Der Steinkauz hat es bei uns schwer

Vogel des Jahres längst aus Luzern und Zug verschwunden

Seit 30 Jahren in den Kantonen Zug und Luzern ausgestorben: der Steinkauz. (Bild: Martin Becker)

Er ist der Vogel des Jahres 2021: der Steinkauz. Aus den Kantonen Luzern und Zug hat sich der kleine Kobold mit den gelben Augen aber schon lange verabschiedet. Das hat auch mit der Politik zu tun.

Peter Wiprächtiger aus Schötz erinnert sich gut: «Es war um das Jahr 1975 herum, als ich den letzten Steinkauz in unserer Region gehört und gesehen habe.» Genau genommen habe es sich um ein Paar gehandelt, das in einem Baumgarten in Kottwil in einem hohlen Astloch hauste.

«Ich habe diesen Brutplatz in Kottwil immer wieder besucht und die Vögel beobachtet. Es gab Bruten oder mindestens Brutversuche.» Möglicherweise seien es sogar zwei Paare gewesen. Er habe die Vögel jeweils mit ihrem Ruf zum Ausflugsloch gelockt, wenn er mit seinem Auto dort beim Nachhausefahren vorbeikam. «Später waren sie auf das Motorengeräusch konditioniert und ich musste nicht mehr rufen. Vermutlich starb irgendwann mal einer der Partner. Und in der Folge fehlte es dann wohl an Nachwuchs.»

Seit über 30 Jahren ausgestorben

Die Vögel, die Peter Wiprächtiger damals bei Kottwil gesehen hatte, gehörten mit zu den letzten Steinkäuzen im Kanton Luzern. Seine Beobachtungen decken sich mit einem Bericht von BirdLife Luzern von diesem Jahr. Danach hielt sich der Steinkauz im Kanton Luzern mindestens bis 1980, als bei Kottwil letzte Einzelpaare gesichtet wurden. «Seither ist es still um den Kauz geworden», schreibt BirdLife Luzern.

Für eine Überraschung sorgte 2009 das Auftauchen eines Steinkauzes in Ettiswil, der mit Unterbrüchen bis März 2010 blieb. Die letzten Luzerner Steinkauz-Meldungen betrafen einen rufenden Vogel im November 2012 bei Schötz. Möglicherweise handelte es sich aber um den gleichen Vogel wie jenen von Ettiswil.

Es gibt derzeit also keine Steinkäuze mehr im Kanton Luzern. Gleiches gilt für den Kanton Zug. Seit über 30 Jahren gilt die kleine Eule auch dort als ausgestorben.

Das Potenzial wäre vorhanden

Dabei gäbe es in beiden Kantonen durchaus viel Potenzial für den Steinkauz, sagt Peter Knaus, Präsident von BirdLife Luzern. «Allerdings sind viele Lebensräume weitgehend ausgeräumt. Es gibt kleinflächig sicher potenzielle Lebensräume, aber sie sind zu isoliert, zu wenig vielfältig und zu klein. Da müsste sich im Landwirtschaftsgebiet viel bewegen, gerade auch von politischer Seite, damit mehr geeignete Flächen und Strukturen vorhanden sind.»

Über weite Strecken würden heute wenig vielfältige Landschaften dominieren, so Peter Knaus. «Diese weisen teilweise zwar einzelne Bäume oder Sträucher auf. Das alleine genügt aber nicht.» Es müsste da und dort eben auch ein Brombeergestrüpp, ein Steinhaufen, eine alte Scheune, eine Holzbeige oder einige Altgrasstreifen vorhanden sein. Der heute vorherrschende Landschaftstyp reiche für eine anspruchsvolle Vogelart wie den Steinkauz nicht aus.

Noch bis in die 1950er-Jahre war er bei uns häufig

Peter Knaus macht einen Vergleich: «Ebenso wenig würden wir Menschen uns in einem grossen Haus am See wohl fühlen, wenn keine Stühle, Sessel und Tische vorhanden wären. Es wäre zwar zum Aushalten, aber gerne würden wir hier trotz der Aussicht nicht wohnen.»

