Zug: 210'000 Franken zuviel bezogen

Video-Aufnahmen überführten IV-Betrüger

Der Sitz der IV-Stelle an der Baarerstrasse 11 in Zug. (Bild: mbe.)

Fünf Jahre lang bezogen ein Mann und seine Familie Leistungen der Invalidenversicherung. Dann liess die IV-Stelle Zug den Mann beobachten und stellte fest, dass er durchaus arbeitsfähig ist. Trotz weiterer Vergehen ist die Staatanwaltschaft mit einer bedingten Strafe einverstanden.

Das Strafgericht Zug verurteilte den Mann nach einem Prozess im Januar 2014 wegen Betrugs, Verletzung der Meldepflicht gegenüber der IV, Diebstahl und weiteren Delikten zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten. 12 Monate soll er effektiv absitzen. Die andere Hälfte ist bedingt, bei einer Probezeit von drei Jahren, ausgesprochen. Weil der Angeklagte Teilberufung gegen die unbedingte Freiheitsstrafe einlegte, wurde die Sache am Donnerstag vor dem Obergericht nochmals kurz verhandelt.

Falsche Angaben auf IV-Formular

Der Hauptvorwurf: Der heute 41-jährige Kosovo-Albaner soll die IV-Stelle Zug und die Ärzte im 2005 eingeleiteten Rentenrevisionsverfahrens über seinen wahren Gesundheitszustand getäuscht haben. Er sei gesund und grundsätzlich arbeitsfähig gewesen, so der Vorwurf. Der Beweis dafür: Er verschwieg Einkünfte, die er mit dem Kauf und Wiederverkauf von Occasionsautos erzielte. Gemäss Staatsanwaltschaft hat der Mann mit dieser Täuschung von 2005 bis 2010 über 210’000 Franken IV-Renten unrechtmässig bezogen.

Vorgeworfen wurde ihm ebenfalls ein Einschleichdiebstahl beim Arbeitgeber seiner Ehefrau, mit deren Firmen-Badge. Dabei stahl er er über 2000 Franken aus einer Kasse. Aber auch Kokainkonsum und diverse Verstösse gegen das Strassenverkehrsgesetz legte ihm die Staatanwaltschaft zur Last; er hat schon lange keinen Führerausweis mehr – er wurde ihm entzogen – fuhr aber trotzdem immer wieder Auto.

Bodenleger auf Abruf

Am Donnerstag ging es aber nur um die IV-Betrugsvorwürfe. Das Obergericht wollte sich ein Bild vom heutigen Leben des Angeklagten machen. Der Kosovo-Albaner ist verheiratet und hat zwei Söhne, der eine ist in einer Lehre, der andere besucht die sechste Klasse. Die Familie bewohnt in einer grösseren Zuger Gemeinde eine 4,5-Zimmer-Wohnung, die 2240 Franken im Monat kostet.

Neben der Haushaltführung arbeitet die Ehefrau Teilzeit bei einer Reinigungsfirma. Er arbeitet wieder, als Bodenleger auf Abruf. Damit kommt er auf ein Pensum von rund 50 Prozent und einen Verdienst von zirka 2300 Franken netto im Monat, sagte er. Zusammen verdiene das Ehepaar so rund 5000 Franken netto. Seit September 2014 ist die Familie nicht mehr von der Sozialhilfe der Wohngemeinde abhängig. Doch seine Schulden bezifferte der Mann auf rund 300’000 Franken.

«Kollegen mit Autos geholfen»

Zu seinem Vorleben meinte der Beschuldigte, er «habe Fehler gemacht». Ob er denn nicht mit Autos gehandelt habe, fragte ihn das Obergericht. Der Autohandel war durch Videoaufzeichungen aufgedeckt worden, und der Besitzer eines regionalen Automarktes hatte die häufigen Besuche des Kosovo-Albaners bei ihm bestätigt. Von Handel könne man nicht reden, meinte der Mann. Das sei ein Hobby gewesen. Er habe Bekannten oder «Kollegen aus dem Ausland» geholfen.

Die Fakten sprechen allerdings eine klare Sprache: Gemäss Anklageschrift lösten der Mann und seine Ehefrau 2001 bis 2010 im Kanton Zug 108 Autos ein. Die Frau gab gegenüber den Ermittlungsbehörden an, mit diesen Einlösungen nichts zu tun zu haben. Wie bereits im Prozess erklärte der Beschuldigte, er habe Autos gekauft, das sei aber privat gewesen. Der IV gab er an, nicht erwerbstätig zu sein – zumindest nicht nach seinem Verständnis.

Nach Unfall Rente beantragt

Zum Vorwurf des Betrugs der IV-Stelle ist ein Abriss der Vorgeschichte nötig: Der Beschuldigte hatte 2000 einen Verkehrsunfall mit einer Auffahrkollision. 2001 meldete sich der damals 27-Jährige bei der IV und beantragte wegen einer vollständigen Arbeitsunfähigkeit IV-Leistungen. Ärzte und Psychiater begutachteten ihn, er war in der Reha-Klinik Bellikon. Therapieversuche scheiterten jedoch, worauf man eine Rentenbeurteilung vorschlug. 2004 sprach die IV-Stelle Zug dem Mann eine Erwerbsunfähigkeitsrente zu, dazu kamen später eine Zusatzrente für die Frau und die beiden Kinder.

Falsche Angaben?

