Andy Egli vom FCL im grossen Interview

Vom «Arsch» zum Frauenversteher

Der neue Sportchef der FCL-Frauen Andy Egli vor der Leichtathletik-Anlage und der SwissporArena. (Bild: esa)

Andy Egli hat den Krebs überwunden und ist als Sportchef der Frauenmannschaft zurück beim FC Luzern. Im Interview mit zentral+ erzählt er, was ihn am Männerfussball stört, wie er den Frauenfussball voranbringen will und wie er die Begegnung mit dem Tod wahrgenommen hat.

Zwischen Leichtathletikstadion Allmend und dem Zihlmattweg steht die FCL-Akademie. Dort arbeitet Andy Egli, der neue Sportchef der FC Luzern Frauen. Egli ist ein alter Bekannter. Zwei Jahre war er hier Nachwuchschef, bevor er letzten Frühling freiwillig abtrat. Im Sommer folgte die Schockdiagnose: Hodenkrebs. Seit Mitte November ist Andy Egli mit frischer Kraft zurück.

zentral+: Meine erste Frage ist natürlich: Andy Egli, wie geht es Ihnen?

Andy Egli: Mir geht es sehr gut. Ich habe einen positiven Bescheid des Onkologen erhalten. Ich bin geheilt, wenn man so will. Natürlich sind periodische Bestätigungen mit der Computertomographie nötig, um sicher zu gehen, dass der Krebs weg ist. Und irgendwann werden die Zeitabstände zwischen diesen Untersuchungen so gross, dass man spätestens nach fünf Jahren aufgrund der Erfahrungen sagen kann: Die Sache ist definitiv erledigt. Jetzt schaue ich sehr zuversichtlich in die Zukunft.

Andy Egli als TV-Experte beim Schweizer Fernsehen. Im September teilte er live im Fernsehen mit, dass er an Hodenkrebs erkrankt sei (Foto: SRF).

Andy Egli als TV-Experte beim Schweizer Fernsehen. Im September teilte er live im Fernsehen mit, dass er an Hodenkrebs erkrankt sei (Foto: SRF).

(Bild: SRF)

Sehen Sie hier den ersten Auftritt von Andy Egli ohne Haare.

zentral+: Das sind erfreuliche Nachrichten. Kommen wir zum Sportlichen: Seit dieser Saison spielen viel mehr Junge in der ersten Mannschaft des FCL als letzte Saison. Inwiefern haben Sie diese Entwicklung als ehemaliger Nachwuchschef mitbeeinflusst?

Egli: schaut nach hinten aus dem Fenster zur trainierenden Mannschaft und nennt die Namen: Haas, Schmid, Arnold und de Oliveira. Meine Aufgabe als Nachwuchschef war, in den Gesprächen mit den Chef-und Nachwuchstrainern alles zu unternehmen, damit wir die Zielsetzung realisieren können. Diese lautet nicht, die bestmöglichen Positionen in der Tabelle der Nachwuchsabteilung einzunehmen, sondern junge Spieler zu promovieren. Der Chef-Trainer hat früh gemerkt: Hey, die können was! Mit dem neuen CEO Ruedi Stäger hat man die Vision 2020 definiert: Dann will man die Hälfte der Mannschaft mit Innerschweizer Spielern, die hier ausgebildet werden, besetzt haben. Das bedingt, dass man versucht, den Talentiertesten den Weg in die erste Mannschaft zu ebnen. Und dazu muss man sie einsetzen.

«Ich schaue sehr zuversichtlich in die Zukunft.»

zentral+: Seit Mitte November sind Sie zuständig für die Frauenfussball-Teams des FCL. Wie ist das eigentlich bei Fussballerinnen, spricht man da von einer Mannschaft oder einer Frauschaft?

Egli: lacht. Den Ausdruck Frauschaft habe ich noch nie gehört. Ich habe mir das tatsächlich auch schon überlegt. Weil es nicht so wichtig zu sein scheint, habe ich das bald wieder vergessen. Aber eigentlich ist es eine Frauschaft.

