Was macht eigentlich ... André Bucher?

Vom Feind zum Freund: ein Ex-Läufer und die Zeit

«Ich rannte mein Leben lang irgendwelchen Hundertstelsekunden hinterher», sagt der ehemalige 800m-Läufer André Bucher. Heute fordern ihn Beruf und Familie heraus.

(Bild: Fabian Duss)

Wenn die Sportler in Rio de Janeiro nach olympischem Edelmetall eifern, schaut ein Luzerner Uhrenhändler ganz genau hin. André Bucher rannte ein Jahrzehnt lang an der Weltspitze gegen die Zeit. Jetzt hat er sich mit ihr versöhnt – und verdient Geld mit ihr.

Ein Pöstler stürmt ins Uhrengeschäft am Luzerner Kauffmannweg. In der Hand ein Paket, auf der Stirn Schweissperlen. Er blickt auf, runzelt die Stirn, tritt einen Schritt zurück – und grinst: «Ach, jetzt weiss ich endlich, woher ich Sie kenne! Sie werden die Olympischen Spiele wohl besonders genau verfolgen, oder?»

Das will auch zentralplus von André Bucher wissen. Seit Anfang Jahr verkauft der ehemalige 800m-Läufer im Hirschmattquartier Uhren. «Klar verfolge ich die Spiele», sagt er. Und zwar querbeet. Dass am selben Ort zur selben Zeit so viele verschiedene Sportwettkämpfe ausgetragen werden, fasziniert ihn. Da kann es schon mal vorkommen, dass sich der 39-Jährige das Tontaubenschiessen anguckt. Tat Bucher bei Olympia selber mit, trug er Scheuklappen: Der Fokus galt dem Training und seinen Einsätzen.

Knapp an der Medaille vorbei

Atlanta, Sydney, Athen. Drei Mal rannte der hochgewachsene Athlet aus Beromünster um olympisches Edelmetall. 2000, im Final von Sydney, verpasste er seine beste Chance auf eine Medaille. 200 Meter vor dem Ziel führte er das Rennen an. Dann stockte der Sportschweiz der Atem: Ein italienischer Konkurrent warf ihn per Ellbogen buchstäblich aus der Bahn – und aus dem Rhythmus. Bucher bog zwar noch als Zweiter auf die Zielgerade ein, wurde letztlich aber überspurtet und verpasste das Podest.

Doch Bucher weint der verpassten Olympiamedaille keine Träne nach. Im Gegenteil: Die Olympischen Spiele in Sydney bezeichnet er als seine schönsten. Erinnerungen an ein sportverrücktes Land, australische Freunde, die Herzlichkeit der Einheimischen und gigantische Zuschauermassen im Leichtathletikstadion überstrahlen das enttäuschende Resultat.

Im Video können Sie den Olympialauf zwischen Minute 6:33 und 8:18 nochmals mitverfolgen:

 

Bucher erholte sich gut von der Niederlage. Der verpatzte Olympiafinal motivierte ihn, noch härter zu arbeiten. 2001 folgte Buchers bestes Jahr mit WM-Gold als Krönung. «Sydney gab mir den entscheidenden Schub für den letzten Schritt an die Weltspitze», resümiert der ehemalige Mittelstreckenläufer. 2001 habe ihn sportlich für 2000 mehr als entschädigt.

«Ob ich in Sydney Fünfter wurde oder eine Medaille geholt hätte, hat auf mein heutiges Leben kaum einen Einfluss», sagt André Bucher. 2007 trat er aus gesundheitlichen Gründen vom Spitzensport zurück und schloss sein Wirtschaftsstudium ab. Bald betreute er das Sport-Sponsoring der Migros, danach für das Zürcher Sportamt den Nachwuchsleistungssport. Jetzt handelt Bucher mit Uhren.

Hier die grössten Erfolge Buchers im Video:

 

Ohne Wagnis kein Gewinn

«Ich rannte mein Leben lang irgendwelchen Hundertstelsekunden hinterher, trug stets eine Stoppuhr und hatte eine Affinität zu Uhren», sagt Bucher. Sie faszinieren ihn, weil sie etwas Unsichtbares messen. Während die Lebensuhr tickte, reifte sein Entscheid, sich beruflich selbstständig zu machen. Das Leben sei zu kurz, um Gelegenheiten verstreichen und Wünsche unerfüllt zu lassen, findet er. In einem Rennen zuhinterst mitzulaufen, keinen Angriff zu lancieren und dann Letzter zu werden, war nie Buchers Art. Seine Taktik ging zwar nicht immer auf, doch musste er sich hinterher nicht vorwerfen, es nicht versucht zu haben.

Mit seinem Jugendfreund Dominik Meier gründete er Ende 2013 die Firma «Allaleen». Zusammen bauten sie einen Onlineladen für Uhren und Schmuck auf. «Wir begannen in einer kleinen 2,5-Zimmer-Wohnung mit einem Tisch und zwei Laptops», erzählt Bucher. «Wir fanden das Garagen-Feeling dieses Start-ups cool.» «zakwatch.com» hiess ihr Baby und wurde für ein Hobby bald zu gross, war gleichzeitig aber zu klein, um davon leben zu können. Vergangenen Herbst folgte daher der nächste Schritt: Bucher und Meier mieteten sich am Kauffmannweg ein. Verkaufsladen und Webshop, beides gestalteten die Jungunternehmer selber.

