«Doku Zug»: Hier geht nichts vergessen

Vom linken Archiv zur Zuger Institution

Daniel Brunner vor dem von ihm gegründeten Dokumentationszentrum doku-zug.ch an der St. Oswalds-Gasse 16 in Zug.

(Bild: mbe.)

Das Dokumentationszentrum «Doku Zug» ist in seiner Art einmalig. Seit zwanzig Jahren bildet es die politische, wirtschaftliche und soziale Geschichte Zugs und der Schweiz ab. Finanziert wird das Zentrum durch Daniel Brunner. Doch dem Mäzen geht langsam das Geld aus. Er weibelt momentan für eine breitere Trägerschaft.

Im Dezember ist Daniel Brunner, Übername «der rote Dani», vom Zuger Stadtrat geehrt worden. Und zwar für seine Verdienste beim Aufbau des Dokumentationszentrums «Doku Zug». An der traditionellen «Lebkuchenfeier» ehrt die Stadtregierung Personen und Organisationen, die sich für die städtische Bevölkerung verdient gemacht haben (wir berichteten).

zentral+ hat die Gelegenheit beim Schopf gepackt, mit Brunner über «sein» Zentrum zu sprechen, dessen Hintergrund, die Nutzung und vor allem die Zukunft. Denn in Zug wird seit einiger Zeit gemunkelt, dass da etwas im Busch ist. In den Räumen von «Doku Zug» wurden in letzter Zeit einige prominente Zuger gesichtet, die sich umschauten und informierten. «Im Lauf des Jahres 2016 soll die Zukunft des Zentrums gesichert werden», bestätigt Daniel Brunner, «wir brauchen mehr Unterstützung.»

Der Betrieb kostet rund eine Million Franken im Jahr, für die er bisher immer alleine aufkam. Es ist zwar ein «öffentliches» Dokumentationszentrum, doch das Wort «öffentlich» meint nur, dass das Zentrum allen offen steht. «Wir werden jedoch nicht von der öffentlichen Hand unterstützt, wie manche annehmen», betont Brunner (siehe kleiner Kasten).

«Wir werden nicht von der öffentlichen Hand unterstützt.»
Daniel Brunner, Gründer und Mäzen von «Doku Zug»

In der Mitte Zugs angekommen

Brunners Ehrung ist eine späte Würdigung für einen, dessen Verhältnis zum offiziellen Zug nicht immer einfach war (siehe Kasten ganz unten). Das kommt in der Laudatio des Zuger Stadtpräsidenten Dolfi Müller zum Ausdruck: «Es gab eine Zeit, wo der Name Daniel Brunner für die braven Bürgerinnen und Bürger ein Reizwort war.» Im Bunde mit Jo Lang war Brunner in den 80er-Jahren der Sprung ins Stadtparlament gelungen. «Eine kleine Revolution im damals noch beschaulichen, aber bereits zu neuen Ufern aufbrechenden Zug», so Müller, «Zug wurde regiert von einer satten bürgerlichen Mehrheit – im Hinterzimmer des Hotels Ochsen, während Marc Rich schon sein globales Business betrieb.»

[box]Die Ehrung hat den mittlerweile 58-jährigen Brunner gefreut, auch wenn er keine Freudensprünge macht. Die Gaben sind ja eher symbolischer Natur. Die Geehrten erhalten einen Lebkuchen des Klosters Frauenthal, und sie werden zu einem feierlichen Mittagessen mit dem Stadtrat eingeladen. «Mit Wein», betont Brunner verschmitzt.

Über 2,5 Millionen Artikel

Wer es noch nicht kennt: Das Zentrum «Doku Zug» an der St. Oswaldsgasse 16 schräg gegenüber der Zuger Bibliothek umfasst über 2,5 Millionen fotokopierte Medienartikel, die in 4600 Themendossiers abgelegt sind. Themen sind unter anderem Politik, Wirtschaft, Umwelt und Bauen. Aber auch das Gesundheits- und Sozialwesen, die Bildung – und Informationen über rund 200 Länder dieser Welt.

Dazu kommt eine Freihand-Bibliothek mit Sachbüchern, welche die Dossiers ergänzen und erweitern. 3800 Broschüren und 557 Zeitschriftentitel sind ebenfalls archiviert. Rund ein Fünftel all dieser Informationen und Publikationen beziehen sich auf die Stadt und den Kanton Zug. Eine Fundgrube für Forscher, Studierende und Schüler und für alle am Zeitgeschehen interessierten Bürger.

Der Empfang von «Doku Zug»: Links die Geschäftsführerin Sybilla Schmid Bollinger, hinter dem Schalter Barbara Fehlmann, rechts Daniel Brunner.
Der Empfang von «Doku Zug»: Links die Geschäftsführerin Sybilla Schmid Bollinger, hinter dem Schalter Barbara Fehlmann, rechts Daniel Brunner.