Dabei gab es eine nicht allzu ferne Zeit, in welcher der Steinkauz in unserer Region noch richtiggehend heimisch und auch häufig war. Das war bis in die frühen 1950er-Jahre der Fall. Dem Archiv der Vogelwarte Sempach lässt sich zum Beispiel entnehmen, dass es in Oberkirch LU im Jahre 1952 noch fünf Paare auf vier Quadratkilometern gab. In Hitzkirch, in Hochdorf und am Baldeggersee konnte die Art zwischen 1948 und 1951 mit zwei Paaren auf einem Quadratkilometer als «häufig» bezeichnet werden.

In der Schweiz lag der Bestand in den 1950er-Jahren wohl insgesamt bei rund 800 bis 1000 Paaren (zentralplus berichtete). «Ausgehend davon dürfte der Bestand im Kanton Luzern in jener Zeit wohl mindestens 50 Paare betragen haben», schätzt Peter Knaus von BirdLife Luzern.

Nach dieser Zeit seien aber immer mehr Hochstamm-Obstgärten und alte Baumbestände ausgemerzt worden, wodurch der Lebensraum für diese Vögel verschwand. «Zudem wurde gleichzeitig das Nahrungsangebot an Grossinsekten durch den Pestizid-Einsatz stark geschmälert.»

Vögel sind gute Indikatoren

Durch das Roden von Hochstamm-Obstgärten, den Pestizid-Einsatz und das Ausdehnen der Siedlungen wurde der Steinkauz auch in der übrigen Schweiz im Verlaufe des 20. Jahrhunderts immer seltener. Der absolute Tiefpunkt wurde vor rund 20 Jahren erreicht. Damals gab es in der Schweiz bloss noch rund 50 bis 60 Paare.

Dank aufwändigen Förderprojekten konnte der Trend aufgehalten werden: 2020 wurden wieder 140 Paare gezählt.  Allerdings beschränken sich die Bestände heute auf die Gebiete Jura, Genf, Berner Seeland und Tessin.

«Vögel sind gewissermassen ein Spiegel davon, wie wir Menschen mit einem Lebensraum umgehen.»

Livio Rey von der Vogelwarte Sempach

Livio Rey von der Vogelwarte Sempach sagt: «Vögel sind gute Indikatoren, wie es um einen Lebensraum steht. Sie sind gewissermassen ein Spiegel davon, wie wir Menschen mit einem Lebensraum umgehen.»

Der starke Rückgang des Steinkauzes zeige, dass gerade die Landwirtschaft in den letzten Jahrzehnten stark intensiviert wurde. «Das aber bereitet dem Steinkauz und mit ihm vielen anderen Arten, die auf Grossinsekten und Obstgärten angewiesen wären, grosse Probleme.»

Für Livio Rey ist klar: «Um diesen Arten wieder mehr Platz zu geben, ist eine Extensivierung der Landwirtschaft nötig. Das bedeutet weniger Dünger- und Pestizideinsatz. Wichtig ist auch die Erhaltung bestehender und die Förderung neuer Hochstamm-Obstgärten.»

Die Politik wäre gefordert

Wird der Steinkauz je wieder in die Kantone Luzern und Zug zurückkehren? «Derzeit gibt es in der Zentralschweiz keine uns bekannten Ansiedlungsbemühungen», sagt Peter Knaus von BirdLife Luzern. «Wichtiger als das Aufhängen von Nisthilfen wären aber vor allem Massnahmen zur Verbesserung des Lebensraumes.»

Wie schon Livio Rey weist auch Peter Knaus auf die grosse Bedeutung der Hochstamm-Obstgärten hin: «In den Obstgärten braucht es zudem ein vielfältiges Mosaik aus extensiven Wiesen mit unterschiedlichen Schnittzeitpunkten und Weiden.» Lückige Vegetation und zahlreiche Kleinstrukturen seien weitere wichtige Lebensraumelemente.

«Um das langfristige Überleben des Steinkauzes zu sichern, müssen Schutzmassnahmen aber durch eine Subventions- und Agrarpolitik begleitet werden, die nicht nur biodiversitätsschädigende Subventionen abschafft, sondern den Bewirtschaftern auch geeignete Anreize für den Schutz und die Förderung gefährdeter Arten bietet.»

Baldige Rückkehr ist wenig wahrscheinlich

Peter Knaus sagt aber auch: «Beim Steinkauz ist derzeit eine baldige Rückkehr tatsächlich wenig wahrscheinlich. Ganz ausgeschlossen ist es natürlich nicht, dass sich ein Vogel in unsere Region vorwagt, aber für eine Brut müsste es ja dann ein Paar sein.»

