Luzerner und Zuger Künstlerateliers

«Von allem anderen befreit»

Blick in das Büro des Ateliers in Chicago. (Bild: Nina Steinemann)

Chicago, Paris, Berlin oder New York? Die Zentralschweizer Kantone unterhalten diverse Künstlerateliers, in denen sich Kulturschaffende für ihre Projekte zurückziehen und ihren Horizont erweitern können. Die Ateliers sind ständig ausgebucht und ob Kulturkommissionen oder Künstler: Das Angebot wird durchwegs positiv beurteilt.

Andere Luft schnuppern, sich inspirieren lassen oder in Ruhe an einem nächsten Projekt arbeiten. Die Gründe als Kulturschaffender ein Auslandatelier zu beanspruchen sind vielfältig. Und so setzen sich deren Benutzer auch aus sämtlichen Kultursparten zusammen: Musik, Tanz, Literatur, bildende Kunst, Kulturvermittlung, Grafik, Illustration. Aus all diesen Bereichen haben Personen das Angebot schon in Anspruch genommen. Hinter den Ateliers stehen Kantone, die Städtekonferenz Kultur (SKK) oder Vereine.

«Sie fanden mich lustig. Das war für mich ein grosses Highlight.»

Michael Elsener, Zuger Kabarettist

Raus aus der Komfort-Zone

«Ich habe in extrem kurzer Zeit extrem viel über mich selber gelernt», fasst beispielsweise der Zuger Kabarettist Michael Elsener seinen Aufenthalt im Atelier in New York zusammen. Gegenüber zentral+ unterstreicht er, wie wichtig ein Tapetenwechsel für einen Künstler sein kann: «Mir ist es wichtig, dass ich immer wieder aus meiner Komfort-Zone rausgehe. Nur so entsteht Neues.»

Elsener nutzte seine Zeit in New York auch dafür, um in den dortigen Comedy Clubs aufzutreten. «Das war am Anfang recht hart», erinnert sich Elsener, «aber dank diesen Gigs habe ich einen neuen, viel spontaneren Zugang für meine Auftritte in der Schweiz gefunden». Weiter nutzte er die Zeit am Big Apple dazu, seine Lieblings-TV-Show «Daily Show with Jon Stewart» zu besuchen. Daraus resultierte ein gemeinsamer Comedy-Auftritt: «Sie fanden mich lustig. Das war für mich ein grosses Highlight.» Das Feedback von Elsener über seine Zeit in New York zeigt stellvertretend für andere Künstler auf, wie fruchtbar ein solcher Atelieraufenthalt sein kann.

Viele Anbieter – grosses Angebot

Kulturschaffende, welche sich für einen Auslandaufenthalt interessieren, können sich bei ihrem Heimat- oder Wohnkanton für einen Platz bewerben und treffen auf ein grosses Angebot. So führen die Zentralschweizer Kantone und der Kanton Glarus zwei Ateliers in Berlin, wobei das Amt für Kultur Nidwalden für diese zuständig ist. Zug betreibt in Berlin ein eigenes Atelier. Weiter betreibt die Städtekonferenz Kultur Ateliers in Buenos Aires, Kairo und Genua. Für diese ist die Kulturabteilung des Kantons Bern verantwortlich. In Paris bietet der Berufsverband für bildende Kunst «Visarte» ein Atelier für Personen aus den Zentralschweizer Kantonen an.

Für Kulturschaffende aus dem Kanton Zug bieten sich noch weitere Möglichkeiten. Nebst dem eigenen Atelier in Berlin betreiben die Zuger mit anderen Kantonen (NW, OW, SZ, UR) das Atelier in New York. Zudem haben die Zuger ein neues Projekt lanciert, wie Annamarie Merz vom Amt für Kultur gegenüber von zentral+ bestätigt: «Neu bieten wir auch das Atelier Flex an. Dabei handelt es sich um ein Reisestipendium. Die Kunstschaffenden können selber bestimmen, wann und wohin sie gehen.» Bei allen gemeinsam betriebenen Ateliers herrscht das Rotationsprinzip. So kann jeder Kanton der Reihe nach eine Person für einen bestimmten Zeitraum in ein Atelier entsenden. Ausgewählt werden die Personen von Gremien, die sich von Kanton zu Kanton aus unterschiedlichen Kulturschaffenden oder Kulturverantwortlichen zusammensetzen.

