Aufruhr um neue Luzerner Gewerbegruppe

«Völlig daneben und wirtschaftsschädigend»

Sorgen für Bewegung: Marino Saro (links), Renata Boog und Heinz Marti wollen eine neue Gewerbevereinigung gründen. Im Hintergrund zu sehen: Der vom Wirtschaftsverband organisierte Behördenapéro. (Bild: lwo)

Links-liberalen Gewerblern und Politikern ist der bürgerliche Wirtschaftsverband der Stadt zu rechtslastig. Die Kleingewerbler wollen sich deshalb als neue Kraft formieren. Die Begründung dazu stösst bei den drei grossen Luzerner Wirtschaftsorganisationen auf teils harsche Kritik. Ihr Fett weg kriegt auch die GLP, die als Vermittlerin grandios scheitert.

Sie hat viel Staub aufgewirbelt, die von zentral+ publik gemachte Gründung einer neuen Gewerbevereinigung. Die Initianten rund um Heinz Marti von der an der Industriestrasse domilizierten Sinnlicht GmbH fühlen sich vom städtischen Wirtschaftsverband nicht vertreten. Die derzeit rund zwölf Gewerbevertreter wollen sich deshalb zu einer eigenständigen, neuen Kraft in der städtischen Wirtschaftsszene zusammenschliessen.

Bis Ende Jahr sollen die Ziele definiert und der Vorstand besetzt sein, an Ostern will man offiziell loslegen. «Es haben sich seit Erscheinen des Artikels schon weit über 20 Interessenten bei uns gemeldet, plus sehr viele Sympathisanten. Irgendwie scheinen wir den Zeitgeist getroffen zu haben», freut sich Marti.

Das Potenzial an Neumitgliedern sei gross, sagt Marti. Gegen 500 Kleingewerbler, so die etwas sehr ambitionierte Hoffnung, könnten sich ihnen dereinst anschliessen. Das wären dann gleich viel wie beim 140-jährigen städtischen Wirtschaftsverband. Und auch wenn sich die Neulinge politisch nicht verordnet sehen wollen, ist klar: Ihnen ist der städtische Wirtschaftsverband zu rechts-bürgerlich, zu steif, zu konservativ.

 «Generell neigt der Verband zu etwas rechten Positionen.»

Albert Schwarzenbach, CVP-Grossstadtrat

GLP teilt aus – und will vermitteln

Die Kritik an der politischen Ausrichtung des Wirtschaftsverbands der Stadt Luzern (WVL) wird teilweise auch von Politikern aus der Mitte

András Özvegyi, GLP Stadt Luzern

geteilt, etwa der CVP. Deren Grossstadtrat Albert Schwarzenbach etwa sagt: «Generell neigt der Verband zu etwas rechten Positionen.» András Özvegyi (GLP, Bild) formuliert es deutlich spitzer: «Der WVL ist zu wenig liberal, er ist mir zu konservativ. Er hat keinen Mut, sich von alten Zöpfen zu trennen und sich neuen Entwicklungen zu stellen.»

Laura Kopp (GLP) doppelt nach: «Der Wirtschaftsverband soll proaktiv Themen besetzen und nicht bereits im grossen Stadtrat geführte Diskussionen wieder aufwärmen.» Dafür brauche es einen parteipolitisch unabhängigen Vorstand, in dem auch kleine und mittlere Unternehmen vertreten sind.» SP und Grüne sehen das gleich. Sie sind zudem sauer auf den Wirtschaftsverband, weil sie an dessen Podium Ende September keinen Nationalratskandidaten stellen durften.

Als Reaktion auf den entsprechenden Artikel von zentral+ hat sich die GLP gleich selbst als Vermittlerin angeboten. Sie verschickte noch am gleichen Tag eine Medienmitteilung. Die geplante Neugründung schwäche die Wirtschaft eher, als dass sie sie stärke. Deshalb wollte die GLP alle Parteien zu einem klärenden Gespräch einladen. Doch damit wird sie scheitern, wie unsere Recherchen zeigen. Weder der Wirtschaftsverband noch die Neulinge halten einen runden Tisch derzeit für nötig.

Und weil dieser Vorschlag für die Katz ist, hat zentral+ selber bei allen Beteiligten nach dem Stand der Dinge gefragt. Dabei wird klar: Die arrivierten Wirtschaftsverbände sind not amused über die Kritik von Mitte-Links sowie der Initianten der neuen Gewerbegruppierung am WVL.

