Auf Besuch beim Luzerner Roller-Derby-Team

Von wegen Kätzchen: Die Hellveticats lassen’s krachen

Gewappnet für die Gegnerinnen: Die Hellveticats im Spiel gegen «The Girls of the Apokalypse» aus Kaiserslautern.  (Bild: Michi Kägi)

Sie heissen Kitty La Bang, Lara Kraft oder Thunder Tonks: Die Frauen des Luzerner Roller-Derby-Teams «The Hellveticats». Ihre Sportart ist Punk in Rollschuhen – und wird zunehmend populärer. Geschont wird niemand, Action ist garantiert. zentralplus hat ein Spiel besucht.

Wer das erste Mal von Roller Derby hört, denkt vielleicht an den etwas trashig-dystopischen Action-Film Rollerball von 1975, der öfters mal zu später Stunde auf einem Privatsender lief. Mit Motorrädern, Kettensägen und einem blutrünstigen Publikum hat Roller Derby aber nichts zu tun, auch einen Ball braucht es nicht. Einzig die Retro-Rollschuhe und die ovale Bahn, in der die Spielerinnen im Kreis fahren, können damit verglichen werden.

Roller Derby wird mehrheitlich von Frauen gespielt. Dabei geht es hart zur Sache. Von den maximal 14 Spielerinnen pro Team stehen jeweils fünf auf dem Spielfeld, das aus einer ovalen Bahn – Track – besteht, auf der die Spielerinnen im Gegenuhrzeigersinn ihre Kreise drehen. Dabei versucht die «Jammerin» jedes Teams, an den Blockerinnen vorbeizukommen und sie zu überrunden, um so Punkte zu sammeln.

Obwohl Roller Derby als Vollkontakt-Sport nichts für schwache Nerven ist, befinden sich in der AAL-Halle auf der Allmend diesen Samstag viele Kinder. Trotz fast 120 Zuschauern geht es sehr familiär zu, die meisten scheinen sich zu kennen und besuchen das Spiel, weil irgendjemand aus Familie, Freundes- oder Bekanntenkreis mitspielt. Es gibt eine Kinderecke und eine halbe Schulklasse sitzt ebenfalls da, weil ihre Lehrerin auf dem Feld stehen wird.

Sportart wird immer beliebter

«Wir hoffen, dass wir so bald einen eigenen Fanclub zusammenstellen können, der uns mit Trommeln und Schreien pusht», verrät die 31-jährige Miranda Comeaux alias Kitty La Bang. Sie gründete vor fünf Jahren The Hellveticats mit einer Freundin nach einem Aufenthalt in Texas, dem Wiedergeburtsort von Roller Derby (siehe Box unten).

«The Girls of the Apokalypse» aus Kaiserslautern präsentieren sich dem Publikum. (Bild: Michi Kägi)

«The Girls of the Apokalypse» aus Kaiserslautern präsentieren sich dem Publikum. (Bild: Michi Kägi)

Die ersten Runden drehten sie auf Schulhöfen, um sich das Skaten beizubringen, bis ihnen dann die Mehrzweckhalle Allmend Obdach gab. «Am Anfang war das meiste Learning by Doing und Abschauen, was andere auf YouTube so machten», erinnert sich Kitty. Inzwischen gibt es strukturierte Trainings und ein Team mit 15 Spielerinnen. Tendenz steigend.

Militärische Gegnerinnen

Gegen den Gegner erwarten die Luzernerinnen diesen Samstag ein hart umkämpftes Spiel, Favoriten gibt es indes keinen. Das B-Team der Roller Girls of the Apokalypse aus Kaiserslautern besteht hauptsächlich aus Amerikanerinnen aus der Kaiserslautern Military Community, der grössten amerikanischen Militärbasis ausserhalb der Vereinigten Staaten. Sie kommen also quasi aus dem Heimatland des Roller Derbys.

In Europa gibt es zwar eine Liga, dieser gehören die Hellveticats aber nicht an. Ihre Spiele werden einzig auf einer europäischen Rangliste eingetragen, so können sie sich Gegnerteams auf einer ähnlichen Position aussuchen, die Zeit und Lust haben.