Das Atelier in Chicago

Seit 2001 bietet der Verein «Städtepartnerschaft Luzern-Chicago» ein Atelier in der amerikanischen Metropole an. Pro Jahr können dort drei Künstler für je vier Monate einziehen. Finanziert werden die jährlichen Kosten von 60’000 Franken zu je einem Drittel vom Verein, dem Kanton und der Stadt Luzern. Für die Präsidentin Susy Gübelin sind die Atelieraufenthalte eine sinnvolle und fördernde Sache: «Oft verkehren die Künstler nur in der Schweiz oder Europa über einen längeren Zeitraum. Das Atelier in Chicago gibt ihnen die Möglichkeit, einmal andere Luft zu atmen. Das kann sehr inspirierend sein.»

«Zuhause wäre ja dann noch dies und das.»

Fredy Studer, Luzerner Schlagzeuger

Diese andere Luft geatmet hat unter anderen der Luzerner Schlagzeuger Fredy Studer. Er hatte das Angebot 2002 für einen Aufenthalt genutzt. «In erster Linie ist so ein Atelieraufenthalt eine grandiose Sache, egal wo das Atelier steht», erklärt Studer und bringt für ihn den entscheidenden Vorteil zur Sprache: «Man ist von allem anderen befreit. Zuhause wäre ja dann noch dies und das. Dort hat man dann mal richtig Zeit, sich auf seine eigenen Sachen zu konzentrieren.» Studer nutzte die Zeit in Chicago, um sich künstlerisch weiterzuentwickeln: «Ich war viel im Atelier und hatte da ein lautloses Schlagzeug zum Üben. Die ersten zwei Monate hatte ich nur im Atelier gespielt und ging am Abend an Konzerte. Später trat ich dann auch selber auf.»

Ebenfalls das Atelier in Chicago in Anspruch genommen hat die Luzerner Tänzerin Irina Lorez. Sie war im Jahr 2007 die erste Tänzerin, welche den Weg in die amerikanische Grossstadt auf sich genommen hat. «Für mich war speziell, wie alles grösser und breiter war. Von der Milchflasche, den Strassen, bis zu den Menschen, alles nimmt mehr Raum ein», erinnert sich Lorez. «Das habe ich dann auch in meinen Tanz übernommen: Mehr Raum». Wie Fredy Studer betont auch sie, wie wichtig es sei, aus seinem gewohnten Umfeld ausbrechen zu können: «Die Zeit im Atelier bedeutete für mich eine Veränderung, einen Austausch. Ich konnte aus meinem gewohnten Umfeld hinaus und Neues entdecken.» Lorez betont den Druck und die hohen Erwartungen, welchen sie als Künstlerin ausgesetzt sei. «In Chicago konnte ich mir eine Pause gönnen und in einer Pause kommen oft neue Ideen.»

Beteiligung an Unterhaltskosten

Allen Konzepten gleich ist, dass sich die Atelier-Anbieter an den Lebensunterhalts- und Reisekosten der Künstler beteiligen. Laut Stefan Zollinger, Vorsteher des Amtes für Kultur im Kanton Nidwalden, ist diese Beteiligung für viele Kulturschaffende wichtig, um den Auslandaufenthalt überhaupt wahrnehmen zu können: «Im Atelier in Berlin bekommen die Künstler pro Monat 1500 Franken für den Lebensunterhalt, aber keine Reisespesen. Das tönt nach viel, aber wenn man zu Hause die Wohnungsmiete weiterzahlen muss oder Familie hat, ist es nicht all zu viel.» Ebenfalls 1500 Franken bezahlt der Kanton Zug pro Monat bei einem Aufenthalt in Berlin, in New York sind es 2000 Franken pro Monat und rund 1000 Franken für Reise- und Visumskosten. Beim Atelierplatz in Chicago werden die Lebensunterhalts- und Reisekosten mit einer Pauschale von 8300 Franken unterstützt. Bei den von der Städtekonferenz Kultur (SKK) betriebenen Ateliers erhalten die Künstler in den Ateliers in Genua und Kairo monatlich 1500 Franken. In Buenos Aires werden aufgrund der höheren Reisekosten 1800 Franken pro Monat ausbezahlt.