(Bild: mbe.)

Zuerst ein linkes Privatarchiv

Blenden wir zurück in die Geschichte des Zentrums. Angefangen hatte alles Anfang der 1980er-Jahre. Daniel Brunner begann privat eine Dokumentation aufzubauen zu Themen, die ihn interessierten. Er wollte sein Archiv aber nicht nur für seine eigene politische Arbeit nutzen, sondern auch anderen links-grünen Politikern und Politikerinnen zur Verfügung zu stellen. «Mein Gedanke war, dass es vielen guttäte, sich zu dokumentieren und sich nicht nur tagesaktuell leiten zu lassen», sagt Brunner. Als linke Minderheit könne man nur unbequem sein und die Kräfteverhältnisse ändern, wenn man mehr wisse als die anderen.

Schwerpunkte des Archivs waren am Anfang die Stadtentwicklung und das Bauwesen, die Brunner besonders interessierten und für die er sich stark engagierte. «Ich wurde relativ bekannt, als ich 1982 und 1983 für die kantonale Wohnschutzinitiative und das städtische Referendum gegen die Metalli-Überbauung die Kampagnen organisierte.» Beide Anliegen waren chancenlos und wurden abgelehnt, sorgten aber im Vorfeld für viel Aufruhr und Diskussionen in Zug.

Als umweltfreundlich bauen noch ein Fremdwort war

Doch der Landis&Gyr-Erbe setzte sich auch abseits des Rampenlichts für preisgünstigen Wohnbau im Raum Zug ein. Zusammen mit sieben Verwandten realisierte er in Hünenberg die Siedlung Schauberg, welche gleichzeitig preisgünstige und umweltfreundliche Wohnungen verwirklichen wollte.
1989 schenkte Brunner der Gemeinde Hünenberg ausserdem 800’000 Franken aus seinem Vermögen, damit die Gemeinde Land für den Bau von Alterswohnungen kaufen konnte.

Ein radikaler Reformist

Von 1986 bis 1998 politisierte Brunner im Zuger Stadtparlament. 1991 wurde Hanspeter Uster in den Regierungsrat gewählt. «Ich wäre zu dieser Zeit gerne Kantonsrat geworden», sagt Brunner, doch das klappte dann nicht. Nicht alle seine Ideen waren parteikonform. Zum Beispiel seine Begeisterung für den Biolandbau. «Ich wollte immer etwas verbessern und nicht einfach die Katastrophe abwarten, nach der die Revolution folgen sollte.» Er habe sich deshalb immer einen «radikalen Reformisten» genannt, sagt Daniel Brunner.

Zurück zu den Ursprüngen des Dokumentationszentrums: Ab 1995 machte es Brunner öffentlich zugänglich und nannte es «Doku Zug». Es sollte eine Ergänzung und eine Alternative zum offiziellen Informationsangebot sein. «Die Stadt- und Kantonsbibliothek Zug hatte damals für Studierende vor allem Fachliteratur über Jus und Wirtschaft», erinnert sich Brunner. «Zu den Sozialwissenschaften gab es praktisch nichts.» Für alle, die nicht Anwälte oder Unternehmer werden wollten, gab es also wenig Literatur.

Zeitungsartikel statt Akten und Protokolle

Zudem sei es ihm ein Bedürfnis gewesen, dass Schüler und Studenten, die sich für ihre Region interessierten, ihre Informationsbedürfnisse befriedigen konnten. Und zwar auf moderne Art und Weise – ohne trockene Protokolle und Akten in einem Archiv wälzen zu müssen. «Wir sammeln bei doku-zug.ch quasi Schlagzeilen», erklärt Brunner zum Konzept. In den Themendossiers finden sich relevante Zeitungsartikel zu Firmen und Institutionen aus Zug und der ganzen Schweiz.

Wer zum Beispiel wissen will, was in den letzten Monaten über den Bauriesen Sika aus Baar geschrieben wurde, wird fündig. Aber auch die relativ junge SVP Zug hat ein Dossier. Doch auch die Geschichte von Vereinen, Institutionen, die Fasnacht und Zuger Bräuche ist dokumentiert. Brunner ist Ethnologe und hat auch Wirtschaftsgeschichte studiert.

«Doku Zug»-Geschäftsführerin Sybilla Schmid Bollinger im Archivraum, wo die Dossiers abgelegt sind, rechts Praktikant Luzian Franzini. Der junge Zuger wurde kürzlich zum Co-Präsidenten der Jungen Grünen Schweiz gewählt.
«Doku Zug»-Geschäftsführerin Sybilla Schmid Bollinger im Archivraum, wo die Dossiers abgelegt sind, rechts Praktikant Luzian Franzini. Der junge Zuger wurde kürzlich zum Co-Präsidenten der Jungen Grünen Schweiz gewählt. (Bild: mbe.)