Mehr als Sport: Kampfbetontes Auftreten und Spitznamen gehören genauso zum Roller Derby. (Bild: Michi Kägi)

Mehr als Sport: Kampfbetontes Auftreten und Spitznamen gehören genauso zum Roller Derby. (Bild: Michi Kägi)

Obwohl die Spielerinnen mit Netzstrümpfen, Hotpants und Tätowierungen punkig auftreten, ist das Spiel stark strukturiert. Um das kompliziertere Regelwerk umzusetzen – geballte 72 Seiten –, stehen geschätzte zehn Schiedsrichterinnen und auch Schiedsrichter auf und neben dem Feld. Hier sind Männer erlaubt, auch weil die meisten Frauen lieber spielen als pfeifen.

Es gibt aber auch Frauen, die sich gegen das Spielen und für den Schiedsrichterjob entscheiden. Eine davon ist die 29-jährige Raffaela Braun alias LawLa. «Ich mache das seit drei Jahren», erzählt sie. Das Pfeifen sei besonders spannend, weil man über lange Zeit höchst konzentriert sein muss und genauso als Team arbeitet wie die Spielerinnen auf dem Feld.

Ohne Spitznamen geht es nicht

Kaum ist das Spiel angepfiffen, hat LawLa auch schon beide Hände voll zu tun. Eine der Luzernerinnen wird hart angegangen. Ein Pfiff,, Hände von Schiedsrichterinnen gehen in die Luft, dann ein Doppelpfiff – trotzdem geht das Spiel weiter, während eine Gegenspielerin sichtlich unzufrieden und mürrisch auf die Strafbank fährt. «Es ist wichtig, dass man als Ref souverän auftritt, dann gibt es auch kein Gemecker», erklärt LawLa. Nur so kann das Spiel funktionieren, für Diskussionen bleibt keine Zeit.

Szene aus dem Heimspiel der Hellveticats gegen die Kaiserslauterinnen:

 

Es geht alles enorm schnell, sodass Laien am Anfang nicht jede Entscheidung nachvollziehen können. Das sei normal, beruhigt der 33-jährige Vidal Künzler auf der Tribüne. «Wenn man aber mal drin ist, wird es umso spannender, weil man die Spielzüge und Taktiken zu verstehen beginnt.» Auch er kam anfänglich wegen Freunden, schaut sich jetzt aber praktisch jedes Heimspiel an. Gerade weil es irgendwie mehr als nur Sport ist.

Genauso wie das Rumkurven gehören nämlich die verrückten Spitznamen zum Sport dazu, die meist spezielle Charakterzüge, Hobbys oder Merkmale der Skaterinnen beschreiben. Die Gegnerinnen kenne man nur mit ihren Spitznamen, aber auch im eigenen Team wird jede so gerufen. «Die meisten suchen sich den Derbynamen selber aus», verrät Kitty La Bang, deren Namen von ihrer Vorliebe für Katzen kommt und natürlich vom unglaublich harten Check, den sie draufhat.

SRF Virus porträtierte Kitty La Bang vor der Reise an die Weltmeisterschaft 2014:

 

Die Luzernerinnen liegen kurz vor Halbzeitende 30 Punkte zurück. Die Hellveticats kämpfen und das sieht unglaublich spektakulär aus. Ernsthafte Verletzungen seien trotzdem eher selten, meint Kitty. «Wenn man sich gut aufwärmt und vor allem, wenn man weiss, wie man fallen soll, kann man Verletzungen gut vorbeugen.» An blaue Flecken sollte man sich dennoch gewöhnen.

Wen das nicht abschreckt, kann ein Schnuppertraining besuchen. Jede sei willkommen, wirbt Kitty, «ob klein, gross, dick, dünn, tätowiert, Punk, Mutter, Malerin, Single, verheiratet, arbeitslos oder in Ausbildung, das ist vollkommen egal».