Gemeinsam mit seinem Jugendfreund Dominik Meier (rechts) hat André Bucher einen Uhrenladen eröffnet.

Gemeinsam mit seinem Jugendfreund Dominik Meier (rechts) hat André Bucher einen Uhrenladen eröffnet.

Das Konsumverhalten vorwegnehmen

«Niemand wartete in Luzern auf ein weiteres Uhrengeschäft», ist sich Bucher bewusst. Doch seine Konkurrenz sitzt nicht am Schwanenplatz oder im Grendel. Er und sein Partner haben es nicht auf Touristen abgesehen.«Wir verkaufen Uhren für Leute, die in Luzern wohnen», hält Bucher fest. Das trendige Hirschmatt-Quartier sei dafür der richtige Ort.

Drei Viertel des Umsatzes macht «zakwatch.com» im Internet, ein Viertel im Laden. Das Geschäftsmodell orientiert sich an Digitec: Die besten Produkte sind im Showroom, der weitaus grössere Teil jedoch im Hintergrund und online. «Mit unserem Geschäftsmodell versuchen wir vorwegzunehmen, wohin das Kundenverhalten im Schweizer Detailhandel steuert», sagt Bucher. Die beiden Unternehmer setzen einerseits auf bekannte Modemarken, andererseits auf Nischenprodukte: Uhren kleiner Schweizer Marken mit spezieller Geschichte.

Zuschauer und Hobbysportler

Auch Buchers Geschäftspartner kommt aus dem Sport. Ein klares Ziel, Beharrlichkeit, harte Arbeit und eine Strategie, das sind ihre Erfolgszutaten. Doch woran misst André Bucher heute Erfolg? Er zögert kurz. «Als ich jung war, mass er sich an Zeiten, Rängen und Medaillen. Doch schon damals wollte ich nicht darauf reduziert werden. Für mich bedeutet Erfolg, etwas tun zu können, was ich gerne und gut mache.»

«Eine reine Zuschauerbrille werde ich wohl nie tragen.»

André Bucher

Buchers Herausforderungen haben sich verschoben. Seine fünfköpfige Familie erhält in Bälde Zuwachs. Im Sport hält Bucher keine Funktionen inne. Laufen wurde zum Hobby. «Es macht mir Freude und ist eine Art Psychohygiene. Ich tanke dabei wieder auf», sagt Bucher. Rennen bestreitet er keine mehr. «Selbstschutz», schmunzelt er. Er vermisse den Wettkampf, das Rampenlicht und die Auftritte auf der grossen Bühne nicht, doch liefe er gegen die Zeit, könnte sein schlummernder Renninstinkt wieder erwachen.

«Ich werde das Zuschauen geniessen», sagt Bucher mit Blick auf Rio. Zu den Schweizer Leistungsträgern unterhält er kaum Kontakte, ist bis auf die Meetings in Luzern und Zürich nicht auf den Plätzen zu Gast. Wenn sich die Läufer in Rio um Edelmetall balgen, schaut Bucher aber besonders genau hin. Er achtet auf ihre Taktik: Wie sie sich positionieren oder wie sie zusammenspannen. «Wenn man so viele Rennen gelaufen ist, kriegt man diesen Blick wohl nie ganz weg», lacht Bucher. «Eine reine Zuschauerbrille werde ich wohl nie tragen.»

«Für mich war Doping nie eine Option»

«Erstaunt hat mich, dass alle so erstaunt taten», sagt André Bucher angesichts des russischen Dopingskandals. Schon zu seiner Zeit sei in manchen Ländern flächendeckend und staatlich organisiert gedopt worden, ist er sich sicher, ohne aber Namen zu nennen. Am aktuellen Skandal stört ihn, dass das Internationale Olympische Komitee (IOC) nicht sämtliche russische Athleten für Rio gesperrt, sondern den Entscheid an die Weltverbände ausgelagert hat. Eine Kollektivstrafe fände Bucher vertretbar, schliesslich habe sich eine ganze Sportnation nicht an die Regeln gehalten. «Der Ausschluss aller russischen Athleten wäre ein klares Statement gewesen, dass das IOC das Problem ernst nimmt.»

«Für mich war Doping nie eine Option», unterstreicht Bucher. Einfach ausblenden, dass Konkurrenten möglicherweise gedopt seien, konnte er nicht: «Einige schlug ich während der Saison jeweils deutlich, doch an Grossanlässen rannten sie mir plötzlich um die Ohren – wohl weil sie irgendwie nachgeholfen hatten.» Als Sportler müsse man deshalb in sich kehren und sich klar darüber werden, weshalb und für wen man Spitzensport betreibe. Bucher tat es für sich – und aus Leidenschaft. «Ich wollte in den Spiegel schauen und stolz auf mich sein können.»

Unlängst forderte einer von Buchers härtesten Konkurrenten, der Deutsche Nils Schumann, Doping sei zu legalisieren, nicht zuletzt im Interesse der Gesundheit der Sportler. André Bucher hat dafür kein Verständnis: «Es wäre eine Kapitulation. Die Freigabe von Doping würde völlig falsche Signale aussenden.» Bloss weil alle auf der Autobahn zu schnell fahren, hebe man ja auch nicht die Geschwindigkeitsbegrenzungen auf.

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