Das Grasshopper-Urgestein

André (Andy) Egli aus Bäretswil, geboren am 8. Mai 1958, ist ein ehemaliger Spitzenfussballer, Coach und Fussballfunktionär. Seine erfolgreichste Zeit erlebte Egli als Spieler des Grasshopperclub Zürich. Mit GC holte der Abwehrspieler zwischen 1978 bis 1990 jeweils vier Meistertitel und Cupsiege, absolvierte 336 Spiele und erzielte dabei 82 Tore. Zwischen 1984 bis 1985 spielte er 31 Partien für Borussia Dortmund (6 Tore). Nach GC war Egli in der Westschweiz bei Neuchatel Xamax und Servette Genf aktiv. Zum Ende seiner Fussballerkarriere wurde er mit den Genfern 1994 nochmals Schweizermeister. Als Nationalspieler absolvierte Andy Egli 77 Länderspiele (9 Tore). Später als Trainer arbeitete er unter anderem beim FC Thun, FC Luzern, FC Aarau und FC Biel. Im Jahr 2013 engagierte der damalige Sportchef Alex Frei Andy Egli als Nachwuchskoordinator des FC Luzern. Zwei Jahre später trennte sich Egli vom Verein, weil dieser das Budget für die Junioren senkte. Seit November 2015 ist Andy Egli wieder zurück beim FC Luzern – diesmal als Koordinator der Frauenfussball-Abteilung.

zentral+: Welchen Eindruck haben Sie die letzten Tage von der Frauschaft des FCL gewonnen?

Egli: Ich hatte den ersten Einsatz, als ich mir hier hinten, Egli deutet auf das Leichtathletik-Stadion, ein Turnier der U-15 angeschaut habe, dann war ich beim Training der U-19. Vieles kenne ich schon, weil ich zwei Jahre hier war.

zentral+: Also keine Eingewöhnungszeit?

Egli: Nein. Das ist für beide Seiten die ideale Ausgangslage, weil in den kommenden Monaten auch die Integration der Frauen in die FC Luzern-Innerschweiz AG ein Thema sein wird. Es bildet sich eine Arbeitsgruppe, die sich mit dieser Integration auseinandersetzen und darüber befinden wird.

zentral+: Und Sie stellen die Arbeitsgruppe zusammen und führen diese?

Egli: Nein, dafür ist die AG zuständig. Sie hat vor eineinhalb Jahren den Grundsatzentscheid gefällt, dass man die Frauen in die FC Luzern Innerschweiz AG integriert. Das Ganze ist ein sehr kompliziertes Gebilde. Jetzt geht es darum, die vier Mannschaften: Nationalliga A, U-19, U-17 und U-15 als «Spitzensport» in die AG zu integrieren. Bei 80 bis 90 Athletinnen machst du nicht einfach schwupp und dann sind sie dabei. Da gibt es eine ganze Palette von Fragen, die in dieser Arbeitsgruppe diskutiert werden müssen.

zentral+: Bis wann will man da eine Lösung gefunden haben?

Egli: Zeithorizont ist bis Anfang Saison 2017/18. Aber bis dahin gibt es viel zu tun.

Andy Egli mit seiner Mannschaft anlässlich eines Juniorenturniers im März 2015 (Foto: Martin Meienberger).

Andy Egli mit seiner Mannschaft anlässlich eines Juniorenturniers im März 2015 (Foto: Martin Meienberger).

(Bild: Martin Meienberger)

zentral+: Müssen die Männer die Frauen quersubventionieren?

Egli: Da stelle ich mal ein Fragezeichen dahinter. Aber wenn die Frauen in die FC Luzern-Innerschweiz AG integriert werden, wird dies für diese zweifellos auch Kosten mit sich bringen. Selbst wenn man die operative Verantwortung abgeben kann, nutzen und dementsprechend auch bezahlen die Frauen für die Infrastrukturen der AG. Die Anliegen aller Parteien unter einen Hut zu bringen – das ist die grosse Herausforderung.

zentral+: Sie haben ja selbst drei Töchter. Hat diese Tatsache ihre Entscheidung für den Frauenfussball beeinflusst?