Cupcakes, Bier und eine Aufholjagd

Trotz Rückstand zur Halbzeit: Entschieden sei das Spiel noch lange nicht, wird von allen Seiten versichert. Eine gute zweite Halbzeit reiche, um das Resultat zu drehen. Während der Pause wird eine Menge Bier ausgeschenkt und es werden Cupcakes und weitere Süssigkeiten serviert. Im Mittelpunkt der regen Diskussionen auf der Tribüne steht immer wieder das komplizierte Regelwerk, wobei es sich schnell herauskristallisiert, wer schon öfters hier war und wer nicht.

Zu Beginn der zweiten Halbzeit starten die Hellveticats eine spektakuläre Aufholjagd. Die Jammerin der Luzernerinnen holen Punkt für Punkt, während die Blockerinnen die Angriffe der Kaiserslauterinnen meist sehr souverän unterbinden. Die Stadionsprecherin, die jeden Spielzug kommentiert, beginnt nun, das Publikum anzuheizen, und fordert lautstarken Support ein. Die Spannung steigt, der Lautstärkepegel genauso.

Luzerner Blockerinnen machen richtig gute Arbeit: Die gegnerische Jammerin hat keine Chance durchzukommen. (Bild: Michi Kägi)

Luzerner Blockerinnen machen richtig gute Arbeit: Die gegnerische Jammerin hat keine Chance durchzukommen. (Bild: Michi Kägi)

Die vom Support gepushten Luzernerinnen stehen vier Minuten vor Schluss nur noch zwei mickrige Pünktchen hinter den Kaiserslauterinnen. Jede Aktion wird mit Applaus goutiert und so gelingt es im nächsten Jam, den Gegner zu überholen. Die Ersatzspielerinnen auf der Bank blicken gespannt aufs Feld und es scheint klar, was sie denken: «Nur nicht die Nerven verlieren!» Es klappt: Souverän bringen die Hellveticats den knappen Vorsprung von 141 zu 133 über die Zeit.

Die dritte Halbzeit

Den Stolz auf das Resultat sieht man Kitty richtig an, «es ist cool zu sehen, was man mit Wille und Motivation alles erreichen kann.» Nach dem Abpfiff fallen sich die Hellveticats in die Arme, es dauert aber nicht lange, bis auch die Gegnerinnen zu Handshakes und Umarmungen kommen. Trotz einer Stunde vollem Körpereinsatz: Nach Spielschluss scheinen sich alle zu mögen.

Das sei ganz normal, erklärt Kitty. Denn jetzt fängt die dritte Halbzeit an – in der nicht mehr gegeneinander, sondern miteinander gespielt wird.

Von der Show zum Amateursport

Roller Derby hat eine bewegte Geschichte. 1935 in Chicago erfunden wurde der Sport im Laufe der 40er-Jahre immer populärer, sodass er ein breites Fernsehpublikum ansprach und grosse Stadien füllte. Die Attraktivität dieses Spiels lag dabei nicht nur an der hohen Geschwindigkeit, sondern sicherlich auch an den spektakulären und gestellten Showeinlagen – ähnlich wie beim Wrestling.

Mit dem Zerfall in viele kleine Derby-Organisationen verschwand der Sport in den 70ern von der Bildfläche. Erst in den späten 90ern wurde er in erster Linie von Frauen in den Staaten wieder zum Leben erweckt. Nach dem Millennium schafft Roller Derby den Sprung über das grosse Becken nach Europa. Zuerst nach England, dann nach Deutschland und seit 2009 gibt es das erste Schweizer Team.

Seit 2012 gibt es die Hellveticats in Luzern und es gibt sogar eine Schweizer Nationalmannschaft, die auch 2018 wieder an den Weltmeisterschaften teilnimmt. Kitty La Bang war 2014 schon dabei und hat es mit zwei weiteren Hellveticats erneut ins Kader geschafft.

Vom Profi- und Showsport der früheren Zeit ist Roller Derby aber weit entfernt, vielmehr wird es heute relativ ernsthaft, aber im Amateurbereich gespielt. Geblieben sind die Retro-Rollschuhe, die etwas schrillen Dresses und die verrückten Namen, die sich die Spielerinnen geben.

 Mehr Bilder vom Roller-Derby-Heimspiel auf der Allmend sehen Sie in der Bildergalerie:

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