Luzerner Kabarettist Emil Steinberger wird 85

Vielen Dank, lieber Emil! In der Einfachheit liegt Ihre Grösse

Der Mann hat gut lachen: Emil Steinberger ist der «lustigste Schweizer der Welt».

(Bild: Nils Fisch)

Emil Steinberger wird 85 – wir verneigen uns vor Emil, dem Grossen. Vor der Bescheidenheit, dem optimistischen Engagement und der Jugendlichkeit. Und danken dem Kabarettisten, Geschichtenerzähler und Schauspieler für zahllose Stunden geistvollen Humors und gehobener Kultur. Zeit für einen Dankesbrief!

Lieber Emil,

Comedians von heute tönen wie ein Maschinengewehrgewitter. Schnell, grobe Sprache, heftige Pointe. Bei Ihnen, verehrter Emil, war das alles ganz anders: Sie waren als Kabarettist immer bedächtig, mit unaufgeregter Sprache, mit behutsamem Wortwitz. Ihr Emil war «eifach rüüdig schön».

«Ich habe den Mut, langsam zu spielen. Mit viel Körpereinsatz und Pausen.» Das sei heute, in der schnelllebigen Zeit, verloren gegangen, bedauerten Sie einmal zu Recht. Sie waren nicht nur ein witziger Unterhalter, sondern auch ein hintersinniger Denker. Das durfte ich bei unseren Begegnungen immer wieder mit Genugtuung feststellen.

Zeitlos, auch nach 45 Jahren noch

Dezember 2013, der KKL-Saal mit 1’600 Plätzen ist viermal zum Bersten gefüllt. Innert weniger als zwei Stunden waren die insgesamt 6’400 Tickets ausverkauft. Das KKL-Booking-System kollabierte. Und dann erst Ihre Comeback-Show. Da waren Sie wieder, als wäre die Zeit stehen geblieben, wie in den guten alten Tagen: auf der Polizeihauptwache nachts um halb drei («Was, e Bombe?»), im Zug («Gsesch s Chelali vo Wasse?»), als Blutspender («Was wännt sie met dere Sprötze, Schwöschter?»), am Fenster («Händ die neui Vorhäng, ech gseh ämu nömme ine»), beim Kreuzworträtsellösen («Kirchlicher Feiertag mit sechs Buchstaben: Ogtern?!») und als Pilot («Das esch net d Pischte, das esch d Autobahn»). Sie gaben den «Parkierer», den «achten Bundesrat» und – natürlich – den «Kinderwagen». Die Menge lachte, und auch Ihr Herz lachte.

«E wie Emil», «Emil träumt», «Geschichten, die das Leben schrieb»: So hiessen in den 70er-Jahren Ihre Programme, die Sie damals berühmt machten. Unglaublich, wie zeitlos Ihre Sketche auch nach mehr als 45 Jahren noch sind.

Das Video zeigt einen lustigen Querschnitt von Emil Steinberger.

 

Grund: Sie öffnen Ihren Zuschauern die Augen für die Skurrilität des Alltags. Und Sie, lieber Emil, sagen dazu ganz lapidar: «Die schönsten Geschichten schreibt das normale Leben. Es ist schwierig, etwas zu erfinden, das so gut tönt wie die Wahrheit.»

«100 Minuten mit gefühlten 1’000 Lachern.»

Die «Bild»-Zeitung 2011

Schon früh wussten Sie: «Showtime ist Scheintime. Jetzt muss die Wirklichkeit kommen.» Die deutsche «Bild»-Zeitung brachte Ihre Kunst 2011 so auf den Punkt: «100 Minuten mit gefühlten 1’000 Lachern. Emil hat diesen wunderbaren feinen Humor. Intelligent. Elegant. Charmant. Hintergründig.»

Als Requisiten dienten Ihnen meistens bloss ein Stuhl, ein Tisch und allenfalls ein Telefon. Ein Glas Wasser, ein paar Bücher, und ja, auch mal ein Kinderwagen. «Jadududududu! Jaddudu!! Dududu!!!» Evergreens vergehen halt nicht. Klar, wir sind stolz auf Sie: Sie sind «der lustigste Schweizer der Welt» («Stuttgarter Nachrichten»).