Egli: Allenfalls intuitiv. Ich weiss, wie ich mit Frauen umzugehen habe, weil ich ja zuhause vier davon habe  (lacht). Das hat zweifellos den Entscheid begünstigt. Während meiner Krankheit erhielt ich Zeichen der Frauenabteilung, dass meine Arbeit hier geschätzt wird und sie auch gespürt haben, dass ich sie unterstütze. Sie merken, dass ich sehr sensibel für ihre Anliegen bin. Ich glaube, das ist eine gute Voraussetzung, um eine leistungsfördernde Kultur hier weiterzuentwickeln.

zentral+: Zwei der besten Schweizer Fussballerinnen, Ramona Bachmann und Lara Dickenmann, kommen aus der Zentralschweiz, spielten aber nie für Luzern und haben vor ihrem 20. Geburtstag ins Ausland gewechselt. Hat der FCL in Sachen Frauenfussball die Entwicklung in der Vergangenheit verschlafen?

Egli: Die Entwicklung des Frauenfussballs in der Innerschweiz war eine ziemlich verzettelte Geschichte. Es gab verschiedene Pioniervereine, jetzt unter dem Namen FC Luzern. Offensichtlich ist, dass sich hier in der Zentralschweiz sehr viele Menschen darum bemüht haben, den Frauenfussball weiterzuentwickeln. Aber in den Strukturen war es lange unklar, wer den Lead hat und in welche Richtung es gehen soll. Für mich gibt es keinen Zweifel daran, dass in der Innerschweiz der FC Luzern den Lead haben muss. Die Verdienstmöglichkeiten als Frauenfussballerin in der Schweiz sind gering: Wir sprechen von Amateur-Fussball. Praktisch keine Spielerin hier hat irgendeinen Vertrag, bei dem Geld fliesst – es sei denn für Wohnungen, Schulen oder Fahrspesen.

«Ich weiss mit Frauen umzugehen, weil ich zuhause vier habe.»

zentral+: Sehen Sie Spielerinnen beim FC Luzern mit ähnlichem Potenzial wie Dickenmann und Bachmann?

Egli: Unsere U-18-Mannschaft wurde letzten Sommer Schweizermeister. Das deutet darauf hin, dass hier doch ein paar Elemente drin sind, die Potenzial haben. Ob es so ausgeprägt ist wie bei Dickenmann und Bachmann, kann noch nicht beurteilt werden. Aber wir haben Nationalspielerinnen, und die Nationalliga-A-Mannschaft ist noch sehr jung.

zentral+: Das ausgesprochene Ziel ist ja, bis 2020 die Meisterschaft zu holen.

Egli: Ich würde differenzieren: Das Ziel ist einen Titel zu holen. Der Meistertitel ist natürlich viel schwieriger als der Cup. Unter dem Namen FC Luzern gibt es jetzt eine Nachwuchsmannschaft, die einen Titel geholt hat.

Zwei Fussballkenner unter sich. Andy Egli und Markus Babbel im Frühling 2015, als Egli noch Nachwuchschef beim FCL war (Foto: Martin Meienberger).

Zwei Fussballkenner unter sich. Andy Egli und Markus Babbel im Frühling 2015, als Egli noch Nachwuchschef beim FCL war (Foto: Martin Meienberger).

(Bild: Martin Meienberger)

zentral+: Um die Titel-Träume zu konkretisieren: Welche Baustellen, neben der Integration in die AG, muss man noch anpacken?