Nicht digital erfasst

Ein grosser Nachteil des Ganzen: Die Informationen sind auf Papier. Man muss sie vor Ort anschauen, kann sie fotokopieren oder fotografieren. «Vor einigen Jahren haben wir begonnen, den elektronischen Dossierkatalog im Internet zugänglich zu machen», erklärt Brunner. Die Bücher und Broschüren sind über die Webseite und andere Bibliotheken zugänglich. Nur mit der Zuger Bibliothek ist man (noch) nicht verbunden.

«Aus Kostengründen mussten wir bisher auf die Digitalisierung verzichten.»
Daniel Brunner

Die Digitalisierung der über 2,5 Millionen Dokumente ist ein anderes Thema. Brunner: «Aus Kostengründen mussten wir bisher darauf verzichten. Es sei denn, wir fänden einen Sponsor, der uns das bezahlt.»

Rund 2000 Benutzer im Jahr

Zu den Benutzerzahlen sagt Daniel Brunner, das Zentrum habe 2015 zum zweiten Mal 2000 Nutzer im Jahr verzeichnet. Es sind nun vor allem Kantischüler und Studierende, auch Lehrkräfte, und Dozenten der Hochschule Luzern, die das Angebot nutzen. 2015 erhielt ein ganzer Jahrgang, acht Klassen der Kantonsschule Zug, im Dokumentationszentrum eine Einführung ins Recherchieren.

In den letzten Jahren habe man begonnen, mehr Öffentlichkeitsarbeit zu machen, damit das Angebot bekannter wird, erklärt der Gründer. Mit der Ausstellung und dem Buch «Seesichten» sei das Dokumentationszentrum ausserdem in der Mitte der Gesellschaft angelangt.

Das Zentrum wurde seit den Anfängen stark vergrössert. Damals bestand es aus einem Raum im Erdgeschoss. Heute erstreckt sich das Dokumentationszentrum über zwei Stockwerke und benutzt Räume in drei zusammengebauten Altstadt-Häusern. Der Gründer besitzt 43 Prozent des Gebäudes im Stockwerkeigentum – der Standort ist also gesichert.

 

 Wer ist Daniel Brunner?

Daniel Brunner (58), Übername «der rote Dani», galt lange als Bürgerschreck in Zug. Er politisierte 1986 bis 1998 für die Sozialistisch-Grüne Alternative (SAG) im Zuger Stadtparlament. Das taten andere wie Jo Lang auch. Doch Brunner stellte sich damit quer zu seiner Herkunft. Denn Brunner ist ein Landis&Gyr-Erbe. Ein Multimillionär mit langer Haarmähne, der in einer WG wohnt und links-grün politisiert, das war damals eine Provokation. Auch in der eigenen Familie: Vater Andreas Brunner-Gyr war ein einflussreicher Mann in Zug und FDP-Nationalrat. Der Industrielle hatte nicht nur Freude an seinem jüngeren Sohn. «Heute sagen manche, ich hätte Ähnlichkeiten mit ihm, eine gewisse Hartnäckigkeit», sagt Daniel Brunner. Er ist das zweitjüngste von fünf Kindern, er hat drei Schwestern und einen älteren Bruder

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Daniel Brunner hat neben «Doku Zug» als Mäzen weitere Projekte in Zug unterstützt. Er war zeitweise Hauptaktionär der «Zuger Presse», die als Alternative zum Medienmonopol der «Neuen Luzerner Zeitung» gegründet wurde. Das Experiment misslang jedoch.
Brunner engagierte sich auch sozial. Er gründete 1992 nach Entlassungen bei Landis & Gyr und weiteren Unternehmen, zusammen mit Sybilla Schmid Bolliger und Marianne Stutz, den Zuger Arbeitslosen-Treff (Zalt), heute Verein Pro Arbeit. Dani Brunner förderte ebenfalls den umweltfreundlichen Wohnungsbau, den biologischen Landbau und sponserte mit der «Zuger Presse» den Fussballverein Zug 94.Zu seinem heutigen braveren Look meint Brunner, sein Markenzeichen, die langen Haare, habe er zwar nicht mehr. «Doch ich hatte auch in 80er-Jahren manchmal die Haare kurz geschnitten. Auf dem Wahlplakat von 1986 hatte ich einen Bürstenschnitt und lächelte nicht. Ich weigerte mich damals, fürs Foto zu lächeln.» Zum Persönlichen: Daniel Brunner ist ledig und kinderlos. Er lebt mit seiner drei Jahre jüngeren Partnerin in einem gemieteten Einfamilienhaus mit grossem Garten und Seeblick an der Artherstrasse 32 in Zug.

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