Emil wie er leibt und lacht: wenig Requisiten, viel Applaus.

Emil, wie er leibt und lacht: wenig Requisiten, viel Applaus.

(Bild: Staatsarchiv Luzern)

Anlass für das Best-of-Revival im KKL war Ihr 80. Geburtstag. Und Sie sagten: «Ich wurde mit Briefen, Päckli und Glückwünschen überschwemmt. Es war höchste Zeit, meinen Fans und Helfern Danke zu sagen.» Die Show hiess «Merci vielmol». Wir lachten wieder Tränen, und wir hatten zu danken.

Von Starallüren keine Spur

Wir staunten im KKL nicht nur über Ihre Bühnengewandtheit. Sondern auch, wie Sie hinter der Bühne jeden Techniker persönlich begrüssten – immer gut gelaunt und mit einem lockeren Spruch auf den Lippen. Herzhaft, aber nie plump. Wie immer ohne Manager und Begleittross. Von Starallüren keine Spur. Sogar die Requisiten bauten Sie selber zusammen.

Auf den Anwurf des «Sonntagsblicks», nie subversiv zu sein, sagten Sie gänzlich unaufgeregt wie unprovoziert: «Ich war auf der Bühne nie subversiv, eher im Privaten vielleicht. Ich hatte stets eine Hemmschwelle. Ich hätte nie eine Nummer gegen das Militär oder die Kirche schreiben können. Ich hätte auch nie einen Schwulen gespielt. Ich empfand dies als zu private Angelegenheiten jedes Einzelnen.»

Stahl 1977 allen die Show: Emil Steinberger im Zirkus Knie bei der Tigerdressur.

Stahl 1977 allen die Show: Emil Steinberger im Zirkus Knie bei der Tigerdressur.

(Bild: Emanuel Ammon/AURA)

Sie hatten die Gabe, Ihr Publikum zu umgarnen und umarmen. Bei der legendären Knie-Tournee 1977, als Sie schon vor dem ersten Satz allen Akrobaten und Dompteuren die Show stahlen. Ihr Gastspiel bescherte dem Zirkus eine heute unerreichbare Zuschauerzahl von 1,3 Millionen. Sie waren in der Manege ein tapsiger Glace-Verkäufer, Tierpfleger oder Feuerwehrmann und begeisterten die Schweiz auch ennet dem Röstigraben.

Später erzählten Sie, Sie seien nach den Vorstellungen zum Teil von Fans verfolgt worden, hätten flüchten müssen, sich gar im Zirkuswagen eingesperrt. 1978 prägten Sie den Film «Schweizermacher», mit mehr als einer Million Kinoeintritten der erfolgreichste Schweizer Streifen aller Zeiten. Sie waren zur nationalen Legende geworden.

«Ganz Deutschland war hinter mir her.»

Emil nach dem Durchbruch ennet der Grenzen

Und dann kam der Erfolg ennet der Grenzen. «Emil ist der Grund, warum wir die Schweiz so lieben!», sagt der bayerische Kabarettist und Schauspieler Ottfried Fischer. Angesichts der Begeisterung und Bewunderung wird man den Eindruck nicht los: Hätten Sie die aussenpolitische Verantwortung für die Schweiz, uns wäre die Kavallerie-Drohung von Peer Steinbrück erspart geblieben. Sie prägten dank Ihrer TV- und Bühnenshows das Bild der Schweiz und der Schweizer: Bis heute glauben viele Deutsche gar, Ihr bewusst betontes Schweizerhochdeutsch sei das genuine Schweizerdeutsch.

Alle wollten etwas von Ihnen. «Ganz Deutschland war hinter mir her», sagten Sie. Einmal erklärten Sie mir: «In Deutschland reagieren die Leute unglaublich erfreut und herzlich auf mich: Viele gestehen mir, dass ich sie mit meinen Programmen durch ihre Jugend begleitet habe, und danken mir dafür. Vor allem auch in der ehemaligen DDR, wo die Menschen dank mir doch einiges zu lachen hatten. Solche Begegnungen sind immer wieder wie kleine Ehrenpreise für mich!»