Egli: Das ist genau wie bei der Männermannschaft: Die Besten aus dem Nachwuchs in die erste Mannschaft integrieren. Ein Thema ist zweifellos, dass man irgendwann im Stadion – Egli deutet auf die Swissporarena – spielen kann. Wenn das Stadion nur für die Frauen geöffnet wird, dann glaube ich, laufen einem die Kosten davon. Darum: Doppelveranstaltungen. Ob vor den Männern oder danach, ist nicht so entscheidend – aber die wunderbare Infrastruktur gemeinsam nutzen zu können, ist ein Traum. Eglis Augen glänzen.

«Sieben Tage die Woche kommt Fussball im Fernsehen. Das ist too much.»

zentral+: Es war zu lesen, dass Sie die Kommerzialisierung im Männerfussball stört. Denken Sie, der Frauenfussball ist gegen diese Entwicklung immun?

Egli: Nein, aber sicher nie in dem Rahmen, wie das traditionell bei den Männern der Fall ist. Seit die privaten Fernsehstationen aus dem Kraut geschossen sind, hat eine Explosion stattgefunden. Sieben Tage die Woche kommt Fussball im Fernsehen. Das ist too much. In diesem Sinne finde ich die übermässige Kommerzialisierung keine gute Entwicklung, weil der einzige Antrieb das Geld ist. Da tue ich mich schwer. Ich bin in dieser Hinsicht etwas konservativ – ein Traditionalist halt.

zentral+: Haben Sie deshalb so Freude am Frauenfussball? Hier müssen die Frauen nebenher noch einer Erwerbsarbeit nachgehen.

Egli: Ich bin begeisterungsfähig und gleichzeitig auch Realist. Meine Feststellung ist, dass die Leidenschaft als Grundlage für das Fussballspiel bei den Frauen heute sichtbarer ist als bei den Männern. Es wirkt ursprünglicher. Das ist Fussball, den man als Zuschauer gerne sieht. Taktisches Kalkül, «Cleverness» oder sogar aktive Täuschung sind im Prozess der Überkommerzialisierung heute fast schon Alltag. Das missfällt mir – gleichzeitig bin ich nicht naiv. Ich glaube, dass sich bei den Frauen ein ähnlicher Entwicklungsprozess einstellen könnte, sobald Geld, viel Geld, verdient wird. Aber heute, November 2015, ist es ein ehrlicheres Spiel als bei den Männern. Das heisst nicht, dass ich mich jetzt völlig aus dem Kommerz rausbewegen will und bei den Damen einnisten, die das Ursprüngliche darstellen. Gleichzeitig ist es, was mein Wohlbefinden betrifft, ein bezeichnender Schritt.

«Früher als Spieler war ich oft ein Arschloch.»

zentral+: Zum Schluss noch eine persönliche Frage: Wie hat sich Ihr Verhältnis zum Thema Tod nach der Krebs-Diagnose verändert?

Egli: Bevor die Diagnose kam, war es auch ein Szenario – der Tod. Die einzigen Fragen waren: Was muss ich machen, wenn das Szenario «baldiger Tod» Realität wäre, damit die Familie so weiterleben kann, wie sie bis jetzt gelebt hat. Gleichzeitig musste ich feststellen, dass diese Krankheit mehr Chancen generiert hat als Risiken. Früher als Fussballer war ich oft ein Arschloch. Für mich gab es fast immer nur Weiss und Schwarz. Mit Mitspielern, die keine gute Einstellung zeigten, hatte ich riesige Probleme. Mit der Coach-Tätigkeit und dem Älterwerden habe ich gelernt, zu differenzieren und meine Art, wie ich mit Menschen umgehe, kritisch zu hinterfragen. Mit einer Krankheit konfrontiert zu werden, die möglicherweise zum Tod führt, macht gelassener, demütiger und stärkt das Bewusstsein dafür, dass man ein ganz kleines Körnchen in diesem riesigen Universum ist. Ich nehme jetzt mehr Rücksicht auf mein Umfeld und auch auf die Menschen, mit denen ich zusammenarbeite. Ich bin sensibel für andere Ansichten. Von dem her habe ich mir eine extrem gelassene Haltung angeeignet.

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