«Der Künstler ging nach Chicago, danach haben wir nie mehr etwas von ihm gehört. Das tat weh.»

Susy Gübelin, Präsidentin Verein Städtepartnerschaft Luzern-Chicago

Allen Ateliers gemeinsam ist die Gegenleistung, welche vom Künstler nach der Beendigung seines Auslandaufenthaltes verlangt wird. Dabei handelt es sich um einen Schlussbericht, der die gemachten Erfahrungen festhält. Gelegentlich fordern Städte mehr als nur den Schlussbericht, so auch der Verein «Städtepartnerschaft Luzern-Chicago», welcher einmal pro Jahr in einer Werkschau zeigt, was die Künstler in den Ateliers geleistet haben. Dabei bestätigen alle verantwortlichen Stellen, dass der Rücklauf der Schlussberichte sehr gut sei und auch sonst werde das Angebot nicht missbraucht, sondern genutzt. Bei allen in diesem Artikel erwähnten Ateliers wurden lediglich einmal die vertraglichen Bestimmungen nicht eingehalten. Dabei handelte sich um einen Künstler im Atelier in Chicago, wie sich Susy Gübelin erinnert: «Der Künstler ging nach Chicago, danach haben wir nie mehr etwas von ihm gehört. Das hat weh getan, war aber eine einmalige Ausnahme. Mit allen anderen haben wir sehr positive Erfahrungen gemacht. Das motiviert.»

Professionelles Arbeitsumfeld schaffen

Laut Eszter Gyarmathy, Delegierte Kultur der Stadt Biel und momentan Verantwortliche für die Ateliers der Städtekonferenz Kultur, gehe es bei den Angeboten darum, «in den Ateliers ein professionelles Arbeitsumfeld zu schaffen». Dieses werde von den Künstlern nicht nur rege genutzt, sondern auch sehr geschätzt: «Die Rückmeldungen der Künstler sind generell extrem positiv. Die Künstler haben den Willen, sich in ein neues Umfeld zu begeben. Es ist für sie förderlich, nicht ständig erreichbar und losgelöst von ihren Alltagsverpflichtungen zu sein.» Und nicht selten führe ein Aufenthalt in einem Atelier dazu, dass ein Kunstschaffender seine Grenzen erweitert, wie Gyarmathy weiss: «Die meisten Künstler wachsen während dem Aufenthalt über sich hinaus.»

«Die meisten Künstler wachsen während des Aufenthalts über sich hinaus.»

Eszter Gyarmathy, Delegierte Kultur Stadt Biel

Die Recherchen von zentral+ zeigen auf, dass die Auslandateliers sowohl bei den Betreibern wie auch bei den Nutzern beinahe ausnahmslos gute Erfahrungen ausweisen. Diese positive Grundstimmung scheint sich auch auf die Politik zu übertragen, denn bei allen angefragten Stellen wurde bestätigt, dass die Finanzierung der Ateliers nie politisch zur Debatte stand, trotz den Sparmassnahmen, welche mittlerweile bei jeder grösseren Stadt vorzufinden sind. Einen möglichen Grund dafür nennt Stefan Zollinger, Vorsteher des Amtes für Kultur im Kanton Nidwalden: «Politisch stand dieses Projekt im Kanton Nidwalden noch nie zur Diskussion. Da diese Mittel aus dem Lotteriefonds genommen werden können, sind sie weniger unter Spardruck.»

Deine Ideefür das Community-Voting

Die Redaktion sichtet die Ideen regelmässig und erstellt daraus monatliche Votings. Mehr zu unseren Regeln, wenn du dich an unseren Redaktionstisch setzt.

Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


0 Kommentare
    Apple Store IconGoogle Play Store Icon