IHP Luzern: 70 Prozent mehr Anmeldungen

«Viel weniger Kinder sind sozial kompetent»

Das IHP Luzern hat 70 Prozent mehr Anmeldungen für Gespräche als im Vorjahr. (Bild: Fotalia)

Das IHP Luzern hilft Kindern und Jugendlichen bei Problemen – insbesondere Verhaltensauffälligkeiten. Die Fokussierung auf neue Bereiche hat dem Institut eine Flut von Anmeldungen beschert. Das wirft Fragen auf.

Das Luzerner Institut für Heilpädagogik und Psychotherapie (IHP) wird derzeit von Anmeldungen für Beratungsgespräche nur so überhäuft. Bei den Kindern und Jugendlichen zwischen sieben und 15 Jahren hat sich die Nachfrage verdoppelt – bei Jugendlichen zwischen 16 und 20 Jahren wurden die Dienstleistungen des IHP nach eigenen Angaben gar um 80 Prozent mehr beansprucht. Allgemein haben die Anmeldungen im Vergleich zum Vorjahr um 70 Prozent zugenommen.

Dies sei auf die neuerliche Fokussierung des Instituts zurückzuführen. Denn im Mittelpunkt stehen Bindungsstörungen und Traumatherapien, was diese enorme Nachfrage ausgelöst hat. Im Interview mit zentral+ nimmt die Institutsleiterin Franziska Zumstein Stellung.

(Bild: zvg)

zentral+: Bindungsstörungen und Traumatherapien: Allem Anschein nach zwei Punkte, die unserer Jugend stark zu Schaffen machen?

Franziska Zumstein: Im Zuge unserer Strategieentwicklung haben wir uns rege mit Zuweisern, wie beispielsweise Schulen oder Heimen, ausgetauscht. Diese Bedürfnisabklärung hat gezeigt, dass diese beiden Themen gegenwärtig sehr beschäftigen. So haben wir entschieden, uns darauf zu konzentrieren.

zentral+: Im Vergleich zum Vorjahr haben die Anmeldungen um 70 Prozent zugenommen. Leiden so viele Kinder und Jugendliche in Luzern unter diesen Verhaltensauffälligkeiten?

Zumstein: Wir stellen fest, dass Kinder und Jugendliche im Kontakt mit Gleichaltrigen vermehrt Probleme haben. Da haben wir uns schon gefragt, weshalb das so ist.

«Der reale Kontakt mit anderen Menschen kommt zu kurz.»

Franziska Zumstein, Leiterin IHP Luzern

zentral+: Wir uns auch. Weshalb ist das so?

Zumstein: Die Kinder sind immer weniger untereinander. Sie spielen weniger zusammen und tauschen sich weniger von Angesicht zu Angesicht aus. Der zunehmende Gebrauch von Handys führt dazu, dass der reale Kontakt mit anderen Menschen zu kurz kommt. Insgesamt stellen wir fest, dass viel weniger Kinder sozial kompetent sind.

Übrigens ist das auch ein Problem bei Familien. Traditionen, wie das gemeinsame Nachtessen am Tisch, müssen dem Essen vor dem Fernseher weichen.

zentral+: 70 Prozent mehr Anmeldungen. Das dürfte auch im finanziellen Interesse der gemeinnützigen IHP Luzern liegen?

Zumstein: Ja. Diese Umstrukturierung hatte auch wirtschaftliche Gründe. Wir haben gemerkt, dass es wirtschaftlich gesehen besser ist, sich auf wenige, spezifische Themen zu konzentrieren. Zuvor versuchten wir möglichst viele Themen abzudecken, was aber nicht gut funktioniert hat.

Was ist das IHP Luzern?

Das IHP Luzern begleitet Menschen bei Problemen in Schule, Beruf oder Familie. Das Institut bietet Beratung und Therapie für Kinder, Jugendliche und ihre Bezugspersonen, Erwachsene sowie Weiterbildung für Fachpersonen. Im Zentrum stehen ambulante Abklärung und Behandlung von Verhaltensauffälligkeiten, insbesondere Beziehungsprobleme und traumatische Erfahrungen.

zentral+: Stichwort Bindungsstörungen: Hat nicht jeder Mensch in irgendeiner Form eine solche Störung?

Zumstein: Doch, es kommt allerdings darauf an, wie das Individuum damit umgeht. Die Entwicklung von Bindung startet früh – grundsätzlich bereits im Mutterleib. Dabei ist die Resilienz – also die Widerstandskraft gegen schwere Bedingungen – bei jedem Mensch anders ausgeprägt.

zentral+: Gab es tatsächlich mehr Eigenanmeldungen oder wurden einfach mehr Kinder und Jugendliche ans IHP verwiesen?

Zumstein: Rund ein Drittel aller Konsultationen sind auf Selbstanmeldungen zurückzuführen.

zentral+: Verweist das IHP Luzern bei schwierigen Fällen auch an Psychiatrien?

Zumstein: Auf jeden Fall. Als ambulanter Dienst verweisen wir Personen, bei denen wir merken, dass ein stationärer Aufenthalt nötig ist, an die Kinder- und Jugendpsychiatrie. Oder auch wenn wir merken, dass Medikamente eingesetzt werden müssen.

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