herausgerissen habe. «Früher legte man einen neuen Boden einfach über den bestehenden. Ohne dass dieser zuvor herausgenommen wurde.»

«Hier auf dem Balkon der ehemaligen ‹Taube› habe ich damals für meine Maturaprüfungen gelernt.»

Dan Semrad, zuständiger Architekt beim «Tauben»-Umbau

Für Semrad ist es nicht nur wegen der Geschichte des Hauses ein spannendes Bauprojekt. Er kennt das Haus bereits seit seiner Jugend. «Ich war mit den Kindern der Hausbesitzer befreundet», sagt der Architekt lächelnd. Als wir auf dem Baugerüst vor dem dritten Stock stehen, erklärt er: «Und hier, auf dem Balkon der ehemaligen ‹Taube›, habe ich damals für meine Maturaprüfungen gelernt.»

Im Dachstock muss noch viel gemacht werden. Schön hell ist's hier jedoch schon.

Im Dachstock muss noch viel gemacht werden. Schön hell ist’s hier jedoch schon.

Nachdem wir auch den vierten Stock, in dem neben einer kleineren Wohnung eine zweistöckige Attika entstehen wird, besichtigt haben, machen wir uns mittels Leiter und Treppe wieder hinab. Zwar ist ein Lift im Bau. Bis jetzt ist davon jedoch erst der Betonschacht zu sehen.

Bis die Wohnungen bezugsbereit sind, der Innenumbau fixfertig ist und in der alten «Taube» wieder gewirtet werden kann, wird wohl noch ein Jahr verstreichen.

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1 Kommentar
  • Profilfoto von mebinger
    mebinger, 12.08.2017, 19:14 Uhr

    Mich interessieren alte Bausünden nicht im Geringsten, Wichtig ist mir einzig, das die Zuger Altstadt nicht verödet und zum Museum wird. Die Bausünden zeigen jedoch, dass der Denkmalsschutz wohl in seinen Entscheidungen von Theorien ausgeht, welche mit der Realität wenig zu tun haben und vielleicht oft etwas geschützt wird, das nicht schützenswert ist und anderes völlig unbeachtet bleibt.

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