Kritik an der Kritik

André Bachmann, City Vereinigung Luzern

André Bachmann ist bei der City Vereinigung Luzern (CVL) fürs Ressort Politik zuständig. Die CVL zählt über 200 Mitglieder und will die Attraktivität von Luzern als Einkaufs- und Tourismusstadt fördern. Bachmann vertritt zudem zusammen mit Alexander Gonzalez, Präsident des WVL, die IG Wirtschaft und Verkehr. Als Vertreter der City Vereinigung wird deutlich, dass Bachmann von der Kritik am Partner WVL nicht sonderlich viel hält: «Wir sehen uns weder mit einem Problem Abspaltung noch mit Differenzen innerhalb der Wirtschaftsverbände konfrontiert. Die Zusammenarbeit funktioniert ausgezeichnet.»

Sowohl Wirtschaftsverband wie auch die City Vereinigung betrieben keine Parteipolitik, sondern verfolgten sachpolitische Ziele. Dass man dabei politische Initiativen oder bürgerliche Politiker unterstütze, ist laut Bachmann logisch. «Es ist nun mal so, dass eher bürgerliche Parteien unsere Interessen vertreten. Deshalb ist es auch legitim, sich für diese Kräfte einzusetzen.» Spannend diesbezüglich: Im Gegensatz zum WVL gibt die City Vereinigung keine Wahl- oder Abstimmungsempfehlungen ab, sie lobbyiert bloss.

Bachmann wundert sich etwas, dass die Initianten der geplanten Kleingewerbevereinigung sich nicht im WVL einbringen, anstatt diesen bloss von aussen zu kritisieren. Dabei könne doch jedes Mitglied Einfluss auf die Ziele und die Zusammenstellung des Vorstandes nehmen, etwa an einer GV.

«Den Initianten geht es ja unter anderem um den Bereich Industriestrasse. Das sind besondere Interessen.»

André Bachmann, City Vereinigung

«Wir sehen zurzeit keine Veranlassung, unsere Positionen zu verändern oder Anpassungen in den strategischen Überlegungen und Zielen vorzunehmen.» Dann lässt Bachmann durchblicken, wo er mögliche Differenzen zu den bürgerlichen Wirtschaftsverbänden erkennt: «Den Initianten geht es ja unter anderem um den Bereich Industriestrasse. Das sind besondere Interessen.»

«Zu fadenscheinig, um darauf einzugehen»

Heinz Bossert, Präsident kantonaler Detaillistenverband Luzern

Deutlich schärfer äussert sich Heinz Bossert zum Thema. Bossert ist Präsident des Detaillistenverbandes Kanton Luzern (DVL), dem insgesamt rund 600 Mitglieder angeschlossen sind. «Die pauschale Kritik gegenüber dem Wirtschaftsverband Luzern irritiert den DVL. Die Aussagen zu mehr oder weniger Aufspaltung der wirtschaftspolitischen Interessenvertretung von Gewerbe und Handel in der Stadt Luzern greifen völlig daneben und sind meines Erachtens  wirtschaftsschädigend.» Dann legt Bossert noch einen drauf: «Die angeführten, zum grossen Teil politisch motivierten Argumente sind zu fadenscheinig, als dass man darauf eingehen könnte.»
 
Der DVL attestiert laut Bossert dem Wirtschaftsverband Luzern, dem Gewerbeverband Kanton Luzern wie auch der City Vereinigung in der langjährigen und erfolgreichen Zusammenarbeit ein hohes Sensorium für die Bewältigung der komplexen Herausforderungen in Gewerbe und Handel.

Bosserts Sympathien für die geplante neue Gewerbegruppe scheinen sehr, sehr überschaubar zu sein. So gibt er weiter seinem Ärger Ausdruck: «Argumentationen in der vorliegenden, einfallsreichen Form können nur Gruppierungen formulieren, denen nicht alle relevanten Informationsgrundlagen für eine korrekte, seriöse und konstruktive Gewerbe- und Handelspolitik zur Verfügung stehen. Wir sind der klaren Meinung, dass der aktuelle, mediale Vorstoss nur spaltet, statt vereint. Ein erspriessliches Gespräch unter Gleichgesinnten würde allen dienen und Kräfte bündeln.»

