Anachronismen trotzen Crypto Valley und Wirtschaftsboom

Vom Münzfernrohr oder wo die Stadt Zug der Zeit hinterherrennt

Das Münzfernrohr am Landsgemeindeplatz in Zug (Bild: mam)

Zug sieht sich gern als kosmopolitische Kleinstadt, die andern überall ein bisschen voraus ist. Doch zentralplus hat fünf Sachen entdeckt, die wie aus der Zeit gefallen scheinen – und gelegentlich geändert werden sollten.

Ein Handy, um ein Foto zu machen, hat heutzutage jeder dabei. Aber kaum ein Fernrohr, um sich die Alpen vom Zuger Seeufer aus von nahem anzusehen. Macht nichts: Bei der Volière am Landsgemeindeplatz steht ein fest installiertes. Nur muss man die passenden Münzen haben, um es in Betrieb zu nehmen.

Stefan Huber, Lehrer und grünliberaler Politiker ist kürzlich daran gescheitert. Als er seine Klasse  zur Schulreise nach Zug führte und die Kinder sich voller Vorfreude aufs Fernrohr stürzten. Hindurchsehen konnten sie nicht. Niemand hatte ein Einfrankenstück dabei. Ein solches ist nötig, um das Fernrohr in Betrieb zu nehmen. Das sagt ein Schild auf der Einrichtung.

Bargeldlos ist gefragt

Huber nimmt das Erlebnis zum Anlass, um als Parlamentarier eine Kleine Anfrage beim Zuger Stadtrat zu deponieren. Über wie viel solche Münzfernrohre die Stadt Zug verfüge. Ob es kostendeckend sei, die Kässeli mit Münzen regelmässig leeren zu lassen. Und ob man sich nicht vorstellen könne, das Hindurchgucken kostenfrei zu machen?

Münzfernrohre sind ein Relikt der touristischen Nachkriegsära, die in vielen Städten längst verschwunden sind. So wie Münztelefone. Sie wirken aus der Zeit gefallen – nicht nur in Zug, wo man stolz aufs Crypto Valley und seine Softwarefirmen ist. Wo man einem selbstfahrenden Bus begegnet. Wo man in der schweizweit grössten Zwischennutzung namens Freiruum mit Bargeld überhaupt nichts anfangen und nur mit Karten oder Apps bezahlen kann.

Automat verlangt nach Bärenkräften

Solche Anachronismen gibt es noch mehr: Abgesehen vom Münzfernrohr, das beim Besuch von zentralplus nun auch ohne Einwurf von Geld funktionierte, stehen am See in der Stadt Zug verschiedene Einrichtungen des Ornithologischen Vereins. Zwei Vogelvolièren am Landsgemeindeplatz und ein Hirschpark am Alpenquai.

Zum Unterhalt dieser Tiere kann die Öffentlichkeit beitragen: An der Volière steht ein Münzspender, am Hirschpark kann man an einem Automaten für zwei Franken eine Dose Hirschfutter erwerben. Die Vorrichtung klemmt allerdings und hinterlässt immer wieder frustrierte Mütter und Kinder, die nicht daran denken, die Schubladen mit roher Gewalt aufzustemmen.

Tierfutterautomat am Alpenquai in Zug. (Bild: mam)

Öffentliches WC für Trinker

Bemerkenswert ist der Abtritt an der Ägeristrasse nahe dem ehemaligen Kapuzinerkloster. Er wird von vielen für ein vergammeltes Geheim-WC gehalten, ist aber in Tat und Wahrheit ein Pissoir aus uralten Zeiten. Gedacht für (die in der Entstehungszeit des WC ausschliesslich männlichen) Spätheimkehrer aus den Wirtschaften der Altstadt, die sich auf ihrem Heimweg in die Löberen dringend erleichtern mussten.

