Trinken abseits der ausgetretenen Zuger Bar-Touren

Von Chnelle zu Chnelle: zentralplus versumpft in Zug

Der WhyNot-Wirt Martin.

(Bild: zentralplus)

Im Kanton Zug gibt es keine richtige Beiz mehr? Statt in den Zuger Bars mit Einrichtungskonzept zu bleiben, verliessen wir trinkend die ausgetretenen Pfade, um die echten Chnellen zu sehen. Aber geht das in Zug überhaupt?

Es wird ein grandioses Programm werden: Ein Abend in den Chnellen Zugs. Fünf Destinationen. Trinken im Auftrag des fundierten Journalismus. Niemand soll uns Schreibtischtäter schimpfen können, darum suchen wir in Zug diejenigen Bars und Chnellen, wo sich sonst Party-Füchse und Bar-Häschen eher Gutenacht wünschen.

18:30 Uhr – Baarbürgli, Baar

Hausheer:

Ich habe Jahrelang versucht, Stammkunde zu werden. Gelungen ist es mir dort, wo ich eigentlich keiner werden wollte: bei Starbucks. Der Fehler lag wohl bei mir.

«Beim ersten Mal sind die NZZ-Journalisten böse abgestürzt, das war ein Fest!»

Mike, der Betreiber des Baarbürgli

Im Restaurant Baarburg in Baar stehen drei Tische im Garten in einer Reihe. Nie wäre es mir in den Sinn gekommen, hier auf ein Feierabend-Bier hinzugehen. Dabei verkörpert das «Baarbürgli» alles, was eine Stammbeiz ausmacht: volle Bier- und Kaffee-Schnaps-Gläser vor Gästen, die wirken, als ob sie zu den Bänken gehörten. Dazu ein grosser Grill mit Wurst und hausgemachten Burgern. Ein Tischnachbar erzählt, wie er früher von einem wandernden Zimmermann gelernt hat, Mundharmonika zu spielen. «Chromatische?», frage ich. Er nickt, und wir reden über «Schnorregige», bis Mike, der Wirt, zu uns kommt.

Die beiden Wirte vom Baarbürgli.

Die beiden Wirte vom Baarbürgli.

(Bild: zentralplus)

Mike erzählt von drei NZZ-Journalisten, die ebenfalls mal über Stammtische schreiben wollten und im Baarburg gelandet sind. «Dreimal mussten sie kommen», erzählt er. «Beim ersten Mal sind sie böse abgestürzt, das war ein Fest!» Dann mussten sie natürlich nochmals vorbeikommen, «Notizen und seriöse Fragen lagen da wahrscheinlich nicht mehr drin», vermutet Mike. Also nochmals das Ganze. Was nicht viel besser lief: «Beim dritten Mal gab’s nur noch kurz ein paar Fotos, ein paar Fragen und bloss Wasser zu trinken.» Einen Vorwurf kann man den NZZ-Journis wirklich nicht machen: Beinahe bleiben wir für eine nächste Runde sitzen. Aber die Pflicht ruft. Also los.

Wieser:

Üblicherweise brause ich hier nur mit dem Velo vorbei, während ich etwas beängstigt auf das Aushängeschild starre. Znünihit: 2 Wienerli mit Brot, steht da etwa. Oder: Chalbschopf. Chuttle. Und ich radle schnell weiter.

Doch heute wollen wir’s wissen. Wollen mit den Zuger Chnellen auf Tuchfühlung gehen und beginnen deshalb am offensichtlichsten aller Orte. Wir setzen uns in die Gartenbeiz des Baarbürgli. Wir bestellen, ein kleines Bier (Hausheer ist weise) und einen Möhl-Most. Wir setzen uns etwas abseits hin, denn um uns an den gut besetzten Stammtisch zu gesellen, sind wir etwas zu scheu.

Hausheer befindet sich bereits tief im Gespräch mit einem älteren Herrn, der sich ein Kafi Schnaps und ein Grosses genehmigt. Es geht um hypochondrische «Schnurregiige», vielleicht auch chronomatische, ich weiss es schlichtweg nicht mehr, beides ergibt für mich keinen Sinn. Mein Blick schweift über die Hauswand, «Hamburger mit Pommfritz für nur 15 Stutz», steht da schwarz auf gelb. Essen müsst man ja noch, denke ich. Und vergesse es gleich wieder. Das ist ein wenig dumm.