So brachten Sie  die Schweiz in die Welt – und ab 1967 die Welt nach Luzern: Seit der Gründung des Kleintheaters durfte ich nebst Ihnen grosse Deutsche wie Roger Willemsen, Gerhard Polt und Erika Pluhar dort erleben und interviewen, über die frechen Denker Eva-Maria Hagen, Hanns Dieter Hüsch und Dieter Hildebrandt lachen und staunen.

Öffentlichkeit und Erfolg als Belastung

Öffentlichkeit und Erfolg, das empfinden Sie beides eher als Belastung, sagten Sie einmal. Im Privatleben hatten Sie darunter gelitten, dass Sie beim Gegenüber selbst dann behagliches Grinsen auslösten, wenn Sie auch ganz ernst sein wollten. Dass die Leute Pointen hörten, wo Sie ja gar keine gemacht hatten. Einfach, weil Sie der «Emil» waren. Lieber Emil, Sie waren zur andauernden Lustigkeit verdammt. Manchmal kann Lachen ganz schön zum Heulen sein, gelt?

Emil Steinberger und seine Frau Niccel amüsieren sich 2015 bei der Ausstellung im Historischen Museum.

Emil Steinberger und seine Frau Niccel amüsieren sich 2015 bei der Ausstellung im Historischen Museum.

(Bild: jav)

Dann, 1993, hatten Sie plötzlich genug davon. Sie flüchteten nach New York, wo Sie es erstaunlich lang und gern aushielten: als ein «Nobody» – so nannten Sie das –, dem nicht mehr gleich jeder auf die Schulter haute und «Hoi Emil» sagte, weil er mit Ihren Figuren per Du war. Sie schätzten die Freiheiten der Unprominenz. Der Entscheid erwies sich als klug: Der Rücktritt und die räumliche Distanz machten Sie als Emil erst recht zu einem Mythos.

«Es geht mir mehr um die Freude am Fantasieren.»

Emil, der Grosse

66 Jahre alt waren Sie bei Ihrer Rückkehr aus New York. Sie kamen mit ihrer zweiten Frau Niccel Kristuf. Und vor allem mit einem Buch, ihrem ersten. In «Wahre Lügengeschichten» erzählten Sie Anekdoten aus Ihrem Leben. Kaum zurück aus weiter Ferne und Ruhe, stellten Sie sich wieder ins Rampenlicht. Ihr Grund? «Es geht mir mehr um die Freude am Fantasieren.» Das war es immer, was Sie über die Jahre antrieb. Ihr Publikum zu Begeisterungsstürmen verleitete. Und Laudatoren zu rührseligen Momenten. Ich denke da etwa an den früheren Luzerner Stadtpräsidenten Franz Kurzmeyer, der Sie als «bekanntesten und beliebtesten Mitbürger unseres Landes und wunderbaren Botschafter unserer Stadt» verdankte.

Branchenkollege Franz Hohler lobte Sie: «Emils Figuren haben so viel mit uns selbst zu tun. Mit dem, was wir nicht können. Und mit dem, was uns nicht gelingt.» Ihnen aber ist alles gelungen. Sie wurden mit Preisen überhäuft: Dem Deutschen Kleinkunstpreis. Dem Karl-Valentin-Orden. Dem Hans-Reinhart-Ring. Der Ehrenrose von Montreux. Natürlich wurden Sie auch Ehrenbürger von Luzern. Mit einem eigenen Zimmer im Hotel Schweizerhof. Sie sind ein «kabarettistischer Menschenfischer» («Weltwoche»).

«Ich brüskiere die Leute nicht gern. Ich habe Menschen mit ihren Fehlern gern.»

Zufrieden blicken Sie an Ihrem 85. Geburtstag zurück auf eine Karriere von 65 Jahren. Wie macht man das? Ihr Erfolgsrezept vermuten Sie so: «Das liegt vielleicht daran, dass ich kein politisches Kabarett gemacht habe und einfach unterhalten wollte. Ich brüskiere die Leute nicht gern. Man merkte wohl, dass ich die Menschen mit ihren Fehlern gern habe und kein böser Beobachter bin.»