2005 wurde eine Rentenrevision eingeleitet: Der Mann gab auf dem Fragebogen der IV an, dass sein Gesundheitsstand unverändert geblieben und er nicht erwerbstätig sei. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass die Angaben auf dem Fragebogen falsch waren. Der Beschuldige sei faktisch seit 2005 mit dem Autohandel einer Erwerbstätigkeit nachgegangen und habe dies verschwiegen.

Nachts sei er in die Casinos Luzern, Bregrenz und Konstanz gefahren und habe dort gespielt. Das bestätigen Besucherlisten der Casinos. Bis zu 2000 Franken setzte er pro nächtlichen Besuch ein. Die IV-Stelle Zug muss sich laut dem Urteil des Strafgerichts den Vorwurf gefallen lassen, sehr lange – bis 2010 – zugewartet zu haben, bis sie die Rentenleistungen einstellte.

«Für leichte und mittlere Arbeiten voll arbeitsfähig»

Zur Frage des Gesundheitszustands des Mannes gibt es zwei ärztliche Gutachten. Dasjenige des Hausarztes von 2005 diente als Basis für die IV-Rente. Danach hatte der Mann ständig Kopfschmerzen, war lärmempfindlich, auch gegenüber seiner Familie und lebte sehr zurück gezogen. Im Rahmen der Rentenrevision wurde ein zweites Gutachten erstellt. Dieses stellt fest, dass der Beschuldigte mit dem Autohandel eine Aktivität ausübe, die im Widerspruch stehe zum von ihm präsentierten Krankheitsbild.

Der Mann gab gegenüber der IV-Stelle einen unveränderten Gesundheitszustand an und erwähnte keine Erwerbstätigkeit. Damit, so das Strafgericht Zug im erstinstanzlichen Urteil, habe er einen falschen Gesundheitszustand vorgespiegelt. Er habe die IV-Stelle, entgegen der Ansicht der Verteidigung, aktiv getäuscht. «Mit der Staatsanwaltschaft ist festzuhalten, dass der Beschuldigte im relevanten Zeitraum nicht an einer psychischen Störung gelitten hat und somit grundsätzlich – für leichte und mittlere Arbeiten – voll arbeitsfähig war», heisst es im Urteil des Strafgerichts.

«An einem Tag gut, am anderen schlecht»

Gegenüber den Oberrichtern wollte der Mann am Donnerstag zum Vorwurf des IV-Betrugs nichts sagen. Nur das: «Es tut mir leid, was passiert ist. Ich habe nichts extra gemacht und nicht simuliert.» Er habe immer noch Kopfweh. An einem Tag gehe es ihm gut, am anderen schlecht. Doch der 41-Jährige gab an, dass er heute auch arbeiten gehe, wenn es ihm schlecht gehe. «Wenn Chef ruft, muss…», so der Mann wörtlich, der sich äusserst anständig gibt.

Die Frage, ob es ihm klar gewesen sei, dass er der IV melden müsse, wenn sich sein Gesundheitszustand oder sein Einkommen ändere, verneinte er. Zu seinen Zukunftsaussichten befragt, schwieg der Familienvater sehr lange. Dann die Antwort: «Weiterschaffen, keine Probleme machen, zur Familie schauen und in die Zukunft schauen.»

Verteidigerin relativiert

Die Strafverteidigerin forderte in der Berufung, dass ihr Klient vom Vorwurf des Betrugs und der Verletzung der Meldepflicht freizusprechen sei. Sie verlangte statt der unbedingten Strafe eine Bestrafung von sechs Monaten bedingt, möglichweise zwölf Monate, mit einer Probezeit von zwei Jahren. Sie versuchte die Vorwürfe gegenüber dem Obergericht durchs Band zu relativieren. Der Kauf und Verkauf von Autos sei «ein lukratives Hobby, aber keine Erwerbstätigkeit.» Der Autohandel sei von der Staatanwaltschaft nicht ausreichend bewiesen worden.

Fehldiagnose der Ärzte?

Ihr Mandat sei kein Schauspieler, fügte die Verteidigerin hinzu. Er habe nie simuliert und immer ehrlich gesagt, wie er sich fühle. Sie sprach von einer ärztlichen Fehldiagnose, die zur IV-Rente geführt habe. Ihr Klient sei von den Ärzten überredet worden, das könne ihm nicht zur Last gelegt werden. In den letzten Jahren habe ihr Klient sich gut verhalten, meinte die Verteidigerin. Er fahre seit 2012 nicht mehr Auto. Mit seinem Schuldenberg sei er genug bestraft und verdiene deshalb eine Chance.

Staatsanwaltschaft mit bedingter Strafe zufrieden

Die Zuger Staatsanwältin Marionna Isenring sprach in ihrem Plädoyer von «Schutzbehauptungen». Sie beantragt, das Urteil des Strafgerichts zu bestätigen und den Mann des Betrugs schuldig zu sprechen. Er sei gesundheitlich immer in der Lage gewesen, einer Arbeit nachzugehen, was der observierte Autohandel und auch seine heutige Erwerbstätigkeit zeige. «Wir haben alle gute und schlechte Tage. Er hat ja selbst gesagt, dass er auch an schlechten Tagen arbeiten geht», fügte sie hinzu.

Die Staatsanwältin kam der Verteidigerin insofern entgegen, dass sie damit einverstanden wäre, wenn die unbedingte Freiheitsstrafe von zwölf Monaten in eine bedingte Strafe umgewandelt würde. Allerdings fordert sie eine Probezeit von vier Jahren, in denen sich der Mann nichts zuschulden kommen lassen darf.

Das Obergericht wird sein Urteil in nächster Zeit fällen und den Parteien schriftlich zustellen. zentral+ wird darüber berichten, wie der Fall ausgangen ist.

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