Im Baarbürgli stehen drei lange Tische im Garten.

Im Baarbürgli stehen drei lange Tische im Garten.

(Bild: zentralplus)

19.30 – Löwen, Baar

Wieser:

Es ist eine Spelunke wie aus dem Bilderbuch. Tiefe Decken, dunkle Wände, verlorene Gestalten in der Ecke. Wir setzen uns in die Gartenbeiz unters Tarnnetz. Fieslinge würden uns hier nie finden. Aber sowieso würde mich hier nie jemand vermuten. Item. Einen suuren Most, bitte, der kommt denn auch gleich. Ich linse neidvoll rüber zum offensichtlichen Garten-Stammtisch, erneut haben wir es verpasst, uns an diesem niederzulassen. Eine eingeschworene Bande ist das. Ob sie jeden Tag hier sind?

Ach, dieser Wunsch nach Zugehörigkeit. Und ich, schon etwas apfelweinselig, erzähle Hausheer von diesem einen Mal, als ich an der Fasnacht in der Schränzegg landete und nach einigen Kafi fertig mit unfehlbarer Sicherheit wusste, dass ich Gäuggel werden wollte. Gemeinsam ums Feuer tanzen, der alten Lehrerin mit der Säublatere eins über den Näggel ziehen, gemeinsam in der Turnhalle Kostüme nähen und stinkende Masken kleistern. Ja, Gäuggel zu sein, muss sagenhaft gut sein, befand ich damals.

Im Innern des Löwen herrscht Leere, weil an schönen Tagen eben Garten Trumpf ist.

Im Innern des Löwen herrscht Leere, weil an schönen Tagen eben Garten Trumpf ist.

(Bild: zentralplus)

Am nächsten morgen war ich dann doch froh, dass man mich mit aller Kraft davon abgehalten hatte, einen voreiligen Knebelvertrag zu unterschreiben. Einziger Beweis dieser kurzen Euphorie blieb ein Goiggel-Tattoo, das ich mir – stolz und voller Überzeugung – an den Bizeps geklebt hatte.  Zurück in die Gartenbeiz, wir haben ausgetrunken. Und gegessen haben wir noch immer nichts. Auf nach Zug!

Die Gartenbeiz des Löwen in Baar.

Die Gartenbeiz des Löwen in Baar.

(Bild: zentralplus)

Hausheer:

Noch bevor ich hinter die Hecke in den Garten des Löwen blicke, höre ich ein seltsames Geständnis durch die Blätter: «Ich bin auch schon eine halbe Südtirolerin!» Hinter der Hecke steht ein Tisch mit einer lustigen Runde, die rundherum sitzt. Platz für uns gibt’s da aber nicht.

Wir sitzen weiter hinten an einen Tisch. Über uns ein Lauben-Dach mit Militär-Tarnung statt Weinreben. Hinter uns die Tischrunde, an der jemand immer wieder zwischendurch «Nordseeküste» anstimmt. Obwohl es im Lied um Friesen geht, erklärte die Frau vom Anfang nochmals, dass sie «auch schon eine halbe Südtirolerin» sei.

Ob das Lied hier eigentlich oft gesungen werde, frage ich, als wir bezahlen. «Naja, was heisst oft?», fragt die Kellnerin zurück. «Ich kenne das Lied jedenfalls auswendig.» Ich nicke mitfühlend und lege etwas Trinkgeld dazu. Wir gehen. Draussen vor der Hecke höre ich zwischen der «Nordseeküste» nochmals die Frau, die mit ihrer Identität hadert: «Ich bin im Fall auch schon eine halbe Südtirolerin.» Wer am Tisch wirklich Südtiroler war und wer Friese, weiss ich bis jetzt nicht.

Es ist 20.30 Uhr, Baar schläft bereits ein wenig, und wir plündern den Selecta-Automaten, mampfen Sandwiches und wenden uns gen Süden.