Damit stehe der Steinkauz leider nicht allein. «Es gibt in der Region eine Reihe von verschwundenen Brutvögeln.» Dies betreffe vor allem die Vögel des Kulturlandes, zum Beispiel den Rotkopfwürger, den Raubwürger, den Wiedehopf, das Rebhuhn, den Wachtelkönig und das Braunkehlchen. «Leider passiert das Verschwinden von Arten meist still und leise. Auch die einst weit verbreitete und häufige Feldlerche ist fast überall selten geworden oder ganz verschwunden.»

So sieht die Situation im Kanton Zug aus

Christof Nussbaumer, Projektleiter Fischerei und Jagd des Kantons Zug, sagt: «Bei den Brutvogelaufnahmen der Vogelwarte Sempach der Jahre 1972 bis 1976 konnte der Steinkauz im Mittelland in den Tallagen bis circa 900 Meter ü. M. und somit auch in den tiefen Lagen des Kantons Zug nachgewiesen werden.»

Nur 20 Jahre später sei der Steinkauz aber in den meisten Regionen der Schweiz nicht mehr zu finden gewesen. So weise der Bericht «Die Brutvögel in den Naturschutzgebieten des Kantons Zug und ihre Bestandesänderungen zwischen 1979 und 2016» aus dem Jahr 2017 für diese Periode kein Vorkommen aus. In den 1950er-Jahren sei der Steinkauz im Kanton Zug aber noch weit verbreitet gewesen, ergänzt Christof Nussbaumer.

Die Gründe für das Verschwinden dieser Art sind im Kanton Zug praktisch die genau gleichen wie im Kanton Luzern. Christof Nussbaumer erläutert: «Die Kulturlandschaft in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die sich als kleinräumiges Mosaik von Äckern, Gärten, Obstbäumen, Wiesen und Weiden präsentierte, kann aus Sicht des Artenschutzes als ideal bezeichnet werden. In dieser kleinstrukturierten, vielfältigen und traditionell bewirtschafteten Landschaft fand auch der Steinkauz ein gutes Auskommen.»

Bekanntlich habe sich das Landschaftsbild unter anderem durch die Mechanisierung der Landwirtschaft nach dem 2. Weltkrieg stark verändert. «In diesem Zusammenhang verschwanden auch viele Hochstammkulturen, deren Baumhöhlen Brutplätze der Steinkäuze waren.»  

Was aber müsste getan werden, damit sich diese interessante Vogelart eines Tages im Kanton Zug wieder wohl fühlen könnte? Christof Nussbaumer: «Wichtig ist die Förderung einer naturnahen Landwirtschaft mit Hochstammkulturen. Um dem Rückgang von Hochstammobstbäumen entgegenzuwirken, erarbeitete der Kanton Zug ein Förderungskonzept.»

Wie für den Kanton Luzern besteht auch für den Kanton Zug derzeit aber wenig Hoffnung auf eine baldige Rückkehr dieser Eule. «Eine Wiederbesiedlung des Kantons ist mittelfristig sehr unwahrscheinlich, da die aktuellen Steinkauz-Vorkommen weit entfernt sind und die benötigte Habitatqualität im Kanton Zug noch nicht vorhanden ist», so Nussbaumer.

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2 Kommentare
  • Profilfoto von Hegard
    Hegard, 03.01.2022, 03:22 Uhr

    Ich habe diesen frühling 2 Nächte den Balzruf im Lido gehört.Es wäre schön wenn es Nachwuchs gäbe.Es hat mehr Wildtiere in der Stadt als ihr glaubt oder seht. Ich habe vor 5 Jahren sogar ein Luchs im Würzenbach Wald rufen gehört. Ansonsten Fuchs,Dachs, Marder,iltis und oberhalb der St.Anna Rehe und viele Füchse
    Die Vögel hat die Grippe stark reduziert.Ausser die vielen Krähen die nicht nur Eulenfeinde sind,sie fressen alle Vögel die sie Kriegen.
    Übrigens auch Freilaufende Kaninchen.

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  • Profilfoto von Remo
    Remo, 01.01.2022, 12:14 Uhr

    Mit einer rein bürgerlichen Männerregierung wird das nicht besser werden im stockkonservativen Kanton Luzern.

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