Das Dagobert-Keiser-Gedenk-WC an der Ägeristerasse. (Bild: mam)

Der Abtritt ist nicht gendergerecht. Er riecht auch stark. Doch zugegeben: Er hat Charakter. Dem Vernehmen nach soll er vom bekannten Architekten-Duo Keiser & Bracher erbaut worden sein, dem Zug verschiedene repräsentative Bauten verdankt. Vielleicht sollte man ihn unter Denkmalschutz stellen.

Die Sache mit dem Netz

Ebenso anachronistisch ist, dass es in Zug immer noch kein öffentliches WLAN gibt. Die Schweiz tut sich traditionell schwer damit, doch mindestens eine Bezahlversion eines privaten Anbieters gibt es sowohl in Zürich wie auch in Luzern.

Die Zugerland Verkehrbetriebe führten übrigens 2012 Pilotversuche mit Internet in Bussen durch, fielen danach aber ins analoge Zeitalter zurück, in dem sie bis heute verharren.

WWZ nicht konkurrenzieren

Der letzte Anlauf, ein öffentliches WLAN im Crypto Valley zu schaffen, datiert aus dem Jahre 2009. Die FDP der Stadt Zug regte in einem Postulat an, ein solches einzurichten.

Der Stadtrat indes befand, Zug könne sich die knappe halbe Million Franken für die Einrichtung und die jährlich gut 100’000 Franken für den Betrieb nicht leisten, das sei zu teuer. Ausserdem würde man so in die freie Marktwirtschaft eingreifen.

Der lokale Marktführer in Sachen Internet ist die WWZ AG. Mit ihr arbeitet die Stadt Zug auch bei der Strom- und Waserversorgung zusammen und hält am privaten Unternehmen auch eine Beteiligung. Das mag erklären, warum sich eine Mehrheit der Stadtparlamentarier von der Stadtregierung überzeugen liess, gegen ein öffentliches WLAN zu sein.

Die Chance mit den Viaduktbögen

Lenken wir zum Schluss nun den Blick auf eine innerstädtische Brache. Bauland ist zwar teuer in der Boomstadt Zug, aber ungenutzte Ecken gibt es dennoch einige. In der Regel warten sie auf eine zukünftige Bebauung durch die öffentliche Hand oder einen Grossinvestor.

Im Fall der Viaduktbögen auf dem SBB-Bahndamm durch die Stadt ist das anders. Sie bleiben. Und sie bleiben schlecht genutzt oder ungenutzt.

Ein paar Sinnsprüche hat die Stadt mittlerweile im Rahmen eines Kunstprojekts an einigen zugemauerten Bögen aufpinseln lassen. Auch ein öffentliches WC wurde bei der Kreuzung Bundesplatz-Baarerstrasse eingerichtet. Aber eine Nutzung wie in Zürich bleibt ausser Sichtweite.

Dort ist am Lettenviadukt im Kreis 5 auf 500 Metern eine bunte Nutzung aus Bars, Restaurants und Läden entstanden. «Im Viadukt» heisst der Ort und bezeichnet sich als «die spannendste Einkaufsstrasse Zürichs».

Eine solche Nutzung hatten Christoph Iten, Corinna Kremmel und weitere CVP-Stadtparlamentarier auch für Zug kürzlich vorgeschlagen. Wo doch die SBB derzeit die ganze Strecke am Zugersee-Ostufer reparieren und ausbauen.

SBB sperren sich

Aber die Bundesbahnen wollen nicht – aus baulichen Gründen, weil die Bögen kleiner sind als jene in Zürich und weil Dienstbarkeiten und Mietverträge bestehen, welche die SBB nicht aufkünden mögen (zentralplus berichtete).

So bleibt nur das Warten auf die Zukunft. Die Stadt Zug will langristig an einer Aufwertung der Bögen unter dem Bahndamm festhalten. Und zumindest für zwei Bögen in der Nähe des Bundesplatzes ist mittelfristig eine Belebung im Sinne der Öffentlichkeit nicht ausgeschlossen.

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