21.00 Uhr – Bären, Zug

Hausheer:

Alte Zuger erzählen gerne aus der Zeit, als es in Zug noch richtige Beizen gab. Verrauchte Bars, «weisst du, ganz unkompliziert», wo man sich halt so traf und nächtelang sitzen blieb. Ich sorge dann gerne für leuchtende Augen, indem ich so was sage wie: «Jaja, der Bären zum Beispiel …» Klappt immer.

«Je länger ich am Stammtisch sitze, desto hässiger werde ich.»

Hausheer in der dritten Beiz

Aber der Bären aus dieser Zeit, den gibt’s nicht mehr. Was wir antreffen, ist ein schöner Saal mit – endlich – freien Plätzen am Stammtisch. Ausschliesslich freien Plätzen. Trotzdem setzen wir uns zu zweit dorthin.

Stammtische haben etwas Magisches. Es passiert etwas, wenn man mit Bier im Glas und im Kopf über Politika diskutiert. Als ich das dritte Mal andeutungsweise die Faust auf den Tisch haue, halte ich kurz inne. Meine Faust schwebt Zentimeter über dem Tischtuch. Sag mal, Wieser, mache ich das sonst auch?

Der Stammtisch des Bären in Zug.

Der Stammtisch des Bären in Zug.

(Bild: zentralplus)

Wieser:

Ich bin schon ein wenig fröhlich, als wir den Bären betreten, und staune dann etwas, als ich auf den ersten Blick keine Stammgäste finden kann. Denn mittlerweile habe ich Übung, weiss, wie sie aussehen müssten. In der Ecke sitzen drei indisch anmutende Touristen, weiter vorne ist ein Geschäftsessen gerade beim Dessert angelangt, in der Ecke drei Expat-Typen beim Chübel, der Stammtisch jedoch ist leer.

Und wir setzen uns dorthin. Ein Grosses, bitte, ein Burehöfler dazu und die Hoffnung, dass sich mehr Menschen zu uns gesellen mögen. Chnellig ist es hier nicht. Oder nicht mehr. Dafür sind die Vorhänge zu gut geglättet, das Deko-Konzept zu ausgereift und, sind wir ehrlich, die «gschpässigen» Gestalten fehlen. Es kommt, wie es kommen muss, wenn man zwei Journalisten sich selber überlässt. Wir reden über die Schönheit des Schreibens, driften dann aber ab, streifen journalistische Grunddebatten, und irgendwann sagt mein Kollege: «Je länger ich am Stammtisch sitze, desto hässiger werde ich.» Warum, weiss ich nicht mehr.

Vielleicht ist der Stammtisch allein Grund genug. Vielleicht ist es die Tatsache, dass wir uns endlich an den Stammtisch getraut haben, aber niemand dazukommt. Weitere Expats setzen sich in die Ecke, ich finde, sie sehen gar nicht aus wie Roboter. Wir finden das total lustig. Und auf meine weisen Worte hin leeren wir unsere Gläser und ziehen weiter.

23.00 – Gotthärdli, Zug

Wieser:

Der vierte Streich führt uns an den See, in eine Bar, so klein wie eine Puppenstube. In der Ecke kuscheln sich fünf offensichtlich eingefleischte Gäste aneinander und trinken Jägermeister. Dabei wäre das gar nicht nötig. Denn wie wir später erfahren sollten, kann der Bartender gute Dinge mischen. Wir setzen uns an die Bar. Und ich bestelle ein Wasser. Bei einem Bartender, der mir furchtbar bekannt vorkommt. Und ich ihm. Wir glotzen uns an. «Claude!». «Valeria!» Eine Schulhausfreundschaft, die an diesem Abend, 18 Jahre später wieder vereint wird. Und ich fühle mich gut aufgehoben. Weil Robert Miles und Tic Tac Toe die Playliste anführen. Und weil im Fernseher Frauenfussball läuft. Fühlen sich Stammgäste so? Aufgehoben? Lieblich in der Mostwolke schwebend? Mit einem Bartender, der meinen Namen kennt? Das ist ja hervorragend!

Claude macht die besten Koriander-Drinks.

Claude macht die besten Koriander-Drinks.