Frau Steinberger «wollte Clown werden»

Emil Steinberger, am 6. Januar 1933 in Luzern geboren, ist ein über die Schweiz hinaus erfolgreicher Kabarettist und Schauspieler. Er besuchte die Schulen in Luzern und bediente in seinem ersten Beruf Tausende von Kunden am Postschalter. Mit 27 Jahren ging er an die Luzerner Schule für Gestaltung und wurde Grafiker. Steinberger gründete 1967 das Luzerner Kleintheater, programmierte die Kinos Atelier und Moderne und stand seit seinem 20. Lebensjahr auf der Kabarettbühne.

Den künstlerischen Durchbruch brachten ihm seine Emil-Nummern, mit denen er in der Schweiz und in Deutschland berühmt wurde. Als Schauspieler wirkte er 1978 in Rolf Lyssys satirischem Spielfilm «Die Schweizermacher» mit. Er trat 1987 von der Bühne zurück – geehrt mit zahlreichen Auszeichnungen. Heute lebt er mit seiner zweiten Frau Niccel (52), einer Germanistin, die ihre Abschlussarbeit über das Lachen verfasste, in Basel. Wie die zwei zusammenkamen? Über einen Briefkontakt: «Ich wollte Clown werden», erzählt Frau Steinberger, «und habe Emil um Rat gebeten.»

Und in der Einfachheit lag Ihre Grösse, finde ich. Auch wenn Sie aus New York nicht nach Luzern zurückkehrten, sondern nach Montreux. Sie sagten, ganz unprätentiös: «Mir gefällt die Weite des Genfersees. Dort unten sieht man alles aus einem anderen Winkel. Die Züge fahren nach Barcelona, Mailand und Paris. In Luzern stand da immer Olten, Bern und Zürich.»

Im Tea-Room statt in der mondänen Bar

Dort, im geliebten Montreux, sahen wir uns ab und an als Nachbarn, wenn ich meine Wochenenden im Sissi-Haus verbrachte. Aber statt in der Bar des mondänen Palace-Hotel tranken Sie Ihren Kaffee in einem unscheinbaren Tea-Room nahe des Bahnhofs. Denn dort sassen nicht die Schönen und Reichen, sondern die Leute der Strasse, die Ihnen immer wieder Vorbild für Ihre Sketches und Geschichten waren, wenn Sie «die Sprache der Sprachlosen» formulierten. Und gerade dafür schätzten die Sprachlosen Sie, und gar die Intellektuellen priesen Sie für Ihre Bescheidenheit.

«Ach, ich bin einfach Emil», sagten Sie mir bei unserem letzten Treffen. Sie ergänzten: «Und ich sage Ihnen: Emil ist noch lange Zeit nicht fertig!» In der Tat erfreuten Sie uns bei der Jubiläumstour. Und ich sage Ihnen: Wenn Sie nochmals auftreten wollen, wir kommen wieder!

Leider «Kir Royal»-Rolle abgelehnt

Wir loben zu fest, finden Sie? Okay, vielleicht. Ich kann auch kritisieren: «Emil. Die Ausstellung» im Historischen Museum Luzern 2015 war eine Enttäuschung. Und die zweistündige TV-Show «Emil lacht!» vor fünf Jahren war flau. Auch noch dies: Nur zu gern hätte ich Sie neben Senta Berger und Dieter Hildebrandt als Boulevard-Reporter Baby Schimmerlos in der äusserst erfolgreichen TV-Serie «Kir Royal» von 1986 erlebt. Doch aus Furcht, Ihrer Fangemeinde zu missfallen, hatten Sie die Rolle abgelehnt. Sie vermuteten: «Dem Regisseur hätte es ja einfallen können, vierzehn Bettszenen einzubauen. Das hätten die Leute nicht verkraftet.» Da hätten Sie für einmal Ihre Rolle als Emil sprengen können.

Aber hey, Sie selber bewundere ich vor allem für eines: Weil Sie auf allerliebste Weise allzu Menschliches in eine Kunstform packten, die unser aller Schlechtestes ins Beste verwandelte – nämlich ins Lachen über uns selbst.

Dafür danke ich Ihnen von Herzen! Und gratuliere herzlich zum Geburtstag.

85 und kein bisschen leise: Emil in seiner Heimatstadt vor dem KKL.

85 und kein bisschen leise: Emil in seiner Heimatstadt vor dem KKL.

(Bild: Emanuel Ammon/AURA)

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