«Das empfinde ich als anmassend»

Alexander Gonzalez, Wirtschaftsverband Stadt Luzern

Alexander Gonzalez ist seit vier Jahren Präsident des Wirtschaftsverbandes. Der WVL setzt sich mit seinen rund 500 Mitgliedern für wirtschaftsfreundliche Rahmenbedingungen ein. Politisch ist er in den letzten Jahren aktiver geworden, er positioniert sich öffentlich häufiger und selbstbewusster, zuletzt hat sich der Verband hinter die (klar abgelehnte) SVP-Initiative für einen flüssigen Verkehr gestellt. Das führt auch zu mehr Gegenwind.

Gonzalez hat die teils sehr scharf formulierte Kritik am Wirtschaftsverband überrascht und teilweise auch verärgert. «Es hat mich aber sehr gefreut, dass sich unsere Verbandskollegen klar hinter uns und unsere Zusammenarbeit gestellt haben.»

«Ich bedauere es, dass wir manchmal als kleinkarierte, einfach gestrickte Gewerbler abqualifiziert werden.»

Alexander Gonzalez, Wirtschaftsverband Stadt Luzern

Speziell aber die Kritik der GLP habe ihn irritiert. Gonzalez finde hierzu klare Worte: «Ich finde es schon sehr erstaunlich, dass sich einzelne Personen anmassen, uns in Sachen Verkehrspolitik als inkompetent zu bezeichnen. Zudem bedauere ich es, dass wir seitens einzelner GLP-Vertreter manchmal als kleinkarierte, einfach gestrickte Gewerbler abqualifiziert werden. Das vermittelt den Eindruck, dass sie uns mit ihren Inputs intellektuell aufwerten können. Das empfinde ich doch als etwas gar anmassend.»

Zudem: Dass der WVL selber ständig kreative Vorschläge für eine prosperierende Wirtschaft liefern müsse, sei ein sehr grosser Anspruch. «Wir sind als Verband schlank aufgestellt, meine Vorstandskollegen arbeiten alle ehrenamtlich, und unsere Mitglieder sind beruflich stark ausgelastet. Deshalb liegt es eher an der Politik und der Verwaltung, hier den Lead zu übernehmen.» 

«Nicht ernst nehmen» kann Gonzalez zudem den vonseiten der GLP und der Linken geäusserte Vorwurf, dass im WVL-Vorstand zu viele Stadtparlamentarier und zu wenig Gewerbler seien. «Unsere drei politisch tätigen Vorstandsmitglieder arbeiten alle hauptberuflich in KMU. Reto Kessler (FDP) leitet seit Jahren eine eigene Firma, Marcel Lingg (SVP) ist Geschäftsleitungsmitglied eines KMU, und Thomas Gmür (CVP) führt ein eigenes Beratungsunternehmen.»

Aus diesen Gründen steht der Wirtschaftsverband laut Gonzalez dem Vermittlungsangebot der GLP zwar offen, in der Tendenz aber eher kritisch gegenüber. «Für Gespräche – auch mit der geplanten neuen Gewerbler-Vereinigung – verschliessen wir aber sicher nicht die Türen.»

Initianten geben sich versöhnlich

Die teils geharnischten Retourkutschen der bestehenden bürgerlichen Wirtschaftsverbände auf die Gründung des eher links-liberalen Gewerbe-Ablegers nimmt Heinz Marti sportlich zur Kenntnis – und versöhnlich: «Ich möchte hier nochmals betonen, dass die geplante Gründung unserer neuen Vereinigung keinesfalls kontraproduktiv für den Wirtschaftsstandort Luzern sein wird, wie das vom Wirtschaftsverband befürchtet wird. Wir sind schliesslich alles Gewerbler, nur eben haben wir zu bestimmten Fragen andere Ansichten.» Marti kann sich gut vorstellen, später mit dem Wirtschaftsverband zu schauen, in welchen Bereichen es eine Zusammenarbeit geben könnte.

«Wir wären nicht bereit, einfach jede Parole des Wirtschaftsverband-Vorstandes zu unterstützen.»

Heinz Marti, Initiant neue Gewerbevereinigung

Der Inhaber der Firma Sinnlicht GmbH zieht aber auch Grenzen: «Klar ist auch, dass wir keine Lust haben, politisch vor einen Karren gespannt zu werden. Wir wären nicht bereit, einfach jede Parole des Wirtschaftsverband-Vorstandes zu unterstützen.»

Das Vermittlungsangebot der GLP habe man diskutiert und sei zum Schluss gekommen, vorerst darauf zu verzichten. Grund: «Wir wollen zuerst selber genau festlegen, wohin die Reise gehen soll. Sonst würde die Gefahr bestehen, dass wir von den anderen vereinnahmt würden.»

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