(Bild: zentralplus)

Claude braut Hausheer einen Korianderdrink. Den ich dann zur Hälfte austrinke. Lionel merkt es nicht, zu tief ist er in seinen eigenen Erzählungen drin. Über den Song «Summer Wine» und Puffärmelunterhosen. Einzige Herausforderung an diesem sonst so lauschigen Ort: Ist man einigermassen angetrunken, ist der Weg zum Klo über die Wendeltreppe, und vor allem jener zurück, kein Zuckerschlecken.

Hausheer:

Eine unglaublich sympathische Bar. Wobei Bars nach ein paar grossen Bieren ja tendenziell leichtes Spiel haben, in den «ewigen Top-Ten» des jeweiligen Abends zu landen. Trotzdem: Ein glitzerndes Flaschen-Gestell hinter der Bar und ein Bekannter von Valeria, der Koriander-Drinks macht, die viel zu schnell leer sind.

Hier darf noch geraucht werden. Die Schwaden hängen gnädig unter der Decke und geben dem Licht diese melancholische Färbung, welche man eigentlich nur aus künstlerischen Schwarz-Weiss-Filmen kennt. Ich analysiere alte MTV-Clips aus meiner Erinnerung und entlocke ihnen überraschende Meta-Botschaften. Für mich klingts logisch.

Noch haben wir eine Station vor uns. Wir sagen: Adieu, Claude. Eins weiter? Warum nicht.

Fussball und Bier: Die Klassiker im Gotthärdli.

Fussball und Bier: Die Klassiker im Gotthärdli.

(Bild: zentralplus)

24.00 – Why Not, Zug

Wieser:

Seit ich das letzte Mal hier gewesen bin – wohl etwa während der Ära Claude – hat sich hier nichts verändert. Zwei Menschen lehnen benommen an der Theke, einer steht dahinter, das Licht ist grell und die Bar klebt. Da hilft auch der Irish Folk aus den Boxen nicht weiter. Warum ist hier nix los? «Donnerstag ist ein komischer Tag», erklärt der Barkeeper nur. «Mal haben wir voll, mal läuft gar nichts.» Und ich realisiere, dass ich noch genau eine Möglichkeit habe, um mit der öV nach Hause zu kommen. Ich verzichte deshalb auf einen Schlummi und lasse Hausheer alleine am klebrigen Tresen.

Etwas später schlendere ich am Baarbürgli vorbei. Die Hartgesottensten sind noch da, sie haben sich mittlerweile an den Stammtisch im Innern des Restaurant gesetzt. Die Gastgeberin, sie blickt gerade zum Fenster hinaus, winkt mir zu. Und ich zurück. Vielleicht probiere ich das bald nochmals mit dem Stammtisch hier.

Der WhyNot-Wirt Martin.

Der WhyNot-Wirt Martin.

(Bild: zentralplus)

Hausheer:

Man möge mir widersprechen, aber ich glaube, dass die meisten Zuger eine komplexe Beziehung zum WhyNot haben. Eine Hassliebe, die man eigentlich nur für den süssen Nachbars-Köter übrig hat, der einem auch gern mal in den Garten macht.

Klar: Schwarze Scheiben und Geschichten über Minderjährige, die hier zu viel Alkohol bekommen haben, machen aus der Bar keine Musterschüler-Absteige. Was man dem WhyNot aber zugutehalten muss: Es ist die Wiege aller guten Geschichten, die Zuger über ihren Ausgang erzählen können. Früher oder später landet man im «Why».

Ich sitze vor meinem letzten Bier und diskutiere mit dem Barkeeper heikle Themen auf angenehm unflätige Weise. Wir reden knallhart aneinander vorbei, das ist uns aber beiden egal und auch angemessen für die Uhrzeit. Als ich ausgetrunken habe, gebe ich ihm die Hand und habe vor wiederzukommen. Vielleicht. Bestimmt. Ich weiss nicht, es ist eben kompliziert. 

Unsere Bar-Tour endet hier. Wir haben Stammtische gesucht und gefunden. Einige, wo man gerne dazugehören würde, und einige, wo man lieber nicht dazusitzen mag. Aber wirklich dazugehören werde ich wahrscheinlich nie, wer jetzt nicht zu einer Stammtisch-Runde gehört, hat’s vermutlich verpasst. Eigentlich ziemlich traurig.

 

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